Klein Lerch

[Erzähler]

Frau Bauer

"Na, ich dachte schon, ihr wärt keine normalen Katzen, als ihr freiwillig in die Boxen gekrabbelt seid. Aber wenn ich das jetzt so höre, muss ich mir wohl doch keine Sorgen machen...", meinte Frau Bauer vom Fahrersitz her. Inzwischen war das Auto langsamer geworden und man merkte, dass Frau Bauer es rangierte wie beim Einparken. Dann stoppte sie den Motor und stieg aus.

[Spikor]

Paulchen

"Blödsinn, natürlich muss ich die Box während der Fahrt aufmachen. Wenn wir erstmal drin sind, geht das nicht mehr, da schauen ja dauernd Leute her!", gab Paulchen Laetitia mit wutverzerrter Stimme zurück und rüttelte weiter an der Gittertür - ohne sie freilich aufzubekommen. Erst als er die Autotür hörte, hielt er inne wie erstarrt und glotzte dahin, wo gleich der Kofferraum aufgehen würde. "Verdammt, das wars. Ich hab die blöde Box nicht aufgekriegt! Das wars mit dem Abhauen!" Nun klang er regelrecht verzweifelt. Er hatte sich fest darauf verlassen, dass er das Ding schon irgendwie schaukeln würde. In den Computerspielen gab es immer irgendwas, einen Trick, einen Hebel, eine Tastenkombination - er war davon schon so beeinflusst gewesen, dass ihm nicht in den Sinn gekommen war, dass die Realität anders aussehen könnte. Und das Tier, der Kater selbst, war einer von der Sorte, der immer irgendwie durchschlüpfte, deshalb hatte er den Menschen da auch nicht bremsen können. Nun saßen beide regelrecht vor dem Scherbenhaufen ihres Egos und zitterten angesichts der erkenntnis, dass sie ihr Schicksal nicht mehr in der Hand hatten. Und die Verletzungen und das Adrenalin trugen sicher auch ihren Teil zum Zittern bei.

[Odin]

Laetitia

"Na toll. Dafür bist du jetzt verletzt und wirst noch weiter vom Arzt untersucht. Und was hättest du gewonnen, wenn du hier die Box aufbekommen hättest? Sie hätte die Box einfach wieder zugemacht. Sie hätte schon dafür gesorgt, dass du nicht entkommen kannst. Vergiss nicht, dass wir freiwillig zu ihr hingegangen sind. Und das noch nicht mal nur wegen was zu Essen."

Laetitia war immer noch aufgebracht, hatte sich aber schon ein wenig beruhigt, da der Wagen angehalten hatte.

[silverbullet]

Mrs. Murphy

Die große Main Coon lag immer noch auf den Boden ihrer Box gepresst und wimmerte leise. Die Übelkeit wurde besser, nachdem der Wagen angehalten hatte, die Klaustrophobie in der engen Transportkiste blieb jedoch. Also wimmerte sie nur leise vor sich hin, während Martina versuchte, die Katzenseele zu trösten und zu beruhigen.

[Erzähler]

Frau Bauer

Es hatte überraschend lange gedauert, bis sich der Kofferraum öffnete, und nun sahen die Katzen auch, weshalb: Frau Bauer hatte sich Hilfe geholt. Eine Frau mittleren Alters, groß, mit Brille, kurzen dunklen Haaren und einem etwas größerem Körperumfang, die einen weißen Kittel trug, stand neben ihr. Ob das die Tierärztin war? Oder eine Helferin? Jedenfalls half sie jetzt Frau Bauer. Jede der beiden nahm zwei Boxen, in jede Hand eine. Frau Bauer trug die Boxen mit Luna und Laetitia, die andere Frau nahm Mrs. Murphy und Paulchen. Während die andere Frau schon mal los ging, stellte Frau Bauer Laetitias Box nochmal kurz ab, um den Kofferraum zu schließen und das Auto zu verriegeln. Bei dem ganzen Vorgang unterhielten sich die Frauen über dies und das - sie kannten sich offenbar. Paulchens blutende Nase brachte die große Frau zu dem Kommentar, dass "dieser hier" sich offenbar besonders "reingesteigert" habe, woraufhin beide Frauen lachten. Das Lachen verging Frau Bauer aber, als sie die vollgepinkelte Decke roch. Sie wusste, dass das Paulchen gewesen sein musste, und ärgerte sich offenbar, aber sie schimpfte ihn nicht aus. Vermutlich sah er ihr elend genug aus.

