Die Schatzjäger

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Spikor
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Die Schatzjäger

Beitrag von Spikor »

Ich habe die Corona-Pause genutzt, um nach Jahren mal wieder eine Geschichte zu schreiben. Früher machte ich FanFictions (das war noch auf einer anderen Seite), aber dieses Mal ist es was eigenes. Auf die Idee kam ich, weil wegen der dauernden Kontaktbeschränkungen meine P&P-RPG-Runde seit inzwischen fast einem Jahr nicht mehr zusammen gekommen ist - gerade, als wir was Neues anfangen wollten, auf das ich mich schon sehr gefreut hatte!

Deshalb schrieb ich das auf, was ich gerne gespielt hätte - diese Geschichte ist also im Grunde eine Art P&P-RPG-Abenteuer :)

Natürlich hab ich mich nicht ganz dran gehalten, z.B. wären die Charas für das erste Abenteuer schon etwas zu hochstufig, aber es ist ja auch kein richtiges RPG, sondern eine Geschichte, die nur auf einer RPG-Idee beruht.

Es ist seit vielen Jahren das erste Mal, dass ich wieder schreibe. Ich hoffe, ich kanns noch einigermaßen. Vor allem hoffe ich, dass ich mit dieser Geschichte den einen oder anderen etwas unterhalten kann, gerade im Lockdown. Die Geschichte ist komplett abgeschlossen und hat mehrere Kapitel, von denen ich jetzt gleich jedes in einem eigenen Post einstellen werde. Danach bringe ich noch einen Post, in dem drinsteht, dass das das letzte Kapitel war, dann weiß jeder, dass er/sie jetzt durch ist. Das wird auf jeden Fall komplett jetzt gleich online gehen, ist also keine Fortsetzungsstory oder so.

Theoretisch wäre es möglich, die Gruppe weitere Abenteuer erleben zu lassen, aber so richtig geplant ist das derzeit nicht. Mal sehen, wie sich alles entwickelt.

Ach ja, für die, die das interessiert: Es handelt sich um klassische Low-Fantasy und im Grunde ist es ein ganz traditioneller Dungeon Crawl :)

Dann mal viel Spaß beim Lesen!
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Spikor
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Die Schatzjäger - Kapitel 1

Beitrag von Spikor »

Der Weg hatte sich als unerwartet beschwerlich erwiesen. Schon seit Stunden führte er immer höher ins Gebirge, auf Pfaden, die immer schmaler und gewundener wurden und sich immer steiler an den kahlen Felshängen entlang schlängelten. Inzwischen war er zu einem engen Trampelpfad geworden, bedeckt mit losen Steinen und feinem Staub, der beim leisesten Windhauch aufgewirbelt wurde und Nase und Lungen verklebte. Tankred zog sein Halstuch über die Nase, aber es half nicht viel. "Puh", machte Miya, die vorausging und ebenfalls ihr Tuch hochzog. Für sie musste es noch schlimmer sein als für ihn, denn die Nasen der Leoniden waren viel feiner, aber eben auch viel empfindlicher als die der Menschen. Auch die Luft wurde langsam dünn hier oben, sodass Storsha immer angestrengter schnaubte. Ihre Hufe fanden kaum Halt auf dem Pfad, und Tankred fühlte sich schon seit Längerem nicht mehr wirklich wohl auf ihrem Rücken, wo er bedenklich hin und her schaukelte und dabei immer wieder einen unangenehmen Ausblick auf den Abgrund direkt neben sich erhielt. "Soll ich nicht doch lieber absteigen?", fragte er die Zentaurenkriegerin, aber sie schüttelte nur stur den Kopf, sodass ihre lange schwarze Mähne derart heftig hin und her schwang, dass allein das schon fast ausreichte, um ihn abzuwerfen. Besorgt blickte Tankred auf ihre Hufe, die unbeschlagen waren und nach Stunden auf diesem Terrain allmählich nicht mehr sonderlich gut aussahen. Aber wie bei allem war Storsha auch bei Hufeisen sehr eigen. "Ich lasse mich doch nicht beschlagen wie ein gewöhnlicher Gaul!", hatte sie empört ausgerufen. "Außerdem sind Hufe verdammt laut auf Pflastersteinen." Diesem Argument hatten Tankred und Miya nichts entgegenzusetzen gehabt. Es stimmte, Storsha war auch so schon die auffälligste in ihrer Gruppe, und bei ihrer Körpergröße war sie auch sonst kaum zu übersehen. Wenn sie sich jetzt auch noch mit lautem Hufgeklapper ankündigen würde, könnte man sich auch gleich vorher per Brief anmelden, was für Diebe absolut unangemessen wäre.

Tankred musste kurz schmunzeln, als ihm das Wort "Dieb" durch den Kopf ging. Ja, Diebe waren sie, oder zumindest würden sie es bald sein, denn der Grund, weshalb sie sich diesen elenden Pfad hocharbeiteten, war ihre feste Absicht, einen Diebstahl zu begehen, auch wenn die Bestohlenen schon lange tot waren. Für ihn war das eine neue Erfahrung, und auch Storsha hatte, soweit er das sagen konnte, noch nie etwas gestohlen. Nur Miya war geübt in diesen Dingen, aber das war kaum verwunderlich, schließlich waren die Leoniden wegen ihrer angeborenen, speziellen Fähigkeiten - ganz besonders den Augen, die in der Dunkelheit sehen konnten, den feinen Nasen und Ohren sowie den leisen Samtpfoten - geradezu prädestiniert für Diebstähle, Spionage und ähnliche Tätigkeiten, und auch wenn keineswegs jeder Leonide dieser Profession nachging, so hatten sich doch beachtlich viele von ihnen für eine kriminelle Laufbahn entschieden, da hier leicht großer Profit zu erzielen war, und Miya machte da keine Ausnahme. Obwohl sie noch recht jung wirkte - wie alt sie wirklich war, konnte Tankred nicht sagen, da Leoniden äußerlich kaum alterten und sie es ihm nicht verraten wollte - hatte die blondgetigerte Diebin in den letzten Jahren fast jeden Monat einen großen und fast jeden Tag einen kleinen Diebstahl begangen. Zumindest behauptete sie das. Tankred glaubte ihr, weil sie sich in den drei Wochen, die sie jetzt schon gemeinsam unterwegs waren, ganz genau so verhalten hatte. Egal, ob es um eine Kleinigkeit zu Essen von einem Marktstand ging oder um den Geldbeutel eines reichen Städters, vor Miyas geschickten Tatzen war nichts und niemand sicher. Ihre Begleiter indessen waren von ihr niemals beraubt worden, zumindest bis jetzt noch nicht. Miya hatte erklärt, dass sie keine Kollegen bestehlen würde, weil dies die Loyalität innerhalb der Gruppe zerstöre, und auf diese Gruppe sei sie ja angewiesen. Das stimmte auch, aber Tankred und Storsha waren sich einig, dass sich dies auch ändern konnte, besonders nach einem erfolgreichen Diebstahl der größeren Art. Zum Beispiel so einen, wie sie ihn jetzt vorhatten. Nach diesem Raub würden sie Miyas Zuverlässigkeit neu beurteilen müssen.

Storsha kannte Tankred schon etwas länger. Sie waren sich vor knapp zwei Jahren im Weinberg-Krieg begegnet, als die Zentaurin Teil einer Gruppe von Söldnern war, die von den Herren von Muik angeheuert worden waren, um die verhassten Konkurrenten des Salik-Clans aus den Weinbergen von Oort zu vertreiben. Tankred war damals durch unglückliche Umstände in den Dienst der Saliks geraten und hatte nach einer Gelegenheit gesucht, die ganze Gegend und mit ihr den Konflikt, der ihn überhaupt nicht interessierte, verlassen zu können. Storsha hatte ihm diese Gelegenheit geboten, als sie verwundet und von den Saliks gefangen genommen worden war. Tankred war kein Heilmagier, aber er bekam dennoch Zugang zu der Gefangenen, als ein Schreiber zur Protokollierung eines Verhörs gesucht wurde und er sich dafür freiwillig meldete - Schreiben war auf jeden Fall besser als Kämpfen! Das Verhör erwies sich als sinnlose Folterstunde, in der sich der zuständige Salik nicht einmal die Mühe machte, seine perfide Freude am Quälen der Gefangenen mit irgendwelchen Fragen tarnen zu wollen. Als der Mann, erschöpft vom heftigen Auspeitschen und Strecken, das Zelt verließ, um sich frisch zu machen, nutzte Tankred die Gelegenheit, ungestört mit Storsha zu sprechen. Ihre Bereitschaft, nach ihrer Befreiung wieder in den Krieg zu ziehen, ging verständlicherweise gegen Null, oder, wie sie es ausdrückte: "Für das, was die mir bezahlen, habe ich schon mehr als genug ausgehalten!" Noch am selben Abend, als das Verhör endlich vorbei war, besorgte Tankred sich einen Heiltrank, was in gewisser Weise sein erster "Diebstahl" war, wenngleich er den Trank nicht gestohlen, sondern unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ergaunert hatte, und bestach den Wächter des Gefangenenzeltes mit Alkohol und der Lüge, er wolle die Gefangene nur kurz für seine intimen Bedürfnisse benutzen. Der Mann hatte zwar fragend die Augenbraue hochgezogen, sonst aber nur mit den Schultern gezuckt und sich mit seinem Alkohol eine Weile davon gemacht. Sobald Tankred mit Storsha alleine war, befreite er sie und gab ihr den Heiltrank, um sie nach der langen Folter einigermaßen wieder herzustellen. Danach stieg er auf ihren Rücken - noch heute erinnert er sich an den Tonfall ihrer Stimme, als sie sagte: "Ich habe noch nie jemanden auf mir reiten lassen und heute wird eine Ausnahme sein, weil du mir geholfen hast und wir sonst zu langsam sind!" - und in vollem Galopp flohen sie aus dem Lager. Zwar wurden sie verfolgt, doch durch Glück entwischten sie, als ihre Verfolger auf einen Trupp Feinde stießen und sich um ihren Krieg kümmern mussten.

Ein zweites Schmunzeln huschte über Tankreds Lippen, als er an jene ereignisreiche Nacht zurückdachte und sich heute, Jahre später, immer noch auf Storshas Rücken wiederfand. Die beiden hatten ursprünglich nicht einmal zusammen bleiben wollen, doch auf ihrer Flucht hatten sie einander schätzen gelernt. Storsha war eine echte Kriegerin, die scheinbar nichts und niemanden fürchtete und mit der sich kaum jemand anzulegen wagte. Tankred hingegen war gebildet und fand immer Möglichkeiten für sie beide, sich durchzuschlagen, ohne dafür in irgendeiner Armee anheuern zu müssen. Mal organisierte er einen Leibwächterauftrag, mal eine Schatzsuche, einmal waren sie sogar als Detektive tätig gewesen. Dabei kam es durchaus öfters zu Kämpfen, aber selten mit geübten oder gut gerüsteten Gegnern, sondern eher mit Strauchdieben, die für Storsha kein Problem darstellten. Es war eine gute Zeit und so waren sie zusammen geblieben und hatten sich nach und nach genug Geld verdient, um sich gute Ausrüstung kaufen zu können und sogar gelegentlich ein paar Tage zu entspannen, zum Beispiel bei den Heißen Quellen von Rhadofthar, die Storsha sehr gefallen hatten. Ein Pferd aber hatten sie sich nie leisten können, und so war Tankreds Platz letztlich auf Storshas Rücken geblieben, alles andere hätte sie zu lange aufgehalten, und Storsha hatte erkannt, dass es Schlimmeres gab als einen relativ leichten Magier herum zu tragen, besonders, wenn dieser Magier den Rücken, auf dem er saß, auch immer wieder freihielt. Zwar war Tankred kein Kämpfer, aber seine Fähigkeiten waren auf seinem Gebiet recht groß und er hatte sich aus Storshas Sicht als nützlich und sogar angenehm erwiesen.

Jahrelang waren die beiden so durchs Land gezogen, doch wie immer im Leben war auch hier eine Zeit gekommen, wo ihnen das Erreichte nicht mehr genug war. Es musste doch etwas Besseres geben, etwas Schöneres, Erstrebenswerteres. Wie immer war es Tankred, der nach neuen Möglichkeiten des Broterwerbs gesucht hatte. Storsha hatte nicht wirklich Talent dafür. Wenn sie einen Auftrag an Land zog, dann ging es dabei meistens um Krieg oder zumindest darum, jemanden für Geld zusammen zu schlagen. Das war gut und schön, aber wirklich weiter brachten solche Aufträge niemanden. Tankred hingegen fand den Kaufmann, der gestohlene Ware wiederhaben wollte, oder den Adeligen, der Geleitschutz für seine Tochter auf einer Reise benötigte. Das waren die Aufträge, die etwas einbrachten, und Storsha hatte dies bald erkannt und Tankred die Planung überlassen. So war es auch der Magier gewesen, der auf das Gerücht der Höhlenfestung in den Bergen gestoßen war, die noch aus grauer Vorzeit stammen und heute unbewohnt und verfallen sein sollte, in deren tiefsten Kammern es aber einen gewaltigen Schatz geben musste, da waren sich die Leute hier in der Gegend sicher. Niemand wagte sich so hoch ins Gebirge, wo es keine Straßen und keine Wachen, dafür aber Raubtiere, Banditen und allerlei Gespenster und dergleichen geben sollte, und so lag der Schatz noch immer in den tiefsten Tiefen von Grobak, wie die Höhlenfestung angeblich hieß. Vor ein paar Banditen und den üblichen Raubtieren des Gebirges brauchte man in Storshas Gesellschaft keine Angst zu haben, aber eine alte Festung, womöglich voller Fallen, erforderte Sachverstand und Erfahrung in solchen Dingen. Deshalb waren sie sich schnell einig gewesen, einen Dieb anzuheuern, und nach weiteren Erkundigungen waren sie auf Miya gestoßen, die in einer zwielichtigen Taverne herumsaß, ihre letzte Beute versoff und auf einen neuen Auftrag wartete, denn sie gehörte zu der Sorte von Dieben, die sich gegen Bezahlung anheuern ließen. Sie sagte, das sei sicherer, denn die Bezahlung gäbe es tageweise, egal ob der Überfall am Ende gelänge oder nicht. Ob das stimmte oder ob die Katze sie hereingelegt hatte, konnten Tankred und Storsha nicht beurteilen, aber Miya hatte bei mehreren Proben bewiesen, dass sie ihr Handwerk tatsächlich gut beherrschte, und so war es beschlossene Sache. Allerdings mussten Storsha und Tankred Miyas Tagegeld stunden, weil sie es erst aus der Beute bezahlen konnten. Es hatte einiger Überredungskunst bedurft, um die Leonidin dazu zu überreden, und letztlich war es nur gelungen, als man ihr zusicherte, das Tagegeld als Spesen vor Verteilung der Beute zu verrechnen und sie danach auch noch einen regulären Anteil erhalten sollte.

Seitdem waren sie zusammen unterwegs. Erst hatten sie die Ausrüstung beschafft, die sie für diese Expedition zu brauchen glaubten. Storsha war für Waffen, Vorräte, Decken und dergleichen zuständig, denn damit kannte sie sich aus. Miya hingegen hatte Seile, Dietriche, Wurfmesser, Nadeln, Labyrinthfaden und andere Diebes- und Einbrecherutensilien beschafft, wobei Tankred annahm, dass sie das alles gestohlen hatte, aber sicher war er sich nicht und er hatte entschieden, sich da nicht einzumischen. Das war Miyas Sache. Er war für Landkarten und Aufzeichnungen über Grobak, seine mythischen Erbauer, die Flora und Fauna der Gegend, die Geschichte der Bergregion und solche Dinge zuständig gewesen. Er hatte ein paar Bücher gelesen, vor allem aber Leute in Tavernen befragt und sich alles aufgeschrieben, was er über ihr Ziel an Wissen zusammentragen konnte. Am Ende hatte er alles in einem kleinen, handlichen Tagebuch zusammengefasst, und dieses hatte er unterwegs auf Storshas Rücken von morgens bis abends studiert, sodass er es jetzt fast auswendig konnte. So hatte jeder der Drei eine feste Aufgabe, und nach allem, was sie wussten, waren sie sehr gut vorbereitet auf die Ruinen von Grobak. Noch aber waren sie nicht dort, und so stapften sie langsam weiter über die schmalen Pfade des kahlen Berglandes. Miya achtete auf die Richtung, Storsha auf den Weg, und Tankred auf Verfolger und den Himmel - man konnte schließlich nie wissen, was für Gefahren er bergen mochte.
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Die Schatzjäger - Kapitel 2

Beitrag von Spikor »

Es war schon weit nach Mittag, als Tankred tatsächlich etwas am Himmel entdeckte: "Dort vorne - eine Rauchsäule!" "Hier oben?", wunderte sich Storsha. "Scheint von einem Lagerfeuer zu sein", erklärte Miya mit Kennerblick. "Vielleicht Jäger?" Tankred schüttelte zweifelnd den Kopf. "Was soll man hier schon jagen? Und Ackerland gibt es auch nicht. Außerdem waren sich alle Einheimischen einig, dass hier oben niemand lebt." Die Frauen schwiegen, während sie nachdachten, aber es war wieder Tankred, der die Stille brach: "Es ist sowieso egal. Wir müssen diesem Pfad weiter folgen, einen anderen gibt es nicht. Wir werden auf das Feuer treffen. Die Alternative wäre nur aufgeben, und das kommt wegen eines Lagerfeuers nicht in Frage!" "Wegen des Feuers nicht, aber vielleicht wegen denen, die es entfacht haben", grummelte Miya düster, aber sie setzten ihren Weg fort. In seinen Gedanken teilte Tankred Miyas Sorge. Hier oben trieb sich niemand rechtschaffenes herum, soviel war ihnen allen klar. Aber der Zauberer vertraute darauf, dass Storshas mächtige Erscheinung genug Eindruck machen würde, um ungeschoren an dem Feuer vorbei zu kommen. Und wenn nicht, dann würde eben ihre Lanze diese Arbeit übernehmen.

