3. Bélan-Inseln

[Cassiopeia]

Aceio
Bélan-Inseln
Anfang Februar
146. Jahr des Lichts
Nacht

Aceio musste sich am Tisch festhalten, da er selbst im Sitzen das Gefühl hatte zu taumeln. Die Erste Herrin Néharas? Er sah ihr zu wie sie sich ankleidete und das Kleid schnürte und konnte kaum glauben was er hörte.
"Ich glaube dir", hörte er sich sagen, auch wenn er seiner Stimme nicht so recht traute. "Jedes Wort."
Lange sah er sie an. Es wäre die perfekte Falle. Sie kam unerkannt hier her und verriet sie alle an Ryorr, mit dem sie ja nun zuvor verhandelt hatte, sodass das Treffen überhaupt zu Stande gekommen war. Was hatte sie ihm versprochen?
"Du weißt, wie das für mich aussieht", sagte er leise. Der perfekte Verrat. Himmel, war er so blind gewesen? Hatte sie das gemeint, als sie davon sprach Brihá meine es vielleicht doch nicht so gut mit ihm, wie er dachte?
Warum sie? Warum die zierliche, anziehende Eza, in der er so viel mehr sah als gut für ihn war? Er fühlte sich mit einem Mal wie erschlagen. Wenn sie jetzt gehen würde, würde er sie nicht aufhalten.

[Tjeika]

======================
Eskya "Eza" Zarin
Bélan-Inseln
Anfang Februar
146. Jahr des Lichts
Nacht
======================

Aceio wirkte erschlagen. Und Eskya fühlte sich genauso.
"Deswegen habe ich es dir nicht erzählt", flüsterte sie als Antwort auf seine Frage.
Eskya ging nicht. Ihre Entscheidung war gefallen. Schon lange.
"Ich hole meine Athame heraus. Blut lügt nicht. Du willst wissen, warum ich hier bin? Warum ich dir gefolgt bin? Ob ich dich je in schädigender Absicht belogen habe? Ich beweise dir meine Treue. So du mich lässt."
Sie hatte stets nur gelogen, wenn es darum ging, ihre Identität zu schützen - oder die Tatsache, dass sie Blutmagierin war.

[Cassiopeia]

Aceio
Bélan-Inseln
Anfang Februar
146. Jahr des Lichts
Nacht

Sie wollte Blutmagie anwenden? Gleich hier? Auf seinem Schiff?
Aceio stand auf und schüttelte den Kopf.
"Du musst mir keine Treue beweisen, ich bin nicht dein König!", erwiderte er schärfer als beabsichtigt und fragte sich zugleich, wieso er nur halb so wütend war, wie er es vielleicht sein sollte.
"Ich verlange nur Ehrlichkeit. Wenn du entscheidest, mir nicht die Wahrheit zu erzählen - deine Sache. Du musst es mir nicht durch Blut beweisen, Eza."
Er atmete langsam durch um sich wieder etwas zu sammeln.
"Erzähle es mir. Weil du es willst. Nicht, weil dein Blut dich zur Wahrheit zwingt. Erzähle mir, warum du hier bist. Bei mir. Warum du mit nach Bélan gekommen bist - deiner alten Heimat. Dir untersteht ein ganzes Volk, so du es willst. Und doch willst du nicht, dass es jemand weiß? Lass es ich verstehen."
Denn das tat er nicht. Kein Stück mehr verstand er, was in ihr vorging. Wer sie war. Hatte er das überhaupt je gewusst?

[Tjeika]

======================
Eskya "Eza" Zarin
Bélan-Inseln
Anfang Februar
146. Jahr des Lichts
Nacht
======================

Eskya zuckte bei der harschen Wortwahl und dem harten Tonfall Aceios in der Tat kurz zusammen.
Einen Moment ließ sie seine Worte verklingen. Dann einen Zweiten. Sie rieb sich mit der rechten Hand den linken Oberarm, ihre Augen huschten nach einem Halt suchend durch den Raum.
"Shaya ist meine Tochter", antwortete sie langsam.
"Ich tue all das hier nur für sie", fuhr sie flüsternd weiter fort.
"Zumindest habe ich das zunächst."
Sie seufzte und setzte sich auf die Bettkante, die Hände auf ihrem Schoß verschränkt, den Blick fest darauf gerichtet.
"Ich habe dir vertraut, weil Shaya es getan hat. Ich brauchte eine neue Bestimmung, einen Weg, der richtig war. Nach der Schlacht hatte ich zunächst nichts mehr. Und mit einem Mal schien es, als ob es endlich einen Weg geben würde, das Richtige zu tun. Ich kann nicht ändern, was geschehen ist. Ich werde mich dafür auch nicht rechtfertigen. Vor niemandem. Weder vor dir noch vor meiner Tochter und erst recht vor keinem Gericht. Es ist unabänderlich. Das Einzige, was ich tun kann, ist, meine Fähigkeiten zum Wohle Chomas einzusetzen."

[Cassiopeia]

Aceio
Bélan-Inseln
Anfang Februar
146. Jahr des Lichts
Nacht

Aceio starrte sie einen Augenblick fassungslos an. Shaya. Sie war die totgeglaubte Frau von Nyath. Soviel immerhin wusste er. Ihren Namen hatte Nyath nie ausgesprochen.
"Für wen tust du es jetzt?", fragte er leise und lehnte sich an den Tisch hinter sich. Er musste sich irgendwo festhalten. Sie wirkte so verdammt verletzlich in dieser Position.
"Und wie sieht der richtige Weg für dich aus?" Ruhige, sachliche Fragen, die ihm hoffentlich halfen, dass ihm nicht mehr so verflucht schwindelig war.