[Spikor]

Paulchen

Dass die beiden auch noch über ihn lachten, machte Paulchen nur noch wütender, und er fing wieder an, im Gitter zu rütteln. Die Box schwankte daraufhin gefährlich in der Hand der Frau, und sie rief laut, aber doch nicht allzu böse im Tonfall: "Hey, lass das, ich stell dich ja gleich ab", aber Paulchen ließ es nicht, sondern schrie in empörten Tonfall: "Das könnt ihr mit mir nicht machen, ich hab auch meine Rechte!" In Wirklichkeit hatte er vor allem Angst.

[Odin]

Laetitia

Sie hatte ein wenig Lampenfieber. Nach dieser Autofahrt, war sie aber genug aufgewühlt, dass es ihr schwer fiel, stillzusitzen. Sie peitschte mit ihrem Schwanz hin und her. Sie blieb aber gegenüber den offenen Clips sitzen und schaute so würdevoll, wie sie konnte, nach draußen.

[silverbullet]

Mrs. Murphy

Kaum öffnete sich die Heckklappe, hatte die Katze wieder das Gefühl, etwas besser Luft zu bekommen. Als ihre Box dann getragen wurde, stieß sie ein langgezogenes, verzweifeltes Heulen aus - die Platzangst war immer noch vorhanden.
"Ich will hier raaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaauuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuus....!"

[Erzähler]

Die Frau von der Tierarztpraxis hatte eindeutig das schlechtere Geschäft gemacht: Während Frau Bauer die kleine Luna und die ruhige Laetitia tragen drufte, musste sie sich mit dem randalierenden Paulchen und der heulenden Mrs. Murphy abgeben und hatte damit ihre liebe Not. Immerhin war sie aber erfahren und professionell genug, die beiden Katzenboxen trotzdem sicher in die Praxis hinein zu tragen. Nachdem auch Frau Bauer im Haus war, stand ein Mann, der mit seinem Hund im Wartezimmer saß, auf und schloss netterweise die Tür hinter den vollbepackten Frauen. Der Hund lag indessen auf dem teppich und schaute aufmerksam zu den Boxen, die da hereingetragen wurden. Ob er gerade an MacDonalds dachte? Jedenfalls stellten beide Frauen die Boxen dann alle nebeneinander vor einer Art Theke ab, hinter der eine andere Frau saß und offenbar den Papierkram der Praxis erledigte. Die 3 Frauen sprachen miteinander und regelten das Organisatortische.

Währenddessen standen die 4 Katzenboxen schön in einer Reihe am Fuß der Theke. Direkt gegenüber war eine Wand, und rechts von ihnen war das Wartezimmer, wo außer dem hund - der immer noch herüber starrte - noch mehr Leute auf Stühle saßen und auch Boxen dabei hatten, für Katzen, hasen und wer weiß was noch alles. Und linker Hand ging es zu einer Tür, die geschlossen war und mit dem Wort "Behandlung" beschriftet war. Es roch von dort her stark (also für Katzennasen stark) nach Desinfektionsmittel und dergleichen.

[Spikor]

Paulchen

Als er den Hund sah, wurde der Kater noch ängstlicher, aber der Instinkt des Tieres war so stark, dass sogar der Mensch sich zusammen riss - wer so klein war wie eine Katze und einem Hund gegenüber saß, dessen Maul so groß wie der eigene Kopf war, der blieb lieber still und hoffte, keine weitere Aufmerksamkeit zu erregen. Dafür war der Mensch jetzt sogar ein bisschen erleichtert, dass er vorhin im Auto gepinkelt hatte, denn er wusste nicht, ob er das Tier so weit im Griff gehabt hätte, dass es nicht jetzt vor Angst losgelegt hätte, und er hätte dann die ganze Zeit in der Suppe sitzen müssen. Ein schwacher Trost, aber immerhin.