Eine halbe Stunde folgten sie dem Pfad weiter, dann flüsterte Miya, ohne aufzublicken: "Wir werden beobachtet. Auf dem Bergkamm rechts über uns kann ich jemanden hören." Tankred blickte auf, aber Storsha schnaubte sofort: "Nicht hinschauen, du Idiot!" Erschrocken versuchte der Zauberer, die Bewegung als ein Strecken seines Nackens zu tarnen, aber er glaubte nicht allzu sehr daran, dass das funktioniert hatte, und Miya gab ihm Recht: "Zu spät! Schritte entfernen sich, in Richtung des Lagerfeuers... Eine Person, auf zwei Beinen. Ein Mensch oder etwas Ähnliches... Stiefel... Metall klappert - Waffen. Ein Wachposten!" Unwillkürlich war Tankred beeindruckt von Miyas Katzenohren. Sie hatte nicht einmal den Kopf drehen müssen, nur ihre Ohren selbst waren auf den Berg gerichtet. Erst jetzt, wo der Fremde weg war, blickte sie sich zu ihren Begleitern um. Tankred räusperte sich. Sein Fehler war ihm peinlich, und um ihn zu überspielen, erklärte er leichtfertig: "Der hätte uns ohnehin gemeldet, dafür war er ja schließlich da. Und wir haben ihn ja erst erkannt, als er uns auch schon gesehen hatte. Also war das hier nicht zu verhindern." Miya antwortete nicht, aber ihr Blick sprach Bände. Storsha schnaubte nur und griff nach der Lanze, die an ihrem Sattel befestigt war. "Kommt schon, Leute, dachtet ihr, das wird ein Spaziergang?", fragte Tankred, und sein Tonfall verriet, dass er eigentlich um Verzeihung bat, aber die Worte, die aus seinem Mund kamen, passten nicht dazu. Die Frauen gewährten ihm die Verzeihung aber nicht, sondern schwiegen weiterhin. Nach ein paar Augenblicken wanderte Tankreds Ärger von ihm selbst auf seine ungnädigen Begleiterinnen und er stieß ein wütendes "Los, weiter jetzt, damit sie nicht zu viel Vorbereitungszeit bekommen" hervor. Damit hatte er Recht und der Streit wurde in einer stillschweigenden Übereinkunft vertagt. Aber heute Abend, dass wussten sie alle, würde die Angelegenheit noch einmal aufgegriffen werden, zumindest wenn sie dann noch alle am Leben sein sollten. Bis dahin aber gab es Arbeit zu erledigen, und so setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung, kampfbereit jetzt und auf der Hut vor einem möglichen Hinterhalt.

Bald kam das Lagerfeuer in Sicht. Es befand sich oben auf einem Kamm, wo der Weg in das benachbarte Tal überwechselte. An dieser Stelle stand die Ruine eines Turmes, der hier wohl vor Jahrhunderten einmal den Pass bewacht hatte - Teil der Grenzbefestigung eines Reiches, das schon lange untergegangen war. Tankred grub in seinem Gedächtnis nach Informationen über die Geschichte dieses Berglandes, als sich etwas an der Turmruine bewegte und ihn wieder in die Gegenwart zurück riss. Ja richtig, das Lagerfeuer! Es stand im Inneren des halb eingestürzten Turmes und war dadurch vom Wind geschützt, der über den Bergkamm pfiff und Staubwolken vor sich her trieb. Die Leute, die es entzündet hatten, lagerten wohl auch im Inneren der Ruine, aber nun kamen sie hervor. Tankred zählte vier Gestalten, alle sahen auf die Entfernung menschlich aus, aber es konnten freilich auch Elfen oder etwas Ähnliches sein. Zwei von ihnen trugen Schilde und hatten Kurzwaffen an den Gürteln, und ein Dritter trug eine Langwaffe, vermutlich einen gewöhnlichen Speer. Sie bildeten einen Halbkreis um den Vierten, dessen Mantel verwegen um ihn wehte und ihn als Anführer auszeichnete. Was er unter dem Mantel für Waffen oder Rüstungen trug, blieb Tankreds Blick verborgen. "Also kein Hinterhalt", murrte Storsha und griff ihre Lanze fester. Dass die Fremden ihnen so offen gegenüber traten, konnte bedeuten, dass sie nicht feindselig waren. Oder, dass sie sich ihrer Beute sicher fühlten.

Miya ließ sich zurückfallen. Sie wurde fürs Einbrechen bezahlt, nicht fürs Kämpfen. Natürlich würde und könnte sie sich wehren, aber sie war kein Krieger. "Soll ich absteigen?", fragte Tankred, aber Storsha schnaubte nur leise, dass es dafür jetzt zu spät sei. "Wenn es losgeht, lass dich zur Seite runter fallen und pass auf, dass du nicht unter die Hufe kommst!" Tankred blickte besorgt auf die vier Fremden. Storsha war jedem von ihnen haushoch überlegen, aber gegen alle Vier gleichzeitig würde es auch für sie schwierig werden. Der Zauberer schielte zu Miya hinüber, die aber keine Anstalten machte, sich kampfeslustig zu zeigen. 'Also muss ich wenigstens einen von ihnen übernehmen', seufzte er still in Gedanken und entschied sich für den mit der Lanze - der dürfte Storsha wohl am gefährlichsten werden. Tankred fixierte ihn mit den Augen, während er weiter auf dem Rücken der Zentaurin thronte. Vorsichtig näherten sich die Drei den vier Turmbewohnern. Alle vierzehn Augen blickten angespannt, jeder war bereit für einen Kampf. Miya ließ sich noch weiter zurückfallen. 'Hoffentlich läuft sie wenigstens nicht weg', schoss es Tankred durch den Kopf, aber ändern könnte er daran jetzt auch nichts mehr. Als sie in Rufweite herangekommen waren, blieben sie stehen, und beide Gruppen belauerten sich ein paar Augenblicke lang.

Dann sprach der Mann mit dem Mantel, der Anführer der anderen Gruppe. Seine Stimme klang rau - er musste wohl viel herumschreien. Das sprach für eine gewisse Wildheit seiner Truppe - kein gutes Zeichen. Er sagte: "Verzeiht unsere Vorsicht, aber wir haben hier oben nicht mit Besuchern gerechnet - schon gar nicht mit so stark bewaffneten!" Er deutete mit der linken Hand auf Storshas Lanze. Unter seinem Mantel blitzte dabei kurz Metall auf. 'Na prima, der Kerl trägt eine Rüstung!', ärgerte sich Tankred still. Laut antwortete er, was ihm spontan einfiel: "Wir wussten auch nicht, dass hier oben jemand ist. Wir wollten euch weder stören noch beunruhigen. Wir sind nur auf dem Weg über den Pass!" Dabei zeigte er auf den staubigen Pfad, der an der Turmruine vorbei führte. Unwillkürlich fiel dem Magier auf, dass er seine rechte Hand benutzt hatte - damit hatte er dem Fremden gezeigt, dass er keine Waffe bereit hielt. 'Mist!', schalt er sich in Gedanken, 'hoffentlich hält er mich nur für einen Trottel und kommt nicht auf die Idee, dass ich Magie statt einer Klinge benutze!' Das war schon der zweite derartige Fehler heute. Was war nur mit ihm los? Wenn der Fremde etwas bemerkt hatte, so zeigte er es nicht, als er entgegnete: "Seltsam. Das ist doch ein sehr beschwerlicher Weg, und ein Umweg noch dazu! Wieso nehmt ihr nicht die Straße unten im Tal?" Tankred schwitzte trotz des kalten Winds, der ihm ins Gesicht wehte. Er brauchte schnell eine Ausrede. Die Fremden sahen wie Banditen aus. Was würden Banditen glauben?

"Wir wollten, äh, unauffällig bleiben!", rief er dem Mantelträger entgegen und hoffte, dabei wie einer zu klingen, der etwas verbergen wollte. Als der Fremde ihn anstarrte, ohne etwas zu sagen, wusste Tankred, dass sein Plan funktioniert hatte, und schickte hinterher: "Wir hatten, nun ja, sagen wir, wir hatten etwas Ärger im Tal, und da schien uns dieser alte Weg hier trotz alle Beschwernisse sicherer." Das sollte klingen, als ob sie im Tal gesucht würden. Mit etwas Glück, so glaubte der Zauberer, würden die Fremden sie für Ihresgleichen halten, also auch für Banditen. Tatsächlich schauten sich die anderen Männer der Gruppe aus den Augenwinkeln an. Es wirkte, als würden sie sich ohne Worte, nur mit Blicken beraten. Dann, nach bangen Momenten der Stille, ging ein Ruck durch den Mann mit dem Mantel - er hatte sich entschieden, und zwar nicht für den Kampf, denn sonst hätte er jetzt losgeschlagen. Stattdessen erklärte er, mit einem Mal freundlich: "Das tut mir leid! Sicherlich nur ein Missverständnis! Die Leute in dieser Gegend sind sehr feindselig und voller Vorurteile! Aber meine Kameraden hier und ich, wir sind aufgeschlossene Männer, wir haben Verständnis für die kleinen Missgeschicke des Lebens. Warum bleibt ihr nicht über Nacht bei uns? Ihr könntet im Windschatten der Ruine übernachten und uns am Lagerfeuer erzählen, was vorgefallen ist. Wir werden euch sicher nicht verurteilen." Erleichtert atmete Tankred aus - die Räuber glaubten seine Geschichte! Nun galt es nur noch, sie höflich abzuwimmeln, also sagte er freundlich: "Nein nein, das können wir nicht annehmen. Wir wollen euch nicht zur Last fallen. Außerdem ist es wohl besser, wenn wir möglichst schnell dieses Gebirge zwischen uns und die, äh... 'Anderen" bringen." Er räusperte sich und fuhr fort: "Es wird erst in ein paar Stunden dunkel, da können wir noch eine gute Strecke schaffen." Der Räuberhauptmann schwieg wieder ein paar Augenblicke und überlegte sich offenbar, wie er darauf reagieren sollte. Dann sagte er: "Schade, aber ich habe großes Verständnis für eure Lage. Zieht nur weiter - wir werden jedem, der euch eventuell folgen mag, sagen, dass hier niemand vorbei gekommen ist." Tankred atmete auf - sie ließen sie einfach weiterziehen! Das war ja besser ausgegangen, als er erwartet hatte. Er bedankte sich überschwänglich, dann zogen er und die beiden Frauen weiter ihres Weges, während die vier Männer vor ihrem Turm stehen blieben und ihnen nachschauten.

Sobald sie um die nächste Biegung gegangen und somit außer Sicht geraten waren, atmete der Magier aus. "Das ist ja nochmal gut gegangen!" "Aber nur für den Moment", warnte Storsha, und Miya, die weiterhin das Schlusslicht bildete, ergänzte: "Meinst du wirklich, es war eine gute Idee, ihnen vorzumachen, wir seien Banditen auf der Flucht? Wenn sie das glauben, dann meinen sie, dass wir Beute dabei haben, die sie uns abnehmen könnten. Und wenn sie es nicht glauben, dann wissen sie, dass wir gelogen haben und somit also etwas verbergen - etwas, was vielleicht auch einiges an Wert haben kann. Die haben uns nur nicht direkt angegriffen, weil sie sich ausrechnen können, dass sie gegen Storsha Probleme bekommen. Aber sie sind immerhin zu fünft, und wenn sie es schaffen, uns im Schlaf zu überraschen, wird es für sie ein leichter Sieg. "Moment mal - wieso fünf?", fragte Storsha verwirrt, aber Miya blieb ganz ruhig, als sie erklärte: "Oben auf dem Turm war noch ein Bogenschütze - er blieb hinter einer Mauer und war nicht zu sehen, aber ich konnte ihn hören. Das war ihre Rückversicherung!" "Gar nicht so dumm", meinte Storsha anerkennend. "Ja, die werden noch zu einem echten Problem für uns werden. Sie sind mehr und besser bewaffnet, und vermutlich kennen sie auch die Gegend besser. Sie werden versuchen, Storsha ohne Kampf auszuschalten, also durch einen Hinterhalt oder eine Falle. Wenn sie das schaffen, haben sie leichtes Spiel mit uns", erklärte die Katzendiebin fachmännisch. "Schon, aber was hätte ich ihnen sonst erzählen sollen?", fragte Tankred, "dass wir einen Schatz suchen? Oder dass wir hier Urlaub machen, wegen der guten Höhenluft? Wenn das Banditen sind, dann würden sie sowieso versuchen, uns zu überfallen, egal was ich ihnen erzählt hätte."

"Stimmt", bestätigte Miya, "sie haben nur gewartet wegen Storsha." Tankred nickte eifrig: "Aber wer sagt denn, dass es Banditen sind? Ganz sicher ist das ja nicht, wir vermuten es nur. Ich hab nicht gefragt, weil sie es uns sowieso nicht sagen würden, aber..." Storsha unterbrach ihn: "Oh, das sind Banditen, keine Sorge. Ich erkenne solche Typen, wenn ich sie sehe!" "Und außerdem", warf Miya ein, "was sollten sie sonst sein? Jäger? Hier oben gibt es kein Wild! Händler? Dann würden sie die Talstraßen nehmen! Nein, das sind Banditen, ganz eindeutig!" "Und wen sollen sie hier oben überfallen? Außer uns kommt doch hier niemand entlang?", fragte Tankred, aber das ließ die Leonidin nicht gelten: "Die haben hier ihr Versteck, eben gerade weil hier niemand entlang kommt. Sie lagern hier ihre Beute und sie verkriechen sich hier, wenn der Boden im Tal zu heiß für sie wird. Noch ein Grund, uns verschwinden zu lassen - sie können sich hier oben keine Zeugen leisten!" "Also schön", gab sich der Zauberer geschlagen, "dann sind es Banditen und dann ist sowieso klar, dass sie uns überfallen werden - egal, was ich ihnen vorhin gesagt hätte." Er dachte kurz nach, während sie weiter gingen. Dann kam er zu einem Entschluss: "Es wird am besten sein, wenn wir den Spieß umdrehen und ihnen auflauern, sobald sie uns nachkommen." Damit waren alle einverstanden - Drei gegen Fünf, das war ungünstig, zumal die Fünf auch noch ortskundig waren. Die beste Antwort darauf war, die Initiative zu ergreifen. Sie einigten sich darauf, so lange weiter zu ziehen, bis sie eine gute Stelle für einen Hinterhalt gefunden hätten. Dafür war Storsha zuständig, sie kannte sich mit solchen Dingen am besten aus. Bis dahin würde Miya hinten laufen und auf Verfolger achten.
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Die Schatzjäger - Kapitel 3

Beitrag von Spikor »

Die Landschaft hatte sich ein wenig geändert, nachdem sie den Turm passiert hatten. Sie befanden sich immer noch hoch oben in den Bergen, wo kein Gras wuchs und der Boden nur von Staub und Steinen bedeckt war, über die der kalte Wind wehte. Aber sie wanderten nun nicht mehr an einem steilen Abhang entlang, sondern bewegten sich ein Stück bergab in ein flaches, weites Hochtal hinab. Unten angekommen, verließen sie den Weg, der geradeaus weiter über die nächste Bergkette führte, und zogen stattdessen talaufwärts. Diese Entscheidung fiel ihnen nicht leicht, denn sie wussten, dass sie verfolgt wurden, und hatten noch keinen geeigneten Platz für einen Hinterhalt gefunden. Hier zu warten, inmitten einer völlig freien Fläche, erschien geradezu lächerlich, und da es schon dämmerte, hatten sie keine Zeit zu verlieren, denn im Dunkeln würden die ortskundigen Banditen sie leicht einholen und zur Strecke bringen können. Also eilten sie weiter, der antiken Bergfestung Grobak entgegen. Ob die Banditen von ihr wussten? Bestimmt, wenn sie sich oft in diesen Bergen aufhielten! Aber offenbar hielten sie es für schlauer, die armen Bauern in den Tälern zu überfallen, als Grobak zu plündern. Wussten sie, dass es dort nichts zu holen gab? Oder dass die Verteidigungsanlagen unüberwindlich waren? Oder wagten sie es einfach nicht, in die Finsternis der alten Ruine vorzudringen? Zweifel nagten an Tankred - waren ihre Informationen über sagenhafte Reichtümer und Schätze ganz einfach falsch? Oder waren diese Banditen einfach nur Feiglinge, die lieber alle paar Monate die selben Leute überfielen und ihnen, weil sie nicht mehr hatten, jedes Mal so wenig raubten, dass man sie bald erneut ausplündern musste, anstatt sich einmal einer wirklichen Herausforderung zu stellen und mit der gewaltigen Beute ein für alle Mal ausgesorgt zu haben? Die Dunkelheit zog herauf, während sie am Fuße eines flachen, kahlen Tals ohne jede Deckung dahin eilten.