[Tjeika]

======================
Eskya "Eza" Zarin
Bélan-Inseln
Anfang Februar
146. Jahr des Lichts
Nacht
======================

Eskya rieb sich beide Hände.
"Für Shaya, für Choma und für ein besseres Leben. Und vielleicht auch ein bisschen um mein Gewissen zu entlasten", antwortete sie nun ein bisschen sachlicher.
Dann sah sie auf und betrachtete Aceio einen Moment. Er wirkte in etwa so verloren, wie Eskya sich fühlte.
"Ich weiß nicht, woher das kommt, aber ich sehe in dir die Zukunft Chomas. Eine bessere Zukunft."
Das war die Wahrheit.
"Ich sehe mich in der Verantwortung, nach allem, was ich getan und was ich unterlassen habe, und weil ich diese Fähigkeiten habe, sie für etwas Gutes einzusetzen."

[Cassiopeia]

Aceio
Bélan-Inseln
Anfang Februar
146. Jahr des Lichts
Nacht

"Ich würde es mir wünschen", sagte Aceio langsam, "eine solche Zukunft aufzubauen. Ohne Unterdrückung, ohne Ausgrenzung. Darum bin ich hier. Diese Menschen", er wies in Richtung Hafen, "haben eine neue Chance verdient, die ohne Blutvergießen auskommt."
Er sah sie abschätzend an.
"Der Zweite Herr, Ryorr, was hast du mit ihm besprochen?"
Wenn sie schon dabei war, wollte er auch darüber bescheid wissen.

[Tjeika]

======================
Eskya "Eza" Zarin
Bélan-Inseln
Anfang Februar
146. Jahr des Lichts
Nacht
======================

Eskya legte kurz den Kopf schief, dann nickte sie. Wenn sie schon offen und ehrlich war, dann komplett.
"Es wird dauern, bis die Bewohner der Bélan-Inseln bereit für ein anderes Leben sind. Sie glauben noch immer an eine Rückkehr Nalahrs und das wird sich so bald auch nicht ändern", erklärte sie kopfschüttelnd.
"Einer der Gründe, weswegen Ryorr der bessere Herrscher ist als Nalahrs Witwe", erzählte sie weiter.
Inwiefern Aceio darüber Bescheid wusste, dass Ielia die Frau Nalahrs gewesen war, wusste Eskya nicht. Aber besser, Aceio war auch hierüber im Bilde.
"Ich habe Ryorr daran erinnert, dass ich die Erste Herrin bin und wessen Worte er zu achten hat", begann sie ein bisschen siegesgewiss, wobei ihre Mundwinkel nicht unzufrieden zuckten, "aber auch dass ich keinerlei Interesse daran habe, ihn aus seiner Position zu entfernen."
Sie richtete sich etwas auf.
"Und ich wurde dabei von genau zwei Personen erkannt. Im Palast. Und so soll es auch bleiben. Ich bin jetzt Eza und nicht länger die Erste Herrin Eskya Zarin."

[Cassiopeia]

Aceio
Bélan-Inseln
Anfang Februar
146. Jahr des Lichts
Nacht

Aceio blinzelte kurz. Nalahr war verheiratet gewesen - mit Ielia, nicht mit Eza, die eigentlich Eskya hieß und noch immer Nyaths Nachnamen trug.
Dennoch war Eskya die Erste Herrin Néharas und nicht Ielia. Die war für tot erklärt worden und verbannt worden.
Doch darüber wollte er sich nicht weiter den Kopf zerbrechen. Es ging hier gerade nicht um Ielia oder wer mit wem verheiratet war.
Aceio holte abermals tief Luft um sie langsam wieder entweichen zu lassen.
"Das... ist ziemlich viel auf einmal", gestand er und bemerkte, dass die lodernde Wut verschwunden war. Was zurück blieb, waren Enttäuschung und ein wenig Verwunderung über all das, was sie ihm offenbart hatte.

[Tjeika]

======================
Eskya "Eza" Zarin
Bélan-Inseln
Anfang Februar
146. Jahr des Lichts
Nacht
======================

Eza betrachtete Aceio einen Augenblick.
"Ich weiß", flüsterte sie, dann war sie es, die einmal tief durchatmete.
"Du wolltest die Wahrheit hören, das ist sie."
Sie stieß sich ab und stand auf. Dann zog sie ihren Mantel drüber. Sie hatte Aceio enttäuscht, das wusste sie. Aber sie hatte keine Wahl gehabt. Das würde er, so hoffte sie, irgendwann erkennen.
"Sei vorsichtig, wenn du auf Ielia triffst. Nicht einmal Nalahr hat ihr über den Weg getraut. Sie ist gefährlich. Und mit gefährlich meine ich so richtig gefährlich", gab sie ihm noch eine Warnung mit.
Sie konnte nicht bleiben. Das hatte sie im Verlauf des Gesprächs erkannt. Aceio konnte ihre Sicht der Dinge nicht verstehen, weil er nicht in ihrer Haut steckte. Und er konnte ihr, nachvollziehbarerweise, nicht trauen. Das verstand Eza und zog die entsprechenden Konsequenzen.
"Wenn du einmal in Not bist, sieh hinter der Kommode nach", gab sie ihm noch mit auf den Weg, bevor sie an der Tür hielt.
Dann sah sie noch einmal über die Schulter.
"Pass auf dich auf."