"Verdammt, da sind sie!", rief Miya plötzlich und zeigte auf den Kamm links von ihnen, von wo sie hergekommen waren. Gegen die Abenddämmerung zeichneten sich fünf Gestalten gerade noch ab. Sie waren ihnen ein Stück voraus! "Aber wie...", stotterte Storsha, doch Miya fiel ihr zornig ins Wort: "Ist doch klar! Sie sind uns bis zum Kamm nachgegangen und haben gesehen, wie wir im Tal abgebogen sind. Da dieses Tal nur nach Grobak führt, war klar, wohin wir wollten, und offensichtlich gibt es oben auf dem Kamm auch noch einen Weg, den wir nicht kennen, der aber kürzer ist und den sie genommen haben, um uns zu überholen." "Wenn sie vor uns an der Ruine sind, dann sind es nicht mehr nur fünf gegen drei, sondern auch fünf Verteidiger hinter Mauern gegen drei Angreifer auf offenem Feld", erkannte Tankred. "Wir müssen vor ihnen da sein, sonst sind wir erledigt!" Storsha sagte nichts mehr, sondern fing an zu laufen, und Miya ließ sich auf alle Viere fallen und folgte ihnen wie eine Savannenlöwin. Beide rannten nicht mit aller Kraft, sondern trabten nur, denn sie wussten nicht, wie weit es noch war, und ihnen war klar, dass sie am Ziel noch kämpfen mussten. Trotzdem waren die Leonidin und die Zentaurin damit deutlich schneller als Menschen. Die Schatten auf dem Hügelkamm erkannten das auch und fingen an zu rennen. Noch hatten sie einen Vorsprung, aber die Zeit stand auf der Seite der kleineren Gruppe. Der Wettlauf nach Grobak hatte begonnen - zumindest für manche würde es ein Wettlauf in den eigenen Tod sein, wie Tankred erkannte, doch dann zischte etwas und ein Pfeil flog knapp an ihnen vorbei. Der Zauberer blickte sich auf Storshas Rücken um und sah, dass einer der Fünf stehen geblieben war. Der Bogenschütze holte den nächsten Pfeil aus seinem Köcher.

"Sie wissen, dass sie zu langsam sind, und du bist ein zu großes Ziel!", brüllte er Storsha zu, und sowohl sie als auch die Diebin beschleunigten vom Trab und den Galopp, befanden sie sich doch nun nicht mehr nur in einem Wettlauf, sondern in einem Wettrennen ums nackte Überleben. Der nächste Pfeil zischte knapp vorbei. Der Schütze hatte wohl verfehlt, weil Storsha so plötzlich beschleunigt hatte, aber sein Pfeil war trotzdem nahe gewesen. Der Mann verstand sein Handwerk. Nochmal würde er nicht vorbei schießen. Während sie durch das Tal stürmten und eine Staubwolke hinter sich her zogen, blickte Tankred über die Schulter und rief im richtigen Moment, wie er es schon oft mit Storsha geübt hatte: "Haken rechts!", und augenblicklich brauch sie so scharf nach rechts aus, dass sie ins Straucheln geriet und beinahe gestürzt wäre, aber es hatte sich gelohnt, denn dort, wo sie gerade noch gestanden hatte, schlug der dritte Pfeil ein. "Zurück auf den Weg, schnell!", rief Tankred und Storsha gehorchte, da sie ihm blind vertraute - zu lange waren sie schon zusammen unterwegs, zu oft hatten sie sich schon aufeinander verlassen müssen. In einer Situation wie dieser wusste jeder von ihnen, was seine Aufgabe war, und beide funktionierten einfach aufgrund ihrer eintrainierten Reflexe. Miya hatte den Haken nicht mitgemacht, aber da Storsha sowohl gefährlicher als auch leichter zu treffen war, hatte der Bogenschütze sich komplett auf sie konzentriert, sodass die Katzendiebin einfach weiter geradeaus rannte, über den jetzt im Boden steckenden Pfeil hinweg, und nun vor der Zentaurin lief. "Schneller, er kann uns bei dem Licht und der Staubwolke bald nicht mehr sehen, und wir kommen langsam aus seiner Reichweite!", feuerte Tankred die beiden Frauen an und suchte mit seinem Blick die anderen vier Gegner. Sie waren immer noch oben auf dem Bergkamm, wo sie weiter gerannt waren, aber inzwischen lagen sie zurück - Menschen waren zu Fuß einfach zu langsam! Der vierte Pfeil schlug zwei Schritte hinter Storsha ein - sie hatten es geschafft, der Bogenschütze war zu weit zurück gefallen und konnte sie auch nicht mehr gut genug sehen für einen gezielten Schuss! Sie waren entkommen - fürs Erste. Die fünf Banditen rannten nun nicht mehr, sondern fielen in einen Dauerlauf, wobei die Vier vom Bergkamm zum Bogenschützen herunter ins Tal kamen. Vermutlich konnte man hier besser laufen. Nachdem der Abstand groß genug geworden war, ließen sich auch Miya und Storsha wieder in einen Trab zurück fallen, aber man merkte ihnen an, dass die Hetzjagd sie Kraft gekostet hatte. Ob sie noch genug übrig hatten, würde sich in Grobak zeigen. Vorerst erlaubte Tankred sich, erleichtert aufzuatmen und seinen Griff um Storshas menschenähnliche Hüften zu lösen, ohne den er sich in vollem Gelopp niemals auf ihrem Rücken hätte halten können, denn obwohl die Zentaurin sich mit einer Decke schützte, erlaubte sie nicht, wie ein ordinäres Pferd gesattelt zu werden, und so hatte Tankred weder Zügel noch Knauf noch Steigbügel, um sich festzuhalten, weshalb ihm bei solchen Verfolgungsjagden nichts anderes übrig blieb, als Storsha regelrecht zu umarmen - eine für sie beide unangenehme Situation, doch offenbar war es der Kriegerin noch unangenehmer, gesattelt zu werden, und so hatte sie sich noch nie beschwert, wenn Tankred einmal in eine solche Lage gekommen war. Ihm aber war nicht ganz wohl dabei, weil er immer fürchtete, versehentlich einmal daneben zu greifen und Storshas Zorn zu wecken, und so war er froh, wieder loslassen zu können.

Im letzten Licht des Tages kam das Ende des Tals in Sicht. Dort vor ihnen lag ihr Ziel, dort vorne lag Grobak. Gerade passierten sie die erste Verteidigungslinie der alten Festung: Zwei niedrige, aber massive Türme, die einst an beiden Seiten des Tals gestanden hatten und, Tankred konnte es sich lebhaft vorstellen, damals mit Unmengen von Bogenschützen besetzt gewesen sein mussten, die jeden das Tal hochkommenden Angreifer in einem Pfeilregen niederwerfen konnten. Heute stand nur noch der linke der beiden Türme, der rechte hingegen war wohl schon vor Urzeiten zerschmettert worden und seine Trümmer hatten sich quer über das Tal verteilt. Es waren riesige Steinblöcke, größer als ein Mensch und sicher unglaublich schwer. Unwillkürlich fragte sich der Magier, wie Grobak damals eigentlich erbaut worden war. Hatten die Burgherren Riesen benutzt? Oder war es ihnen ganz einfach gleichgültig gewesen, beim Errichten so gewaltiger Mauern tausende von Menschensklaven zu Tode zu schinden? Und was für eine furchtbare Macht war nötig gewesen, um einen dieser Steingiganten derart zu zertrümmern? Es war jetzt fast völlig dunkel. "Hat keinen Sinn, weiter zu gehen. Wir kennen uns nicht aus und hier ist es so gut wie überall", meinte Miya, obwohl gerade sie als einzige der Gruppe noch genauso gut sehen konnte wie am Tage. "Die Felsbrocken geben uns Deckung vor dem Bogenschützen, der nachts ohnehin nichts sieht, und zwischen den Steinen können sie ihre Überzahl nicht so gut ausspielen." "Falls der Bogenschütze nicht einer von deinen Leuten ist", knurrte Storsha, doch sie hielt an, denn sie wusste, dass die Diebin Recht hatte. Tankred stieg vom Rücken der Zentaurin, die ihre Lanze zückte und ein Stück weiter ging, bis sie hinter einem besonders großen Mauerteil fast vollständig verschwand. Miya kletterte auf einen anderen großen Stein und kauerte dort oben auf allen Vieren. Tankred hörte das Geräusch ihres Dolches, der aus seiner Scheide gezogen wurde. Der Magier war nicht sonderlich gut im Umgang mit solchen Waffen, aber auch er hatte einen Dolch dabei, den er jetzt zog. Hinter einem kleineren Steinbrocken ging er in die Hocke. Zeit, um ihre Rüstung anzulegen, hatte Storsha nicht mehr, es musste also auch ohne gehen. Sie griff ihre Lanze mit beiden Händen. Still warteten sie auf ihre Feinde, deren Schritte sie bald näherkommen hörten.

Dann aber verhallten die Schritte, und es wurde still. Tankred hielt den Atem an. Was sollte das nun wieder bedeuten? Dann sah er es: Die Banditen waren stehen geblieben, um Fackeln zu entzünden, und nun warfen sie diese in das Trümmerfeld. Aber nur vier der Räuber machten Licht, der Bogenschütze hingegen hatte die ganze Zeit mit eingelegtem Pfeil gelauert, und nun brauchte er nur Augenblicke, um auf Miya zu zielen, deren Katzenaugen das Licht reflektierten. Im letzten Augenblick ließ die Diebin sich hinter ein Trümmerstück fallen und der Pfeil ging ins Leere, aber der Hinterhalt war damit auch gescheitert. Storsha, welche die meisten Trümmerstücke deutlich überragte, musste aus dem Licht heraus, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als das Trümmerfeld in Richtung Grobak zu verlassen, bis die Finsternis sie verschluckt hatte. Tankred konnte hören, wie ihre Hufe stehen blieben, aber sehen konnte er sie nicht mehr. Damit war sie aus der Reichweite des Bogenschützen, aber sie konnte ihnen auch nicht mehr helfen. 'Verflixt, unsere beste Kämpferin!', ärgerte sich Tankred, und dann war die Zeit des Planens und Taktierens vorbei. Der Bogenschütze blieb mit eingelegtem Pfeil stehen und würde auf jeden schießen, der den Kopf aus der Deckung nahm. Das Licht der Fackeln war flackernd und diffus, und sie warfen lange Schatten, aber es würde reichen. Die anderen vier Männer zogen ihre Waffen. Die beiden mit den Schilden hatten Beile, mit denen sie kurz auf die runden, hölzernen Schilde klopften, bevor sie vorrückten, den Speerträger als Spitze eines Dreiecks vor sich in der Mitte. Der Anführer nahm sich noch die Zeit, seinen Mantel abzuwerfen - darunter trug er einen Schuppenpanzer - und ein Schwert und einen Parierdolch zu zücken, denn folgte er seinen Männern, als sie das Trümmerfeld betraten.

Der Speerträger war der gefährlichste Gegner für Storsha, doch in diesem Trümmerfeld war er das schwächste Glied der Banditenbande, und Miya nutzte dies sofort aus. Hinter einem Stein hockend schleuderte sie ihren Dolch, der den Mann zwischen die Rippen traf. Mit einem Schrei sackte er auf die Knie und ließ seine Waffe fallen, aber tot war er nicht. Trotzdem - kämpfen würde er heute nicht mehr, und das neue Tageslicht erleben würde er vermutlich auch nicht. Die beiden Axtkämpfer stürmten sofort auf Miya los - beim Werfen hatte sie kurz aus der Deckung kommen müssen, und nun verschwand sie wieder in den Schatten, doch beide Männer waren hinter ihr her und einer verfehlte sie nur knapp, als die Klinge seiner Waffe Funken schlagend über einen Stein kratzte. Das war Tankreds Gelegenheit. Er stieß aus der Hocke heraus nach oben zu, als einer der beiden Schildträger an ihm vorbei kam, ohne ihn zu sehen, aber der Zauberer spürte, dass sein Angriff fehlgegangen war, denn der Dolch kratzte nur über das Schulterblatt des Gegners. Eine schmerzende, blutende Wunde war entstanden, die sich womöglich entzünden würde, aber jetzt half das dem Zauberer nichts. Sein Gegner stieß den rechten Arm zurück und rammte Tankred den Ellenbogen in den Bauch. Mit einem Ächzen fiel der Zauberer zu Boden und verlor seine Waffe. Der verletzte Mann schlug mit der Axt nach ihm und Tankred kroch auf allen Vieren rückwärts, um ihm zu entkommen, ohne dabei dem Bogenschützen ein Ziel zu bieten, aber auf diese Weise war er zu langsam und sein Feind holte ihn schnell ein. Als der Mann die Axt hochriss, um Tankreds Schädel zu spalten, erfüllte ein Rauschen die Luft, und Storshas Lanze, die sie aus der Dunkelheit heraus ins von den Fackeln erhellte Trümmerfeld geschleudert hatte, bohrte sich in seine Eingeweide, bis sie hinten wieder heraus kam. Mit einem blutigen Gurgeln taumelte der Mann kurz, dann fiel er wie ein gefällter Baum zu Boden. Aber auch er war nicht tot, sondern begann, sich im Dreck zu winden und zu schreien, und jeder, der schon einmal solche Schreie gehört hatte, wusste, dass kein Heiler und kein Zauberer ihm noch helfen konnte, aber dass es leicht noch zehn oder sogar zwanzig Minuten dauern könnte, bis sein Todeskampf endlich vorbei wäre, und die ganze Zeit über würde er brüllen und um sich schlagen. Tankred, abgehärtet durch die vielen Kämpfe, die er schon gesehen hatte, kroch hinter den Steinen ein Stück weg, ohne sich weiter um den Mann zu kümmern. Was war aus dem anderen Axtkämpfer geworden? Und wo war der Anführer in seiner Rüstung?

Beide befanden sich im Trümmerfeld, und der Axtkämpfer blickte sich um, als er die Todesschreie seines Kameraden hörte, doch der Anführer rief ihm zu: "Bleib an der Katze dran und erledige sie! Die Stute kann uns nichts mehr, sie hat ihre Waffe geworfen, und wenn sie jetzt noch was machen will, muss sie unbewaffnet ins Licht kommen, wo Sandra sie erwischen wird! Ich kümmere mich um den Waschlappen, dann helfe ich dir!" Erstaunt registrierte Tankred, dass der Bogenschütze offenbar eine Frau war, und gleichzeitig wunderte er sich darüber, dass sein Gehirn diese Information überhaupt wahrgenommen hatte, denn sie war im Moment völlig unnütz. Storsha war zweifellos wütend darüber, als Stute bezeichnet worden zu sein, aber das war jetzt nicht Tankreds Problem. Dass er selbst als 'Waschlappen' galt, hatte er kaum gehört und es interessierte ihn auch gar nicht, denn als er weiter auf allen Vieren zwischen den Trümmern herum kroch und seine Waffe suchte, fand er den Mann, den Miya vorhin mit dem Dolch erwischt hatte. Er lag am Boden und rührte sich nicht mehr, und Tankreds Magie sagte ihm, dass kein Leben mehr in dem erkaltenden Körper steckte. Perfekt! Ein letzter Blick auf den Banditenanführer - er war noch weit genug weg - und Tankred richtete seine rechte Hand auf den Leichnam vor sich. Dieser wurde von einem bläulichen Schimmer eingehüllt und riss die kalten, leblosen Augen auf. Ruckartig fing er an, sich zu bewegen, und richtete sich mit schierer Gewalt auf, indem er sich auf seinen Speer stützte wie auf eine Krücke. "He, Gerold, bist du den Dolch losgeworden? Sehr gut! Hilf mir, den Waschlappen einzukreisen, dann sind wir bald hier fertig", befahl der Räuberhauptmann, doch Gerold hörte nicht mehr auf seine Befehle, denn er gehorchte nur noch dem Totenbeschwörer, der ihn beherrschte. Tankred zögerte kurz. Es war verlockend, den Zombie auf den Anführer zu hetzen, aber dieser war viel besser gepanzert und würde den Kampf gegen seinen Kameraden vermutlich bald gewonnen haben. Nein, es war besser, die Chancen auszugleichen. Mit einem Grinsen im Gesicht zeigte Tankred auf Sandra, die Bogenschützin, und Gerold gehorchte und setzte sich in ihre Richtung in Bewegung.

"He, Gerold, hörst du schlecht?", fragte der Anführer, und "Bist du in Ordnung?" fragte Sandra. Der Zombie nahm Geschwindigkeit auf, erst ungelenk, dann immer schneller, und begann, auf die Bogenschützin zu zu rennen. "Bist du verrückt geworden? Bleib stehen!", schrie diese, nun eindeutig besorgt. Aber Gerold blieb nicht stehen. "Letzte Warnung, Mann!", rief die Frau, in deren Stimme erstmals so etwas wie Angst zu lesen war, doch sie vergeudete nur wertvolle Zeit damit. Als der Zombie immer noch nicht stehen blieb, richtete sie ihre Waffe auf ihn und schoss. Der Pfeil bohrte sich nicht weit von Miyas Dolch entfernt in die tote Brust und ließ die Kreatur taumeln, aber sie fing sich wieder und rannte weiter auf die Schützin zu. Diese erkannte jetzt, dass sie zu lange gezögert hatte und die Zeit nicht mehr reichte, einen neuen Pfeil einzulegen. Vielleicht wusste sie auch gar nicht, wohin man bei einem Zombie schießen musste? Jedenfalls begann sie schreiend wegzulaufen, und der Zombie folgte ihr in die Dunkelheit. Die beiden anderen Banditen waren durch diese furchtbare Szene abgelenkt gewesen, aber der Anführer fing sich jetzt wieder und rief seinem letzten Kämpfer zu: " Ein Nekromant! Der Mistkerl ist ein verdammter Nekromant! Wir müssen ihn erledigen, dann ist auch der Zombie erledigt!" Gerade als der Axtkämpfer sich in Bewegung setzen wollte, kam Miya aus den Schatten heraus gesprungen und fiel ihn von hinten an. Sie krallte sich an seinem Rücken fest und verbiss sich in seinem Hals. Schreiend gingen beide zu Boden und waren zwischen den Trümmerstücken nicht mehr zu sehen, aber man konnte den Mann weiter kreischen hören. Tankred hatte schon von dieser Kampftaktik der Leoniden gehört. Sie hielten sich mit ihren Krallen am Feind fest und verbissen sich in seinem Hals, dann warteten sie, bis er verblutet war. Wer wusste, dass er gegen Leoniden kämpfen musste, trug deshalb immer einen Panzerkragen, aber gewöhnliche Banditen hatten so etwas natürlich nicht. Der Mann war erledigt, und jeder auf diesem Schlachtfeld wusste es.

Der Anführer der Banditen hingegen rannte nun direkt auf Tankred zu. Wenn er ihn töten könnte, würde seine Bogenschützin zurückkehren und er hatte vielleicht noch eine kleine Chance, diese Nacht zu überleben. Tankred rannte um sein Leben. Er wusste, dass die Zeit auf seiner Seite war, aber trotzdem durfte er sich jetzt nicht erwischen lassen. Der Kampf war fast gewonnen, aber nur fast. Keine Fehler jetzt, nur weg von hier! Der Zauberer hörte hinter sich das Klirren der Rüstung seines Verfolgers, und er hörte sein eigenes Herz so laut pochen, dass er glaubte, er zerreiße ihm gleich das Trommelfell. Dann aber mischte sich ein anderes Geräusch unter dieses Pochen, ähnlich, aber nicht völlig gleich. Es war eher wie ein Klopfen - Storsha kam heran galoppiert und riss im vorbeigehen ihre Lanze aus dem halbtoten Mann, trampelte dabei noch über ihn hinweg und beendete sein Leben damit auf eine fast schon gnädige Weise schneller, als es ihr Lanzenwurf vorhin getan hätte. Sie schlug einen Bogen und schnitt dem Banditenanführer den Weg ab, während die Schreie des letzten verbliebenen Axtkämpfers im Hintergrund langsam erstarben. Der Räuberhauptmann wusste, dass er verloren hatte, und blieb stehen. Er war immer noch gut bewaffnet und gepanzert, aber er stand jetzt allein gegen viele, vor allem wenn Tankred noch mehr Tote wieder erwecken würde.

Stumm wechselten der Bandit, der Nekromant und die Kriegerin einige Blicke. Dann sprach der noch lebende, aber im Grunde schon tote Feind: "Lasst Sandra laufen. Ihr habt doch auch so gewonnen." Storsha antwortete ohne merkliche Gefühlsregung in der Stimme, weder Mitleid noch Hass: "Du weißt, dass das nicht geht. Ihr räumt doch auch immer hinter euch auf, und keiner will irgendwann mal im Schlaf erdolcht werden von einem rachsüchtigen Feind, den er vor Jahren laufen gelassen hat und an den er sich schon gar nicht mehr erinnert." Traurig nickte der Mann. Ihm schien wirklich etwas an seiner Kameradin zu liegen, aber er sagte: "Ja, ich weiß. Aber beantwortet mir noch eine letzte Frage: Was zum Teufel wollt ihr hier oben? Seid ihr hinter uns her, um euch das Kopfgeld zu holen?" "Wir wussten gar nicht, dass ihr hier seid, und auch von einem Kopfgeld wussten wir nichts. Aber danke, dass du uns das gesagt hast. Wir werden das Kopfgeld gerne nehmen", erklärte Miya, die jetzt auch hinzu gekommen war. In der Ferne hörte man eine Frau schreien - Sandra hatte ihren Wettlauf mit dem Zombie wohl verloren. Der Banditenanführer blickte schmerzerfüllt auf. Tankred war es, der dem Mann seine letzte Frage beantwortete: "Wir sind hier, weil wir Grobak plündern wollen." Der Mann lachte auf. "Ha, das haben schon viele versucht. Lächerlich, selbst für euch! Keiner ist je wieder aus dieser Ruine heraus gekommen!" "Mag sein, aber wir haben ja jetzt ein paar Zombies, die wir voraus schicken können. Vielen Dank dafür", erklärte Tankred kalt. Dann erweckte er die beiden Axtkämpfer zum Leben und ließ sie gegen den Räuberhauptmann antreten. Es gab keinen Grund, warum Storsha oder Miya sich verletzen sollten gegen diesen gut gepanzerten Gegner. Erst, als er beide Zombies regelrecht zerstückelt hatte und auch Tankreds Magie sie nicht mehr in den Kampf schicken konnte, griffen die beiden Frauen an. Da war der Bandit schon am Schwertarm verwundet und außerdem ziemlich erschöpft. Er hielt sich noch eine Weile, aber das Ende war unausweichlich. Danach nahmen sie die Fackeln und suchten auch die Bogenschützin - niemand wollte nach diesem Kampf noch ein Risiko eingehen. Sie fanden die Frau vom Speer ihres toten Freundes durchbohrt. Der Untote selbst war, obwohl von mehreren Pfeilen gespickt, nicht sonderlich beschädigt und kam zu ihnen zurück, sobald er sein blutiges Werk vollbracht hatte. Tankred übernahm auch Sandras Körper und den des Räuberhauptmanns, und nun hatten sie drei Soldaten, die sie bei der Erkundung Grobaks voraus schicken konnten. Zufrieden schlugen sie etwas abseits der Toten, aber immer noch zwischen den Trümmern, ihr Nachtlager auf, ließen ihren Schlaf von den Zombies bewachen und ruhten sich aus. Vor allem Tankred brauchte Erholung, denn so viele Tote zu erwecken kostete auch viel Kraft. Aber es hatte sich gelohnt. Von den Fehlern des Vortages sprach keiner mehr, denn alles war ja gut ausgegangen. Im Licht des neuen Tages sammelten Miya und Tankred ihre Dolche auf, während Storsha und die Untoten das Lager abbrachen, das sie im Dunkeln schnell errichtet hatten. Danach verließen sie das Trümmerfeld und marschierten gen Grobak.
Oben auf dem Kopf sind zwei spitze Ohren angebracht.
Damit hört sie weg, wenn man sie ruft.
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Die Schatzjäger - Kapitel 4

Beitrag von Spikor »

Das Tal blieb eher flach und breit, aber ein bisschen schmaler wurde es mit der Zeit, während die nun doppelt so große Gruppe bergauf zog. Tankred, der jetzt nicht mehr auf Storsha ritt, ließ seine untoten Diener voraus gehen, obwohl er hier noch nicht mit irgendwelchen Fallen rechnete. Nach dem Trümmerfeld der beiden äußeren Wachtürme stießen sie auf die Reste einer Mauer, die einst das Tal von einer Seite zur anderen abgesperrt hatte, nun aber an mehreren Stellen durchbrochen war. Ob sich hier einst Tore befunden hatten oder einfach nur Mauerwerk eingestürzt war, konnte heute niemand mehr feststellen. Die Mauer war vielleicht fünf Schritte hoch gewesen und wäre für einen Angreifer mit einer Leiter kein allzu schwieriges Hindernis gewesen, aber sie hätte ganz sicher ausgereicht, um einen großangelegten Angriff zu brechen. Nachdem sie diese zweite Verteidigungslinie überschritten hatten, sahen sie Grobak zum ersten Mal. Die Festung wurde von einer zweiten, doppelt so hohen Mauer eingefasst, die noch weitgehend intakt war. Es gab drei Tore, von denen eines unter den Trümmern eines eingestürzten Turmes begraben lag. Die anderen beiden standen offen, da die Torflügel teilweise verrottet, teilweise eingedrückt und zertrümmert waren. Hinter den Mauern sah man die Fassade der Bergfestung sich noch viele weitere Stockwerke hoch die das Tal abschließende Felswand hinauf ziehen - Fenster, Balkone, Erker, zum Teil eingestürzt, zum Teil aber auch noch am ursprünglichen Platz befindlich. Jeder Schatzjäger wusste, dass ihre Erbauer die Festung tief in die Felswand hinein getrieben hatten, und deshalb war es naheliegend, dass es im Inneren schon damals sehr dunkel und stickig gewesen sein musste - um dem entgegen zu wirken, hatte man selbst in großer Höhe noch Fenster und Türen nach draußen angebracht, die gleichzeitig auch eine weitere Verteidigungslinie darstellten, da sie weit oben sicher vor Leitern oder Belagerungstürmen waren und einen guten Standort für Bogenschützen abgaben, falls ein Feind trotz aller Mauern in die Festung eindringen sollte. Am Ende hatte das alles freilich nichts genutzt - die überall sichtbaren Zerstörungen bewiesen, dass auch Grobak irgendwann seinen Meister gefunden hatte. Tankred beunruhigte das nicht, denn er wusste, dass alles, was Menschen bauen konnten, auch von Menschen zerstört werden konnte, ganz zu schweigen von Mächten, die viel größer als Menschen waren, wobei er wieder an den eingestürzten Turm dachte, in dessen Trümmern sie heute Nacht gekämpft hatten.

Sie betraten die Anlage durch das Tor in der Mitte - es war ein doppeltes Tor mit einer Biegung, um auch hier nochmals ein Bollwerk gegen Angreifer zu bieten - und erreichten den großen Vorplatz der Anlage. Die Mauern gingen von Talseite zu Talseite und stießen direkt an die Felswände des Berges. An der Innenseite der Mauern und auch mitten auf dem Vorplatz gab es Reste von kleinen Häusern oder Hütten, die wohl hauptsächlich aus Holz bestanden hatten. Der Boden war teils gepflastert, teils sandig, und der Wind heulte um die Mauerecken und durch die Winkel. Dem Tor gegenüber lag eine Wand, die im unteren Teil wie eine Mauer und im oberen Teil wie eine Häuserkette aussah. An mehreren Stellen führten Straßen zwischen den Gebäuden hindurch. Hinter dieser Häuserzeile lag vermutlich noch ein kleinerer Platz und dann sollten die Zugänge in den Berg hinunter an der Reihe sein. Außer dem Wind rührte sich nichts, aber immer wieder lagen verrostete Waffen oder Helme am Boden herum, und wo der Wind den losen Sand etwas aufgewirbelt hatte, kamen mehr als einmal bleiche Knochen zum Vorschein, die letzten Überbleibsel der Verteidiger Grobaks. Viel war von den Armeen der Vergangenheit nicht mehr übrig, nach so vielen Jahren hatten sich die Geier und der Wind wohl das meiste geholt. "Sollen wir uns die Häuser ansehen?", fragte Miya etwas beklommen. Tankred konnte es ihr nicht verdenken. Man spürte das Alter dieser Festung regelrecht, und die ungeheure Macht, die sie damals zerstört hatte. Dazu kamen all die Schauergeschichten, die man sich über diesen Ort erzählte. Kein Wunder, wenn die Diebin sich angesichts der gewaltigen Größe und des unglaublichen Alters der Burg etwas eingeschüchtert fühlte. Deshalb bemühte der Zauberer sich, mit möglichst fester Stimme zu sprechen, als er antwortete: "Nein, das waren nur Wohnquartiere für Gäste und die Wachmannschaft, und nach all der Zeit sind die längst völlig ausgeplündert. Wir wollen in den Berg selbst hinein." "Dann los", knurrte Storsha und setzte sich in Bewegung.

Die Gassen zwischen den Häusern waren schmal und verwinkelt, zweifellos zum Zwecke einer leichteren Verteidigung. Dort, wo es noch Straßenpflaster gab, hallten ihre Schritte zwischen den kalten Mauern und ihren leeren Fenstern, die wie tote Augen auf sie herabzublicken schienen, und jeder außer den Untoten blickte nervös nach oben - alle fühlten sich beobachtet, doch das lag wohl eher an ihrer Fantasie als an der Wirklichkeit. Gruselgeschichten hatten eben ihren ganz eigenen, auf ihre Weise unwiderstehlichen Charme. Auf dem hinteren, engeren zweiten Platz wurden die Skelette häufiger, vielleicht weil sie hier eher vor Wind und Raubtieren geschützt lagen. Verrostete Schwerter lagen immer noch in knochigen Händen, und Totenschädelaugen starrten unter verbeulten Helmen hervor. Einige der Knochen brachen, als die schwere Storsha auf sie trat, und jedes Mal hallte das hohle Knacken, das dabei entstand, von den Fels- und Hauswänden wider. Storsha zuckte jedes Mal zusammen, so angespannt erwartete sie einen Hinterhalt, aber mit ihren vier Füßen fiel es ihr schwerer als den anderen, keinen der dich an dicht liegenden Knochen zu berühren. Es kam aber kein Hinterhalt, es konnte auch keiner kommen. Die Toten, die hier herumlagen, waren so alt, dass nicht einmal Tankreds Magie sie wieder zum Leben erwecken könnte. Von diesem knochenübersäten Platz führten breite Stufen zu einem Steingeländer. Auch auf den Stufen gab es kaum einen Platz, um die Füße hinzusetzen, so voller Knochen und Metallteilen waren sie. Das Geländer begrenzte eine kleine Art Terrasse, die erstaunlicherweise fast ganz frei von Trümmern und Leichenteilen war. Zerbrochene Steinbänke wiesen darauf hin, dass hier einst die Burgherren gesessen und auf ihr Reich hinab geblickt hatten. Hinter der Terrasse ragte der Berg höher als alle Türme steil in den Himmel. Er war hier mit regelrechten Hausmauern verkleidet - Balkone und kleine Treppen reichten mehr als zehn Stockwerke hoch an seinem Abhang hinauf, aber diese Gebäude hatten keine Rückseite mehr, denn dort lag blanker Fels. Wer konnte schon sagen, wie weit sie ins Gestein hinein reichten? An vielen Stellen gab es Fenster und Türen, sowohl hier unten als auch in jedem anderen der vielen Stockwerke, doch in der Mitte der Terrasse gab es ein großes Tor, flankiert von Türmen, die ebenfalls direkt an die Felswand angesetzt waren. Das Tor stand offen und Dunkelheit gähnte daraus hervor. Dies war der Weg in den Berg hinein.

"Na schön", sagte Tankred geschäftsmäßig und brach damit die Grabesstille, die sich über die Gruppe und die ganze Burg gelegt hatte, "hier geht es weiter, und ab hier wird es gefährlich. So lückenhaft die Berichte auch sind, bis hierher gibt es welche. Das heißt, dass es genug Leute gibt, die jetzt umgekehrt sind und von ihren Erlebnissen berichtet haben. Natürlich", fügte er hinzu, "dürfen wir davon ausgehen, dass auch Leute, die weitergegangen sind, überlebt haben - sie waren nur nicht so dumm, das überall herum zu erzählen. Trotzdem, da drin warten vermutlich einige antike Fallen auf uns, und vielleicht auch Schlösser, die geknackt werden wollen. In den Gängen der Anlage leben heute sicher irgendwelche Raubtiere, und außerdem kann man sich darin wohl auch recht leicht verlaufen. Einsturzgefährdet sind manche Gänge vermutlich auch. Zum Glück sind wir auf all das vorbereitet!" Sie rasteten ein letztes Mal, aßen und tranken, ließen alle Ausrüstung, die sie da drinnen nicht brauchen würden, gut aufgeräumt in einer windgeschützten Ecke zurück, legten ihre Rüstungen an und entzündeten ihre Fackeln.

Miya trug eine leichte Lederrüstung mit Arm- und Beinschützern, aber ohne Handschuhe oder Stiefel, damit sie den Boden mit ihren Pfoten fühlen und sich mit ihren Krallen festhalten konnte. Außer ihren Messern, einer Feldflasche und einem Brotbeutel hatte sie einen Rucksack mit allerlei Dietrichen, Drähten und dergleichen dabei. Storsha legte sich einen Ringpanzer an, der den Pferdeteil ihres Körpers wie eine an den Seiten herunterhängende Decke schützte, beim Laufen aber verräterisch klapperte. Aus dem gleichen Material war eine Weste, die sie ihrem Menschenkörper überzog. Dazu kamen ein Metallhelm mit Nasenschild und eiserne Handschuhe. Ihre Lanze hielt sie in der Hand, dazu hatte sie sich einen Gürtel mit zwei Beilen umgebunden. Über ihren Pferderücken hingen neben zwei Rollen Seil auch zwei große Satteltaschen, in denen sich Storshas Vorräte und einige Heiltränke sowie ein paar Kletterhaken befanden. Auf dem Rückweg sollten diese Taschen mit Schätzen gefüllt sein. Tankred trug keine Rüstung, denn die vielen Metallteile hätten seine Magie behindert. Stattdessen zog er einen wattierten Waffenrock über, also dicken, stabilen Stoff, der gleichermaßen wärmte wie schützte, zumindest vor leichten Verletzungen. Auf ein paar metallene Gegenstände verzichtete er jedoch nicht: Seinen Dolch, einen Ring, dessen Stein, ein kleiner Smaragd, seinen Träger vor magischen Angriffen schützte, und eine Halskette mit Silbermedallion, ein bewährtes Mittel gegen so manche schwarzmagische Bedrohung. Auch der Nekromant hatte eine Lederrucksack auf dem Rücken, in dem sich seine Zaubertränke und seine Nahrungsvorräte befanden. Sein Notizbuch hielt er in der freien Hand, steckte es unterwegs aber auch immer wieder in seinen Gürtel, wo es eine besondere Lasche dafür gab, damit er es nicht so leicht verlieren würde. Die Untoten brauchten keine Vorräte, aber ihre Sinne waren nicht besser, als sie es zu ihren Lebzeiten gewesen waren, deshalb war es gut, dass sie ihre eigenen Fackeln mitgebracht hatten.

"Gerold", zeigte Tankred auf den speertragenden Zombie, "geht voraus, und sein Hauptmann folgt ihm und gibt ihm Rückendeckung." Sie wussten immer noch nicht, wie der Räuberhauptmann eigentlich hieß. "Danach kommt Miya und sucht nach Fallen, dann ich, dann Sandra, sie gibt den Leuten vorne Deckung mit ihrem Bogen. Storsha sichert uns nach hinten ab." Diese Reihenfolge hatte auch den Vorteil, dass der Räuberhauptmann, der mit seiner Rüstung der Zweitschwerste der Gruppe nach der Kriegerin war, testen konnte, ob der Boden Gewicht trug. "Wenn Miya nach Fallen suchen soll, müsste sie dann nicht vorne gehen?", fragte Storsha. "Eigentlich schon", antwortete der Zauberer, "aber wozu sie riskieren? Die meisten Fallen werden einem Zombie nicht viel tun, also was solls? Außerdem geht sie ja gleich hinter den beiden, viele Fallen wird sie also trotzdem noch rechtzeitig erkennen, bevor irgendjemand sie auslöst." So unwohl die Katzendiebin sich mit den Untoten fühlte, so recht war ihr diese Entscheidung, und da die drei Räuber dazu keine Meinung hatten - sie hatten zu gar nichts mehr irgendeine Meinung - war die Sache entschieden und die Gruppe betrat den unterirdischen Teil Grobaks.
Oben auf dem Kopf sind zwei spitze Ohren angebracht.
Damit hört sie weg, wenn man sie ruft.
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Die Schatzjäger - Kapitel 5

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Es war ein seltsames Gefühl, den dunklen Schlund zu betreten, der vor ihnen gähnte, denn genau so war der steinerne Rahmen des Tores gearbeitet, das sie durchschritten. Er sah aus wie das Maul eines Dämons, weit geöffnet wie das einer Schlange, die ihre Kiefer ausrenkt, um eine Beute verschlingen zu können, die eigentlich zu groß für sie war. Doch sobald sie den ersten Schritt getan hatten, wurde es leichter, denn drinnen war alles genau so, wie sie es erwartet hatten. Durch die vielen Fenster und Türen, die sich dutzende Meter hoch an der Außenwand erstreckten, fiel genug Licht herein, um zu erkennen, dass sie sich auf einer Art gepflasterter Straße befanden. Sie war breit wie in einer großen Stadt, und die Felswände an ihren Seiten waren bearbeitet, dass sie aussahen wie Fassaden von Stadthäusern. Türen und Fenster dieser Häuser standen meist offen, denn das Material, das sie einst verschlossen hatte, war schon lange zu Staub zerfallen. Ein paar Türen hatten noch Bestand, denn sie waren aus Eisen gearbeitet, dass hier drinnen in all den Jahren nicht verrostet war. Sie warfen ein paar Blicke in die ersten, offen stehenden Häuser, und fanden nichts Ungewöhnliches darin. Also entschieden sie, sich mit diesen Gebäuden nicht weiter abzugeben, und gingen zügig an ihnen vorbei die Hauptstraße entlang ins Innere der Anlage. Es gab auch immer wieder Seitenstraßen, doch sie wollten sich nicht verlaufen und blieben auf dem Hauptweg - er musste nach aller Vernunft ins Zentrum der Anlage führen, wo auch der Schatz verborgen sein dürfte.

Je weiter sie in den Berg vordrangen, desto blasser wurde das Tageslicht, und bald waren sie froh, ihre Fackeln dabei zu haben. Auf dem Boden lagen nun immer öfter Gegenstände oder deren Reste herum, und man konnte erkennen, dass Vieles davon einmal Truhen, Kisten oder Krüge gewesen waren. Dazwischen gab es Skelette. Keine einzelnen Knochen wie draußen, wo der Wind und die Vögel das meiste verstreut hatten, und wo auch Vieles im Sand versunken war. Hier drinnen, ohne Sonnenlicht und ohne Wind, geschützt vor den Vögeln, waren die Toten nicht so zerfleddert wie draußen. Manche trugen noch Waffen und Rüstungen, andere mussten normale Kleidung getragen haben, von der aber nichts mehr übrig war. Die Kisten und zerstörten Haustüren erzählten die Geschichte von Grobacks Ende. "Nachdem die Mauern gefallen waren, flüchteten sich die Bewohner in den Berg, der sie schon oft gerettet hatte", berichtete Tankred, aus seinem Notizbuch vorlesend. "Doch ihre Feinde folgten ihnen und gelangten bis hierher, wo sie ein Gemetzel unter den Bewohnern anrichteten und alles ausplünderten, was sie tragen konnten." "Wie lange ist das jetzt her?", fragte Storsha. "Viele tausend Jahre." "Dann ist es unnatürlich, dass die Knochen noch da sein, denn nach so langer Zeit wären sie auch ohne Licht und Luft verrottet!" "Ja, und die, die draußen lagen, auch", ergänzte Miya. "Aber sie sind nur verstreut, nicht verrottet. Warum nur?" Tankred blätterte in seinem Buch: "Die Einheimischen meinen natürlich, dass Schwarze Magie im Spiel wäre, ein Fluch oder so. Aber mir ist kein Zauber bekannt, der so etwas bewerkstelligen könnte. Vor Urzeiten mag es einen solchen Zauber gegeben haben, das kann ich nicht ausschließen, aber sehr wahrscheinlich ist es nicht. Ich denke eher, dass es mit der Art und Weise zu tun hat, wie Grobak fiel - mit den Waffen und Zaubersprüchen, die die Angreifer benutzt hatten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Zauber die Leute sofort skelettiert haben und die Knochen dann irgendwie konserviert wurden."

Miya blieb stehen und sah sich ein Skelett genauer an. "Es ist nicht mehr ganz vollständig, einige Kleinteile fehlen", berichtete sie. "Und die großen Knochen haben alle Bissspuren." Das widersprach Tankreds These und Storsha spekulierte: "Vermutlich Ratten - sie haben hier wohl jahrzehntelang von den Überresten leben können. Dann wären die Leute aber nicht gleich skelettiert worden." Tankred musste zugeben, dass die Idee mit den Ratten plausibel klang. "Dann weiß ich auch nicht - jedenfalls habt ihr Recht, dass die Knochen eigentlich verrottet sein müssten, und dass sie es nicht sind, kann eigentlich nur magische Ursachen haben." "Also doch ein Fluch...", unkte Miya. "Jedenfalls muss das mit all den Toten ein Paradies für die Ratten gewesen sein", meinte Storsha und beendete damit das unangenehme Thema, denn niemand wusste darauf noch etwas zu sagen und alle sahen vor ihrem geistigen Auge ganze Heerscharen von Ratten die zahlreichen Kadaver vertilgen. Nun aber war von den Biestern nichts mehr zu sehen. Womöglich waren sie nach draußen zurück gekehrt, oder sie hatten sich am Ende gegenseitig gefressen, als nichts anderes mehr da war. Immerhin war das alles mehrere Jahrtausende her. Schweigend setzten sie ihren Weg ins Innere der Festung fort.

Ihre Probleme begannen, als der Hauptgang plötzlich versperrt war. Die Decke war eingestürzt. Mit dem Gewicht eines ganzen Berges über sich war es nicht möglich, sich durch das Geröll hindurch zu graben. Im Gegenteil, so fürchteten sie, würde es vielleicht nur einen größeren Einsturz nach sich ziehen, wenn sie an dem Schutthaufen herumwerkelten. So wie die Trümmer dalagen, hielten sie immerhin schon zahlreiche Jahrhunderte, es gab also keinen Grund, einen neuen Einsturz zu fürchten, solange man nicht an den Stein- und Mauerteilen zog oder zerrte. Doch wie sollte es weitergehen? Nach kurzer Beratung entschieden sie, ein kleines Stück zurück zu gehen bis zu einer Stelle, wo es eine Abzweigung gegeben hatte. Sie hofften, auf eine Art Parallelstraße zu kommen und nach ein oder zwei Blocks zurück auf den Hauptweg zu gelangen. Um sich nicht zu verlaufen, brannten sie mit ihren Fackeln Markierungen an die Hauswände der Abzweigung, dann bogen sie ab.

Die Nebenstraße war schmaler als der Hauptweg, die Wände der Häuser, die nur aussahen wie Mauerwerk und tatsächlich aus bearbeitetem Felsgestein bestanden, rückten näher und sie alle fühlten das Gewicht des Berges viel deutlicher über sich als auf dem Hauptweg. Auch hier gab es Fenster und Türen in den Hauswänden, und auch diese standen meist offen. Im Schein der Fackeln zogen sie weiter und nun, da der Weg so schmal war und sie zwangsläufig eng an den Hauswänden entlang gehen mussten, schauten sie viel öfter in die Gebäude hinein. Drinnen standen teilweise sogar noch Möbel herum, und auch hier gab es überall Skelette. Die Plünderung der Stadt musste furchtbar gewesen sein. Wertgegenstände fielen beim Vorbeigehen nicht auf, aber das Kleingeld eines Bewohners interessierte sie auch nicht sonderlich - sie waren für den Schatz des Burgherren gekommen! Er hatte damals von Groback aus die ganze Gegend terrorisiert, Tribute eingetrieben und Leute versklavt, so lange, bis die Nachbarreiche sich zusammengeschlossen und seinem Treiben ein Ende gemacht hatten. Kein Wunder, dass die Truppen, die Grobak damals erobert hatten, keine Gnade gezeigt und es den Bewohnern mit gleicher Münze heimgezahlt hatten. Viele Skelette hatten zertrümmerte Schädel, und längst nicht jedes Skelett hatte die Größe eines Erwachsenen. Hier drinnen lagen auch kaum noch bewaffnete Gerippe herum. Hier hatte sich nur die Bevölkerung versteckt, Widerstand war in dieser Straße offenbar nicht mehr geleistet worden. Bei der nächsten Abzweigung, an der sie wieder die Hauswände markierten, bogen sie links ab, um parallel zum versperrten Hauptweg zu gelangen. Das Straßenbild änderte sich nicht. Einmal mussten sie über die Trümmer eines teilweise eingestürzten Hauses steigen, aber sie konnten dem Weg weiter folgen.

Er brachte sie nur nicht an ihr Ziel. In der Dunkelheit bemerkten sie es nicht gleich, aber nach einer Weile fiel ihnen auf, dass die Straße eine Biegung machte - ein Biegung, die weg von der Hauptstraße führte, zu der sie doch zurückkehren wollten. "Ob die Hauptstraße auch eine Biegung macht?", rätselte Tankred, aber es gab keine Möglichkeit, das heraus zu finden, und so weit sie auch gingen, sie fanden keine weitere Abzweigung nach links. Die Straße schien schmaler zu werden und auch niedriger - die Decke der Höhle wurde im Fackelschein sichtbar. "Hoffentlich ist das keine Sackgasse", murmelte Storsha, doch Tankred erinnerte sie daran, dass sie dann nur umkehren brauchten, um zum Hauptweg zurück zu gelangen. Es war keine Sackgasse, zumindest keine richtige. Der Weg endete zwar auf einem kleinen, fast runden Platz mit einem längst vertrockneten Brunnen in der Mitte, aber sie fanden eine Treppe, die ein Stockwerk höher führte und sie auf einen kleinen Fußweg zwischen zwei Häusern brachte - nach links, wo sie die ganze Zeit hin gewollt hatten. Sie beschlossen, es mit der schmalen Gasse zu versuchen. Hier unten, ohne Sonne und Wind, verlor man leicht jedes Zeitgefühl, und sie konnten nicht sagen, wie weit sie gehen mussten, bis sie den Hauptweg erreichen würden. Sie waren sich nicht einmal sicher, ob die Richtung ganz stimmte, denn der letzte Weg hatte ja eine leichte, aber lange Biegung nach links gemacht. Wenn sie Pech hätten, wäre diese Biegung so groß gewesen, dass sie jetzt immer noch parallel zum Hauptweg unterwegs wären und ihm nicht näher kamen. Aber wenigstens entfernten sie sich nicht noch weiter von ihm. Für Storsha war die Gasse fast schon zu eng, sie konnte sich hier nicht umdrehen und ging nur sehr widerstrebend hinein, aber die Aussicht, umzukehren und den ganzen Weg zurück zu laufen, reizte sie noch weniger.

Sie folgten auch diesem neuen, schmalen Fußweg scheinbar endlos. Er wand sich hierhin und dorthin und bald hatten sie jeden Richtungssinn verloren. Die Zentaurin bekam immer mehr klaustrophobische Gefühle und musste sich stetig zusammenreißen. Sie bereute bereits jetzt, hierher gekommen zu sein, aber sie sagte nichts, denn sie wusste, dass es gefährlich war, eine Gruppe in einer solchen Situation zu verunsichern. Tankred tat so, als habe er alles im Griff, aber Storsha kannte ihn gut genug, um ihm anzusehen, dass auch er langsam nervös wurde - er hatte ebenfalls die Orientierung verloren, wollte das aber nicht zugeben. Miya schien keine so großen Probleme wie die anderen beiden zu haben - die Untoten zählten nicht, denn ihnen war ohnehin alles egal - weil ihre Augen viel mehr sehen konnten als die der anderen, aber nach dem stundenlangen Wandern durch enge Gänge ließ ihre Aufmerksamkeit nach und sie entdeckte die Falle nicht rechtzeitig. Gerold, der voraus gehende Zombie, trat auf eine bewegliche Bodenplatte und mit einem lauten Schnappen, dass alle nach der völligen Stille der vergangenen Stunden erschrocken zusammenfahren ließ, stießen aus den Wänden beiderseits des Ganges lange Klingen hervor und durchbohrten den Untoten. Da er sowieso nicht mehr lebte und die Klingen seinen Körper nicht zerstückelten, machte es nicht viel aus und er blieb geduldig stehen, bis Miya den Schalter so bearbeiten konnte, dass die Klingen wieder in die Wand zurück fuhren. Trotzdem war diese Falle für alle ein Schreck gewesen. "Wer macht denn sowas? Eine Klingenfalle mitten auf einem Weg? Da hätten damals doch auch ihre Kinder beim Spielen reinlaufen können!", regte sich Storsha auf. "Vielleicht war dies kein öffentlicher Weg?", mutmaßte Tankred, "Vielleicht sind wir schon im gesicherten inneren Bereich?" "Einfach so, ohne irgendeinen Hinweis an den Gebäuden?", zweifelte die Kriegerin. "Und wo ist die Hauptstraße?" "Ich weiß es nicht, aber wir hätten schon lange auf sie treffen müssen, wenn dieser Weg zu ihr führen würde. Außerdem hatte ich nie das Gefühl, dass wir das Stockwerk, das wir damals bei der Treppe hochgestiegen sind, irgendwann auch wieder runter gekommen wären. Vermutlich sind wir über die Hauptstraße hinweg gegangen." "Also kehren wir um?", fragte Miya. Tankred sah die beiden Frauen an, dann meinte er zögernd: "Nein. Erstens wird es schwierig, Storsha hier umzudrehen. Ich meine, es könnte gehen, aber es wäre schwierig. Und was würden wir dabei gewinnen? Außerdem zeigt diese Falle doch, dass wir dem Ziel näher kommen. Wir gehen weiter."

Deutlich vorsichtiger als bislang setzte die Gruppe ihre Reise fort. Miya suchte angestrengt nach weiteren Fallen, fand aber keine. "Das ist merkwürdig. Die eine Falle, schön und gut, aber wenn wir in der Nähe der Schatzkammer wären, müsste es noch mehr Fallen geben." Darauf wusste Tankred keine Antwort und schlug stattdessen vor, eine Pause zu machen, während Storsha murmelte, dass die meisten Fallen vielleicht schon damals, bei der Erstürmung der Stadt, ausgelöst wotrden waren. Sie gingen noch bis zum nächsten Haus weiter, das wie die meisten Gebäude keine Haustür mehr hatte, und traten vorsichtig ein, um darin etwas zu rasten. Storsha war froh, sich endlich wieder umdrehen zu können. Tankred ließ die Zombies das gesamte Gebäude durchsuchen, aber sie fanden nichts als ein paar verrottete Möbelreste und einige Skelette. Das Haus war ziemlich klein in der Fläche, ragte aber vier Stockwerke hoch auf. Sie warfen alle Knochen hinunter ins Erdgeschoss und stiegen in den ersten Stock - noch weiter hoch kam Storsha nicht, da die Treppen zu schmal wurden. Hier postierten sie ihre untoten Gefolgsleute an der Treppe und an den leeren Fensteröffnungen, während die lebenden Mitglieder der Gruppe eine Kleinigkeit aßen und tranken und sich dann etwas hinlegten. Sicherheitshalber ließen alle ihre Rüstungen an und schliefen mit den Waffen in der Hand. Die Fackeln, die schon weit herunter gebrannt waren, wurden gelöscht und völlige Finsternis umfing die Gruppe - eine Finsternis so tief, dass nicht einmal Miya noch etwas sehen konnte.
Oben auf dem Kopf sind zwei spitze Ohren angebracht.
Damit hört sie weg, wenn man sie ruft.
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Die Schatzjäger - Kapitel 6

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Sie wurden durch Kampflärm geweckt, konnten aber in der Dunkelheit nichts sehen und mussten zunächst ihre Fackeln wieder anzünden. Sobald die erste brannte, war das genügend Licht für Miya, um sich einen Überblick zu verschaffen, während Tankred und Storsha noch mit den übrigen Fackeln beschäftigt waren. Aber anhand des Lärms war ihnen auch ohne Licht klar, dass sie angegriffen wurden und die Untoten sich der Attacke entgegen stellten, so gut sie konnten. "Meine Güte, es sind riesige Ratten!", rief Miya weniger erschrocken, als Tankred es beim Anblick der Biester war, die leicht die Größe von Jagdhunden erreichten. Aber als Leonidin sah Miya selbst derart große Nagetiere wohl immer noch irgendwie als Beute an und stürzte sich sofort in den Kampf. Erst jetzt, im Schein aller Fackeln, erkannten auch der Zauberer und die Kriegerin die Situation. Eine nicht genau bestimmbare Anzahl von Riesenratten versuchte, die Treppe hoch zu kommen, und weitere Tiere drangen durch die offenen Fenster ein. Dass sie sich im ersten Stockwerk befanden, schien überhaupt keine Auswirkung zu haben, die Ratten kletterten mit Leichtigkeit an der Hauswand hoch und kamen durch die leeren Rahmen der beiden Fenstern herein. Gerold hatte eine von ihnen aufgespießt, war dann aber von drei weiteren angefallen worden und konnte auf die kurze Entferung seinen Speer nicht richtig benutzen. Miya war ihm schon zu Hilfe geeilt und stach mit ihrem Dolch auf eines der Tiere ein, das sich am Bein des Untoten festgebissen hatte. Auf der anderen Seite rang auch die tote Sandra mit einer Ratte. Sandras Bogen lag neben ihr und später stellte sich heraus, dass sie von oben ins Treppenhaus hinunter geschossen hatte, um dem Räuberhauptmann beizustehen, der dort mit vier Bestien gleichzeitig rang. Eine davon lag, mit Pfeilen gespickt, tot am Boden, und eine weitere war schwer verletzt, aber sowohl sie als auch die beiden unverletzten Ratten sprangen von allen Seiten gegen den Räuberhauptmann, sodass er vor lauter Ratten kaum noch zu sehen war.

Storsha ließ sich nicht lange bitten und rammte ihre Lanze in den Rücken der Ratte, die Sandra angefallen hatte. Währenddessen hatte Miya ihren ersten Gegner erledigt und half dem schon recht lädierten Gerold mit dem zweiten. Tankred eilte mit einer Fackel an eines der Fenster, doch unten auf der Straße war nichts zu sehen. Als er sich wieder umdrehte, war auch die letzte der Ratten, die durch die Fenster herein gekommen waren, tot, und Miya und Storsha stürmten die Treppe hinunter. Der Magier überlegte, ob er einige der Ratten wiederbeleben sollte, doch das lohnte sich kaum noch und bald war alles vorbei. Sandra war nur leicht am Arm angeknabbert worden und den Räuberhauptmann hatte seine Rüstung geschützt, aber Gerold hatte einen Arm und beide Beine verloren. Sie konnten ihn nicht mehr mitnehmen und Tankred löste den Körper von seiner Totenmagie. "Verdammt, wir sind so dumm! Die Zombies sind ja auch Menschen und sehen im Dunkeln genauso schlecht wie wir! Wir hätten die Fackeln brennen lassen sollen!", fluchte Storsha vor sich hin. "Was sind das überhaupt für Viecher? Das sind doch keine normalen Ratten!", fragte sich Tankred, und Miya beugte sich über eines der toten Tiere: "Doch, im Grunde schon - sie sind nur viel größer, und, he, was ist denn das? Sie haben keine Augen!" Nun beugten sich alle über den Kadaver. Derm Zauberer dämmerte es allmählich: "Ich schätze, dass sind die Nachfahren der Ratten, die damals, bei der Zerstörung der Stadt, hier gelebt haben. Nach den Kämpfen haben sie sich von den Leichen ernährt, deshalb die Bissspuren an den Knochen. Und da die Leute mit irgendeiner Magie getötet wurden, haben die Ratten beim Fressen ein bisschen was davon mit aufgenommen. Das hat sie wohl wachsen lassen." "Das und die natürliche Auslese", ergänzte Miya, "Als alle Leichen vertilgt waren, haben sie sich vielleicht gegenseitig gefressen, und die größeren, stärkeren hatten da bessere Chancen. Augen waren dafür nicht mehr wichtig, man sieht hier ja sowieso nichts. Warscheinlich haben sie uns gerochen oder gehört, vermutlich schon seit wir hier sind." Storsha stöhnte: "Sie haben auf jeden Fall die Zombies gerochen! Und als wir anderen uns schlafen gelegt hatten, hat sie nichts mehr von einem Angriff abgehalten. Deswegen kamen auch keine neuen nach, als wir erstmal wach waren."

"Also gut, bleibt ruhig", beschwichtigte Tankred die beiden. "Auch wenn die Zombies sie besonders angelockt haben, ist es fragwürdig, ob sie uns nicht auch ohne die Untoten bemerkt hätten, und dann hätten wir niemanden dabei gehabt, der uns bewachen kann. Ich denke, das Problem ist, dass wir uns nicht mehr schlafen legen können, denn sobald wir wieder rasten, werden weitere Ratten kommen." "Kannst du nicht diese da beschwören, damit sie uns schützen?", fragte Storsha. "Ja, sicher, aber auch wenn es nur Tiere sind, kostet mich jedes einzelne von ihnen Kraft. Ich kann nicht unendlich viele davon wieder erwecken. Außerdem nützt es nichts, sie zu beschwören, wenn sie so zerstückelt sind, dass sie nicht mehr laufen können." Eine kurze Besandsaufnahme ergab, dass vier der Ratten in einem Zustand waren, bei dem es sich noch lohnte, sie wieder zu erwecken, was Tankred dann auch tat. Sie beschlossen, ihr Lager abzubrechen und sich wieder auf den Weg zu machen. Die übrigen Ratten und Gerold würden ihnen weitere Verfolger erst einmal vom Hals schaffen - solange, bis sie alle aufgefressen waren - und Tankred entschied sich, Gerolds Speer mitzunehmen. Gegen die Ratten war eine solche Waffe angenehm, da man sie damit auf Abstand halten konnte. Sobald sie wieder auf der Straße waren, stellte sich aber eine neue Frage. "Wollen wir wirklich weiter in diese Richtung?" Sie grübelten und überlegten. "Wenn das hier keine Ratten, sondern Leute wären, könnte ich ihnen befehlen, uns zum Gold zu führen, aber die Ratten wissen nicht, was Gold ist, und selbst wenn sie es kennen würden, würden sie einen Weg wählen, der für Ratten gut wäre - keine Garantie, dass wir da auch durchpassen", erklärte Tankred. "Du könntest ihnen befehlen, uns ins Zentrum der Stadt zu führen." "Es sind Ratten, die wissen nicht einmal, was eine Stadt ist." "Was ist mit 'tiefer in den Berg', verstehen sie das?" "Ja, das könnte gehen. Gute Idee!" Es ergab sich, dass sie dem Weg weiter folgen mussten. Zwei Ratten rannten voraus, die anderen beiden folgten ihnen nach. Ansonsten hatte sich ihre Marschordnung nicht geändert.

Sie folgten dem Weg weiter, wie er sich mal nach rechts, mal nach links wand, wie er mal enger und mal weiter wurde. Immer wieder zweigten ganz schmale Gassen von ihm ab, aber Storsha passte dort nicht hinein und die Ratten bogen auch nicht ab, und so folgten sie nur dem Weg und gelangten immer tiefer in den Berg hinein. Da sie kaum geschlafen hatten, machte sich schnell Erschöpfung breit, doch sie wussten, dass sie sich nicht mehr hinlegen konnten. "Und diesen ganzen Weg müssen wir dann auch wieder zurück laufen, ohne jede Pause", murrte Miya, aber es half alles nichts und sie drangen immer tiefer in die Festung vor. Irgendwann wichen die Hauswände zurück und sie hörten tief unter sich Wasser rauschen. "Ein unterirdischer Fluss - die Wasserversorgung von Grobak! Die Überlieferung besagt, dass die Anlage niemals durch Belagerung besiegt werden konnte. Vermutlich gibt es sogar geheime Ausgänge an den Seiten des Berges, und ein ganzes Gebirgsmassiv belagern übersteigt wohl die Fähigkeiten der meisten Armeen. Vielleicht müssen wir nicht einmal zurück gehen, wir könnten auch durch einen dieser anderen Ausgänge hinaus kommen, wenn wir nur einen finden", machte Tankred der Diebin Hoffnung. Der Weg spannte sich als Brücke über eine tiefe Schlucht, an deren Grund sie das Wasser nur hören, aber nicht sehen konnten, denn dafür war es viel zu dunkel. Als sie so mitten auf der Brücke standen, ohne Wände an den Seiten und auch ohne festen Boden unter den Füßen, da erkannten sie erst so richtig, wie klein und verloren sie in dieser riesigen, rattenversuchten und uralten Burg waren. Aber die Brücke hielt und auf der anderen Seite ging der Weg eine Weile am Flussufer entlang und dabei mehrmals über Treppen tiefer hinunter, bis sie irgendwann, immer noch auf halber Höhe und weit über der Wasseroberfläche, auf einen gepflasterten Platz gelangten und hier wieder ins Berginnere abbogen. Sie dachten daran, weiterhin ihren Weg mit Brandzeichen an den Wänden zu markieren, aber inzwischen waren die Fackeln schon bedenklich weit herunter gebrannt und sie löschten alle bis auf die eine, die Tankred trug, denn auch sie mussten noch für den ganzen Rückweg reichen. Vermutlich lag es an dem schlechten Licht, dass nur eine Fackel spendete, dass Tankred und Storsha der blaue Schimmer auch nicht später als Miya auffiel.

"Blaues Licht, hier unten? Was das wohl bedeutet?", fragte die Diebin misstrauisch. "Nun, zunächst mal bedeutet es, dass es blau leuchtet und wir uns die Fackel sparen können", meinte Tankred pragmatisch und löschte die Flamme. Nun war das blaue Leuchten noch viel deutlicher vor ihnen zu erkennen, aber erst, als sie um die letzte Ecke bogen, erblickten sie seinen Ursprung. Der Pfad, dem sie die ganze Zeit gefolgt waren, mündete auf eine Art Ballsutrade, die rings um einen kreisrunden Platz führte. Während sie auf der Ballustrade entlang gingen, die eine Mauer krönte, welche den Platz begrenzte, erkannte sie außerhalb der Mauer die üblichen Gebäude der Stadt, die eine Höhle ausfüllten, die so groß war, dass sie ihr Ende nicht sehen konnten. Es gab hier drinnen, tief unter dem Berg, sogar eine letzte Verteidigungslinie, und die allgegenwärtigen Skelette, die im blauen Licht gespenstisch zu glimmen schienen, legten ein bitteres Zeugnis vom letzten Widerstand der Bergbewohner ab. Die Stadtmauer war mehrmals durchbrochen worden, und dann waren die Feinde bis hierher gelangt, ins Allerheiligste, an diese kreisrunde innerste Mauer, deren Tor ebenfalls eingeschlagen worden war. Hier oben, wo die Schatzjäger jetzt den Platz umrundeten, mussten die letzten Verteidiger gestanden und mit Bögen auf die Flut der Angreifer geschossen haben, aber nichts hatte mehr geholfen. Schmale steinere Treppen, die vom Platz auf die Ballustrade führten, waren mit Knochen bedeckt, und auch der Platz unten war so voll von ihnen, dass man den Boden darunter nicht mehr sehen konnte. Ein Massaker, denn es bestand kein Zweifel daran, dass sich vor allem Zivilisten hierher geflüchtet hatten. Aber weiter als hierher konnten sie damals nicht zurückweichen, denn hier, unten auf dem Platz, war der Ursprung des blauen Lichtes.

Das Licht bildete eine Art Wall von einer Seite des Platzes zur anderen. Dieser blaue Wall war perfekt rund und das Licht schien sich zu bewegen wie blaue Flammen, die langsamer flackerten als normales Feuer. Bis direkt an den Lichtwall hinan lagen die Knochen der Toten, aber hinter dem Wall lag kein einziger Splitter. Wer auch immer dieses letzte Bollwerk aus Magie - denn es bestand kein Zweifel, dass der Lichtwall magisch war - errichtet hatte, hatte die Bewohner Grobaks nicht zu sich hinein gelassen, sondern sie draußen vor seiner Haustür sterben lassen. Eine solche magische Barriere konnte nur ein großer Zauberer errichten, umso mehr, als sie nach tausenden von Jahren immer noch stand und das beschützte, was sich hinter ihr befand. Sie hatten ihr Ziel erreicht, die letzte Mauer von Grobak, die bis heute nicht gefallen war. Andächtig traten sie auf den Platz hinunter. Die Knochen der Toten knirschten unter ihren Stiefeln und Hufen, und Miya scheute sich davor, barfuß darauf zu treten, und machte sich die Mühe, jedes Mal, bevor sie auftrat, den Boden mit ihrem Fuß freizuschieben. "Warum kannst du eigentlich nicht einen von denen wiederbeleben?", fragte die Diebin den Nekromanten und zeigte auf das Knochenmeer. "Weil sie keine Muskeln mehr haben, die meine Magie bewegen könnte", antwortete Tankred. "Reine Skelette zu beleben erfordert viel mehr Magie als das Beleben von Zombies und übersteigt meine Fähigkeiten leider - noch!" Er grinste, als Miya ihn kurz beunruhigt ansah, bevor sie sich wieder auf ihren Weg durch die Knochensplitter konzenztrierte. Aber die Leonidin ließ nicht locker und hakte nach: "Und wie viele Zombies kannst du beherrschen?" "Das hängt von den Zombies ab", erklärte Tankred, der es wie die meisten Leute mochte, von seiner Arbeit zu erzählen, "je mehr sie verrottet sind, desto schwerer wird es. Außerdem spielt eine Rolle, wie kompliziert sie sind. Die Ratten sind zum Beispiel viel leichter zu beherrschen als Menschen." "Und wieviele Menschen kriegst du gleichzeitig hin?", wollte Miya es genau wissen. "Schwer zu sagen, denn auch Menschen sind sehr unterschiedlich. Gerold zum Beispiel war nicht sonderlich helle, ein schlichtes Gemüt. Ihn zu beschwören war relativ einfach. Sandra und der Räuberhauptmann sind da deutlich schwieriger, und ich dachte erst nicht, dass ich sie beide rufen könnte, aber nachdem ich ihn hatte, war es bei ihr dann überraschend einfach."

Dann waren sie an der blauen Zauberwand angekommen und mussten stehen bleiben. Dringendere Probleme lagen direkt vor ihnen und Storsha, die Tankreds Ausführungen langweilten, brachte das Gespräch wieder aufs Wesentliche zurück: "Wie kommen wir hinein?" Die beiden Frauen schauten Tankred auffordernd an. Das schien eine Aufgabe für den Magier zu sein! Tankred runzelte die Stirn und besah sich die Barriere aus der Nähe. Er hatte so etwas noch nie gesehen. Das war ganz alte, mächtige Magie. Er gab einer der Zombieratten einen Wink und sie trat zum Lichtwall. Als sie ihn berührte, wurde sie von einem blauen Feuer erfasst, das ihr Fleisch in wenigen Augenblicken bis auf die Knochen heruntergebrannt hatte. "Hmmm, das fassen wir lieber nicht an", erklärte Tankred lakonisch. "Das könnte etwas dauern. Sichert den Platz und ruht euch aus." Die anderen verteilten sich und Storsha und Miya nahmen eine kleine Mahlzeit ein, während sie Tankred dabei beobachteten, wie er den Lichtwall von einer Seite zur anderen abschritt, daran lauschte, schnupperte, sogar fühlte, ohne das Licht ganz zu berühren. Dabei half ihm sein Zauberring, der anfing zu vibrieren, wenn Tankreds Hand den Flammen zu nah kam. Der Nekromant versuchte, die Art der Magie zu erfassen, die hinter diesem Schutzwall steckte, doch er kam nicht weiter. Schließlich fing er an, die Lichtmauer systematisch auf Schwachstellen hin zu überprüfen, doch sie schloss überall völlig lückenlos an Wände und Boden an und schien bis zur Höhlendecke zu reichen. Die Felsen an den Seiten waren zu massiv, um mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, durchdrungen zu werden. Tankred warf verschiedene Dinge, die er auf dem Platz fand, gegen die Lichtwand: Knochen, altes Holz, Steine, Metallteile von Waffen oder Rüstungen, Tonscherben... Alles prallte an der Wand ab und wurde ein Raub der seltsamen blauen Flammen. Während der Zauberer herum probierte und seine Versuche dabei immer verzweifelter wurden, unterhielten sich die Frauen zunächst über dies und das, was ihnen seit Beginn ihres Abenteuers zu denken gegeben hatte, aber nach einer Weile konnte Miya es nicht mehr mit ansehen, stand auf und trat neben Tankred. "Gut, du hattest deine Chance, Zauberer. Lass mal die Diebin ran!" Überrascht zog Tankred die Augenbrauen hoch, trat aber zurück und antwortete nur: "Bittte sehr, tu was für dein Geld."

Auch Miya ging den Lichtwall einmal komplett von der einen Seite bis zur anderen ab. Dabei achtete sie auf den Boden unmittelbar hinter dem Wall. Als sie fertig war, kehrte sie um und legte den ganzen Weg noch einmal zurück. Diesmal achtete sie auf den Boden vor dem Wall und schob alle Knochen und anderen Teile beiseite. Tankred lächelte überlegen: "Gut aufgepasst! Aber das habe ich auch schon gesehen, es hilft uns nicht dabei, hinüber zu kommen." Er zeigte Storsha, die nun auch dazu kam, die Symbole, die Miya gesehen hatte. Auf beiden Seiten des Walls waren Zeichen ins Pflaster geritzt, und zwar so, dass jedes Zeichen eine Entsprechung auf der anderen Seite des Lichts hatte. Der Magier hatte natürlich erkannt, dass diese Zeichen damals dazu gedient hatten, den Wall zu errichten, aber das half ihnen nichts, denn um ihn aufzuheben, müssten sie ein Zeichenpaar beseitigen, und da von jedem Paar jeweils ein Zeichen auf der anderen Seite war, auf die sie ja nicht gelangen konnten, war das unmöglich. "Vermutlich ist das der Grund, warum der Lichtwall überhaupt noch steht", erklärte er, "Nachdem auf dieser Seite niemand mehr am Leben war, um die Zeichen zu entfernen, saß der, der den Wall errichtet hatte, auf der anderen Seite in der Falle - oder er nutzte einen geheimen Ausgang, falls es einen gab. Jedenfalls haben die Eroberer die Zeichen auf dieser Seite nicht entfernt, weil sie damit dem Besiegten hinter der Lichtmauer das Tor nach draußen geöffnet hatten. Als sie erkannten, dass sie nicht hindurch konnten, ließen sie alles, wie es war, und kerkerten ihren Feind auf ewig in seiner eigenen Burg ein." "Sollen wir die Zeichen entfernen?", fragte Storsha, und Tankred wollte gerade antworten, dass das nutzlos wäre, als Miya die rechte Seite des Platzes erreicht hatte, ihre Krallen an Händen und Füßen ausfuhr und einen Satz machte, der sie beinahe zwei Meter hoch an die Felswand brachte, wo sie sich festkrallte. "Hey, was wird denn das?", fragte der Zauberer, doch die Diebin hörte nicht auf ihn.

Sich an Steinen festzuhalten, tat ihren Krallen weh und machte sie stumpf, aber sie sah hier keine andere Möglichkeit, als die Zähne zusammen zu beißen und weiter nach oben zu klettern. "Du kommst nicht oben vorbei, die Lichtwand ist dicht!", rief Tankred ihr hinterher, doch die Leonidin ließ sich nicht beirren und kletterte mit inzwischen blutenden Fingern und Zehen weiter. Auf halber Höhe hörte der natürlich gewachsene Fels auf und Mauerwerk setzte ein, dass zur Ringmauer gehörte. Miya hielt sich nur noch mit einer Hand und beiden Füßen fest und schlug mit der anderen Hand auf die Mauer. Als das nicht half, zog sie einen Dolch und begann, damit in den Mauerritzen herum zu bohren und mühsam einen Stein zu lösen. "Das hilft nichts, wenn das Mauerteil abbricht, wird das Licht einfach bis an die Abbruchkante scheinen, der Wall bleibt trotzdem dicht", erklärte Tankred ungeduldig, aber Miya machte weiter. Allmählich wurde das Mauerstück lose und mit einigen kräftigen Schlägen schaffte es die Diebin, den Steinbrocken nach innen hinter die Lichtmauer fallen zu lassen. Wie der Magier vorausgesagt hatte, dehnte sich das Licht sofort bis an die Bruchkante aus, aber das schien Miya nichts auszumachen. Mit einem Satz war sie wieder unten bei ihren Freunden, aber ihre Pfoten waren schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. "Was hat uns das gebracht?", fragte Tankred unwillig, doch die Leonidin ließ sie erst einmal einen Heiltrank geben, um ihre Hände und Füße wieder einigermaßen in Form zu bringen. "Hey, die Dinger sind teuer und wir haben nicht viele", maulte Tankred, als Miya das rote Fläschchen in einem Zug austrank, doch sie lächelte nur überlegen und gab ihm die leere Flasche zurück. Dann ging sie betont langsam und mit besonders schwingenden Hüften und dazu entgegengesetzt peitschendem Schwanz, was bei ihr wohl eine Art Triumpf oder vielleicht einfach nur Aufregung ausdrücken sollte, zum Lichtwall zurück, genau gegenüber der Stelle, an der, drüben auf der anderen Seite, das Mauerstück heruntergefallen war, und kratzte mit ihrem Dolch auf dem Zaubersymbol herum, das hier im Boden eingeritzt war. "Was soll...", unterbrach sich Tankred, als ihm ein Licht aufging. "Du hast das Mauerstück drüben so runter geworfen, dass es auf dem Symbol auf der anderen Seite gelandet ist und es dabei zerstört hat!" Miya nickte nur und machte dabei ein Geräusch, dass wie eine Mischung aus einem überaus selbstzufriedenen "Ja" und einem Miauen klang, und Leoniden miauen eigentlich nicht, zumindest nicht vor Fremden, aber die Diebin kostete ihren Triumpf genüsslich aus - das hatte der große Magier nicht zustande gebracht, das war nur ihr gelungen! "Und wenn du jetzt das Symbol auf dieser Seite zerstörst, bricht der Lichtwall in sich zusammen", verstand auch Storsha, und Miya nickte wieder. Und dann war es geschafft, das Symbol war zerstört und das blaue Licht flackerte einmal kurz auf, und dann war alles wieder stockdunkel. "Verflixt, die Fackeln!", erinnerte sich Tankred, und sie brauchten ein paar Minuten, um sie im Dunkeln zu finden, aber dann war der Platz vom flackernden Feuerschein erhellt und der Weg in die letzte Bastion der Burg Grobak lag offen vor ihnen.
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Die Schatzjäger - Kapitel 7

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"Gut gemacht", lobte Storsha Miya, als sie mit gezückter Lanze an ihr vorbei ging, um als erste die Pforte zu überschreiten, die vom Platz ins Innere des Gebäudes führte, das von der Lichtmauer geschützt worden war. Es war ein massives Haus, die Wände größtenteils aus dem Fels geschlagen und die Tür aus schwerem Eisen und unbeschädigt, aber aus unerklärlichen Gründen stand sie offen. Drinnen war es genauso dunkel wie überall, denn sie waren so tief unten im Berg, dass hier vermutlich noch nie ein Strahl Tagelslicht hingefallen war. Die Zentaurin hielt den Atem an, als der Schein ihrer Fackel Stück für Stück das Innere des Hauses offenbarte. "Gold, ganze Berge davon!", rief sie überglücklich aus. Die Strapazen hatten sich gelohnt, das war der große Schatz, den sie sich erhofft hatten. Auch die anderen betraten nun den Raum - das ganze Gebäude enthielt nur einen einzigen Raum, eine riesige, von Säulen getragene Halle - und schauten sich um. "Das muss ursprünglich in Säcken gelagert gewesen sein - sieht aus, als ob sie damals bis an die Decke gestapelt gewesen wären. Aber mit den Jahrhunderten sind sie verrottet und das ganze Gold hat sich auf dem Boden verteilt", erklärte Tankred unnötiger Weise, denn niemand interessierte sich im Moment dafür. Das war mehr, viel mehr, als sie jemals mitnehmen konnten. "Los, packt alle Taschen voll!", jauchzte Miya und sprang beinahe kopfüber in einen Haufen Münzen, der klappernd und scheppernd in sich zusammen fiel. Niemand brauchte zweimal aufgefordert zu werden, und ihre Taschen, Rucksäcke und Satteltaschen begannen, sich mit antiken Münzen zu füllen.

Sie waren alle so beschäftigt, dass es zunächst keinem auffiel. Erst, als der Räuberhauptmann beim Füllen seiner Hosentaschen in den hinteren Teil des Raumes trat, bemerkte er es, und weil er nicht mehr sprechen konnte, denn dafür fehlte dem Zauber, mit dem er beschworen worden war, die Intelligenz, weil Tankreds Totenbeschwörung nicht hochgradig genug dafür war, fing er an, laut zu grunzen. Der Tonfall war alarmierend genug, dass alle innehielten und aufblickten. Acht Augenpaare, von denen drei untoten Riesenratten gehörten, richteten sich auf die Rückwand des Zimmers, wo genau gegenüber der Tür ein Podest stand, in dessen Mitte sich ein Thron befand. Und auf diesem Thron saß, noch in die schleierhaften Reste einer zweifellos einst sehr hochwertigen Robe gekleidet, ein Skelett mit einer Krone auf dem Kopf, und dieser Kopf bewegte sich! Aus den leeren Augenhöhlen kam ein rötliches Glimmen, dass mit jeder Minute stärker wurde, und schon rührten sich auch die Finger, die bislang noch bewegungslos auf den Armlehnen des Thrones geruht hatten, und ballten sich zu Fäusten. Es bestand kein Zweifel: Der Eigentümer des Goldes hatte etwas dagegen einzuwenden, dass die Schatzjäger sich hier bedienten. "Verdammt, ein Aufweck-Zauber!", rief Tankred, ohne den genauen Namen des Zauberspruchs zu kennen, dessen Wirkung sich gerade vor ihen Augen entfaltete, aber darauf kam es auch gar nicht an. Der König - diese Bezeichnung war aufgrund der Korne naheliegend - hatte seinen Schatz offenbar verzaubert und dafür gesorgt, dass er aus dem Reich der Toten zurückkehren konnte, falls irgendjemand sich daran vergreifen würde, und diese Falle hatten sie ausgelöst, als sie begannen, das Gold einzupacken. "Je mehr Zeit er hat, desto stärker wird er - erledigt ihn, sofort!", befahl Tankred, und seine Zombies reagierten genauso schnell wie Storsha.

Die Kriegerin galoppierte quer durch die Halle, doch der Räuberhauptmann war schneller, da er schon nahe beim König gestanden hatte. Er zog sein Schwert und stach zu, mitten ins Herz, aber das Skelett hatte kein Herz mehr und das Schwert ging einfach zwischen den Rippen durch und bohrte sich in die Rückenlehne des Stuhls, ohne Schaden anzurichten. Wütend zog er Untote seine Waffe wieder aus dem alten Holz, doch eine zweite Gelegenheit bekam er nicht, denn der König erhob sich und machte eine wegwischende Bewegung mit der rechten Hand, die den Zombie nicht berührte, aber dennoch von den Füßen riss und einige Meter weit über den mit Goldmünzen bedeckten Boden rutschen ließ. Mit einem Zischen flog ein Pfeil durch die Luft, aber auch er ging einfach zwischen den Rippen hinduch und blieb in der Stuhllehne stecken. Auch die untote Bogenschützin grollte wütend und legte einen neuen Pfeil ein. Da erreichte Storsha das Ende der Halle und schwang ihre Lanze wie eine Axt durch die Luft, um das Skelett einfach zu zertrümmern, aber der Knochenkönig duckte sich weg und griff neben seinen Thron, wo ein Schwert auf ihn wartete. Mit einem schleifenden Geräusch zog er es aus der jahrtausendealten Scheide. Der Räuberhauptmann stand gerade wieder auf und die drei Riesenratten erreichen das Podest, auf dem der Thron stand, als Miya erschrocken aufschrie. Tankreds Blick wanderte in ihre Richtung, alle anderen blieben auf den toten Hausherren konzentriert. Miya, die keine Kämpferin war und auch nicht dafür bezahlt wurde, sich mit untoten Magiern herumzuschlagen, war zurück geblieben und hatte sich darauf konzentriert, ihre Taschen hastig weiter zu füllen, nur für den Fall, dass die anderen verlieren würden und eine schnelle Flucht nötig werden sollte. Deshalb war sie immer noch recht nahe an der Tür, und im Schein ihrer Fackel zeichneten sich nun weitere Skelette ab - Skelette, die vorher nicht da gewesen waren und die von draußen gekommen sein mussten, um ihrem Herrn zu helfen.

"Er weckt die Toten auf! Sichert die Tür, sonst überrennen sie uns!", rief Tankred verzweifelt, und Miya, die schon dabei gewesen war, auf einen Goldhaufen hinauf zu klettern, erkannte, dass er Recht hatte, rutschte mit einer kleinen Lawine aus Münzen wieder herunter und zog ihre Messer, in jeder Hand eines. Auch die drei Zombieratten machten wieder kehrt und eilten zur Tür, durch die bereits Skelette herein drängten, und Sandra, die tote Bogenschützin, drehte sich um und feuerte den Pfeil, den sie schon eingelegt hatte, auf die Pforte ab, wo er aber wieder einfach nur zwischen den Knochen hindurch pfiff, ohne Schaden anzurichten. Dies war der Moment, in dem Tankred erkannte, dass es höchste Zeit wurde, dass er selbst sich auch mit mehr beteiligte als nur mit dem Brüllen von Befehlen. Er ergriff wieder seinen Speer, ging aber nicht zur Tür, sondern bellte trotzdem erst einmal weitere Kommandos durch den Raum: "Storsha, erledige den König, alle anderen, sichert die Tür!" Nun wandte sich auch der Räuberhauptmann vom Knochenkönig ab und sprintete zum Eingang. "Und was machst du?", rief Storsha wütend, als sie sich wieder dem gekrönten Gegner zuwandte. "Ich breche den Zauber", sagte Tankred, aber nicht laut genug, dass irgendjemand außer ihm selbst es hören konnte, und fing an, sich durch das Gold zu wühlen. Inzwischen konnte man Knochen klappern hören, als Miya es als Erste schaffte, einen Knochenmann (oder war es eine Knochenfrau?) zu zerstrümmern. Triumphierend rief sie den anderen zu: "Ihre Rücken tragen sie - durchtrennt die Rücken oder Hälse!" Die Ratten waren dazu freilich kaum in der Lage, aber sie sprangen Skelette an und warfen sie um, und damit verstopften sie den Eingang eine Weile, bis der Räuberhauptmann da war und sich mit blanker Klinge mitten unter die Skelette im Eingang warf. Sandra, die Bogenschützin, versuchte jetzt, genau auf die Wirbel zu zielen, aber das waren schwere Schüsse und sie glückten nur selten. Trotzdem gelang es mit vereinten Kräften, die Tür zu halten - vorerst! Denn von draußen drängten immer mehr Skelette nach, während am anderen Ende der Halle Stahl auf Stahl traf, als Storsha mit dem König die Klingen kreuzte. Immerhin benutzte er nicht mehr seinen Schleuderzauber, mit dem er vorhin den Hauptmann weggewischt hatte. Vielleicht kostete der ihn zuviel Kraft oder er funktionierte nur bei Untoten? Tankred wusste es nicht und er hatte dringendere Probleme, als darüber nachzudenken.

Die Hände des Totenbeschwörers gruben sich in den Goldberg hinein, doch er stopfte nichts davon in seine Taschen, denn er suchte etwas. Hastig schob er Münzen beiseite, nur um von immer mehr Münzen fast begraben zu werden, die nachrutschten. Fluchend buddelte der Zauberer sich wieder frei und blickte sich um - er hatte noch nicht einmal einen Bruchteil der großen Halle geschaft, und mit diesem Tempo würde er Tage brauchen, soviel stand fest. Aber diese Zeit hatte er nicht. Am Eingang, das konnte er spüren, waren seine drei Riesenratten inzwischen unter der Flut von Skeletten begraben und zertreten worden, und dem Räuberhauptmann drohte das gleiche Schicksal. Miya wurde bereits in den Raum zurück gedrängt von den Skeletten, die sich an ihm vorbei schoben, und Sandra hatte keine Pfeile mehr und zog ein Messer, mit dem sie sich in die Schlacht am Eingang stürzte. Das würde bestenfalls noch ein paar Minuten lang gut gehen! Mit fahrigem Blick drehte der Nekromant sich zu Storsha um. Die riesige Zentaurin drosch mit ihrer Lanze auf den Skelettkönig ein, der immer noch auf dem Podest neben dem Thron stand und deshalb fast auf Augenhöhe mit ihr war. Für jemanden ohne Muskeln war er erstaunlich stark, aber das lag natürlich an der Magie. So ein mächtiger Zauber kam nicht einfach aus alten Knochen, das lernte jeder Zauberlehring im ersten Jahr. Solche Macht musste aus einem Artefakt entspringen, und dieses Artefakt musste irgendwo hier im Raum sein, aber Tankred erkannte, dass er nicht lange genug leben würde, um sich durch all das Gold zu wühlen und es zu finden. Rastlos irrte sein Blick vom Thron zum Eingang und wieder zurück - es gab nicht einmal einen Fluchtweg von hier! Er würde hier unten sterben! Verdammt!

Da blinkte etwas im Schein der Fackeln, kalt und dunkelblau, an der Lehne des Throns. Tankred sah genauer hin und erkannte eine Halskette mit einem Saphirmedallion darin. Das musste es sein - ein Schmuckstück, dass der König zu Lebzeiten leicht immer bei sich tragen konnte und bei dem es niemandem auffiel, wenn es streng bewacht wurde, weil es ja wertvoll war. Wertvoller, als selbst die Wachen ahnten, denn ein mächtiger Magier konnte sein ganzes Leben lang, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, ein kleines bisschen magische Energie aus seiner Umgebung absaugen und in dieses Medallion pressen. Über die Jahre kam da eine gewaltige Kraft zusammen - genug, um aus dem Reich der Toten zurück zu kehren, wenigestens für eine letzte Schlacht. "Das Medallion - zerstört es! Alle, los!", brüllte er und zeigte auf die Kette. Storsha sah es, aber der König sah es auch, und Tankred hätte schwören können, dass die starren Gesichtszüge des Totenschädels irgendwie wütend zu werden schienen. Jedenfalls ließ der König Storsha nicht zum Thron durchkommen. Er wusste, die Zeit stand auf seiner Seite, und immer mehr Skelette kamen nun in den Raum. Miya, die sich bei Tankreds Ruf umgedreht hatte, konnte ihren Platz nicht mehr halten und ergriff die Flucht, weg von der Tür und hinein in die Schatzkammer, aber sie würde eine Weile brauchen, bis sie beim Thron ankommen würde. Immerhin war sie schneller als die Skelette, die ihr folgten, und auf dem rutschenden Goldbergen hatte die Leonidin auch einen festeren Stand als die knöchernen Stadtbewohner. "Sandra, die Kette!", befahl Tankred, doch die Bogenschützin, die vorhin schon stehen geblieben war und sich umgesehen hatte, drehte sich wieder zur Tür, wo der Räuberhauptmann inzwischen von Skeletten regelrecht überrannt wurde. Entschlossen hob sie ihr Messer und stürzte sich in den Knochenhaufen hinein. Überrascht starrte Tankred ihr einen Augenblick nach - die Untote hatte sich seinem Befehl widersetzt! Wie war das möglich? Doch er hatte keine Zeit, sich jetzt damit zu beschäftigen, denn nun musste er selbst zum Thron rennen, da sich die Halle langsam mit Skeletten füllte.

Während er über die Goldmünzen schlidderte und hinter sich das hohle Geräusch rennender Knochenfüße dutzendfach von den Wänden widerhallen hörte, sah er mit Grauen, wie der verfluchte König es schaffte, Storshas mächtige Lanzenhiebe ein ums andere Mal mit dem Schwert zu parrieren oder an einem schimmernden magischen Schild abprallen zu lassen, den er inzwischen heraufbeschworen hatte. Man konnte die Magie zwischen seinen Knochen förmlich glühen sehen, und als die Zentaurin sich umdrehte, um wie ein Pferd mit beiden Hinterbeinen gleichzeitig gegen ihn auszuschlagen, was einem Menschen leicht das Genick gebrochen hätte, da wankte der Knochenkönig nur kurz und war so schnell wieder auf den Beinen, dass er sogar noch nach Storshas Flanke schlagen konnte, und nur ihre schwere Rüstung rettete sie vor einer üblen Wunde an der hinteren Hüfte. Der Abstand zwischen dem immer noch rennenden Tankred und seinem Ziel, dem Thron, wurde immer kleiner und ihm wurde klar, dass er im Grunde gar nichts ausrichten konnte. Storsha hatte mehr Kraft als ein Brauereipferd, und selbst sie war dem toten Herrn dieser Stadt nicht gewachsen, was sollte da Tankred mit seinen schmächtigen Armen erreichen, die immer noch Gerolds Speer trugen, aber kaum damit umgehen konnten? Aber er musste es wagen, denn hinter ihm gab es nur den Tod, das wusste, hörte und spürte er deutlich.

Sein Versuch, am Knochenkönig vorbei zu kommen, scheiterte bereits im Ansatz. Der Tote sah ihn kommen, ließ von Storsha ab und drosch stattdessen auf Tankred ein, dem nichts anderes einfiel, als den Speer quer zu halten, um den Schlag zu parrieren. Ein Fehler, denn so konnte der Stadtherr den hölzernen Schaft der Waffe einfach in der Mitte entzwei schlagen. Bevor es Tankred genauso gehen konnte, war Storsha wieder da und lenkte den verfluchten Gegner ab, doch dieser stellte sich so günstig, dass Tankred nicht an ihm vorbei kommen konnte, ohne einen Schwinger des Schwertes abzubekommen. Im flackernden Licht der zunehmend von immer zahlreicher herein kommenden Skeletten verdeckten Fackeln konnte er Miya einen Augenblick lang auf der anderen Seite des Throns sehen, aber sie griff nicht an, sondern duckte sich hinter einen Haufen Goldmünzen. Tankred war wütend, weil sie nicht half, aber er wusste auch, dass es nichts gab, was die Katzendiebin tun konnte. Es war auch egal, sie würden alle gemeinsam hier sterben. "Haltet sie mir vom Leib!", schrie Storsha, als die Skelette sie erreichten und von hinten angriffen. Zum Glück waren die meisten Stadtbewohner und trugen keine Waffen, aber ein paar Soldaten waren doch darunter, und sie waren so viele, dass sie auch keine Klingen brauchten, um die Lebenden zu überwältigen. Tankred nahm die beiden Enden seines Speers wie Knüppel in beide Hände und sprang wild um sich schlagend unter die Skelette, um Storsha noch ein paar Augenblicke Luft zu verschaffen, aber ihm war bewusst, dass dies nur eine Verzweiflungstat war. Das Medallion konnte er von hier aus jedenfalls nicht mehr erreichen.

"Fang!", ertönte da Miyas Ruf über den Kampflärm, und aus den Augenwinkeln sah Tankred, wie der Knochenkönig sich umdrehte und nach der Diebin schlug, kräftig genug, um sie in der Mitte durch zu spalten, wenn er denn getroffen hätte, denn die Leonidin war flink und wendig und brachte sich aus seiner Reichweite - sie hatte das Medallion, konnte es nun aber doch nicht werfen! Der Stadtherr hatte sie wohl vorhin nicht bemerkt - es war klug von ihr gewesen, den Kopf unten zu halten. Sofort drängten nun Skelette auf sie ein, doch da hatte sie das Medallion mit einem Sprung in die Luft nun doch zu Storsha geworfen. Der König griff die Kriegerin augenblicklich an und drängte sie soweit zurück, dass sie es nicht fangen konnte. Es landete klappernd auf dem Fußboden. "Zerstört es! Zerstört es!", keuchte Tankred, der inzwischen von mehreren Skeletten an Armen und Beinen gepackt wurde und sich kaum noch rühren konnte, als knöcherne Hände nach seinr Kehle griffen. Der König griff Storsha an und Miya war unter einem Berg Skeletten nicht mehr zu erkennen, doch die Zentautrin hörte auf, gegen all die Toten zu kämpfen, und stampfte mit einem Hinterbein auf das Medallion. Es gab ein knirschendes Geräusch, das unnatürlich laut durch den Raum hallte, und all die Skelette, der König genauso wie seine Unterthanen, hielten inne und starrten erbost auf die Zentaurin. Dann rissen sie ihre Münder auf, und wären sie noch aus Fleisch und Blut gewesen, so hätte ihr gemeinsamer Aufschrei das Gemäuer erzittern lassen. So aber war nichts zu hören als der Lärm all der zu Boden fallenden Knochen. Der Bann war gebrochen!
Oben auf dem Kopf sind zwei spitze Ohren angebracht.
Damit hört sie weg, wenn man sie ruft.
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Die Schatzjäger - Kapitel 8

Beitrag von Spikor »

Sie brauchten, nachdem sie sich etwas erholt hatten, noch über eine Stunde, um ihre Taschen mit Goldmünzen vollzustopfen. Storsha trug mehr als Miya und Tankred zusammen. Das war einer der Gründe gewesen, weshalb Miya überhaupt mitgemacht hatte, denn, so lautete die Abmachung, von der Beute würden zunächst alle Ausgaben und Vorschüsse beglichen werden, und von dem, was danach noch ürbig wäre, würde jeder den gleichen Teil bekommen. Und ein gleicher Teil war immens größer, wenn beim Tragen des Ganzen eine ausgewachsene Zentaurin mitmischte. Sie hatten ja sogar extra Satteltaschen beschafft, aus denen sie jetzt alles, was nicht mehr unbedingt für den Rückweg benötigt wurde, achtlos auf den Boden der Schatzkammer warfen. Ihr Hauptproblem waren die Fackeln, denn von denen war nicht mehr viel übrig. Sie beschlossen, Glimmspähne, die man sonst zum Feuermachen benutzte, zu verwenden, da Miyas Augen selbst mit diesem wenigen Licht auskamen. Die Leonidin sollte die anderen führen. Verrat musste man nicht befürchten, denn schließlich trug Storsha den Hauptteil der Beute. Tankred nahm sich die Zeit und untersuchte die Überreste des Knochenkönigs, da er hoffte, dort vielleicht noch andere magische Artefakte zu entdecken. Tatsächlich fand er einen Ring mit einem schönen Rubin, aber er konnte keine Magie daran spühren und entschied sich dann dagegen, ihn mitzunehmen, da der Ring viel schwerer zu verkaufen wäre als das Gold.

Als sie alle Fackeln zusammenklaubten, die noch zu finden waren, untersuchten sie auch die beiden Zombies, den Räuberhauptmann und Sandra, die Bogenschützin. Beide waren von den Skeletten regelrecht zerfetzt worden und Tankreds Magie reichte nicht aus, sie wieder zum Laufen zu bekommen. "Schade", meinte daraufhin Miya, "die beiden hätten nochmal zwei Rucksäcke voll Münzen tragen können, und am Ziel hätten wir uns noch das Kopfgeld für sie geben lassen können." Als Tankred nur mit den Schultern zuckte - er war der Meinung, dass sie mehr als genug erbeutet hatten, und verspürte auch keine Lust, ihre Köpfe anzuschlagen und mitzunehmen - hakte die Diebin nach: "Wenn dich das nicht stört, warum guckst du dann so trübselig?" Der Nekromant antwortete nachdenklich: "Ich frage mich immer noch, wieso Sandra sich meinem Befehl widersetzt hat. Eigentlich hätte sie das gar nicht können dürfen, aber sie konnte es doch." "Vielleicht ist deine Magie nicht so stark, wie du gedacht hast?", rätselte die Katzenfrau. Tankred wiegte den Kopf hin und her, als er darauf entgegnete: "Bisher hat es immer gereicht. Natürlich gibt es Leute, die einer Beschwörung mehr Widerstand entgegensetzen als andere, aber wenn sie so ein Mensch war, wieso konnte ich sie dann überhaupt erst beschwören?" Da trat Storsha zu ihnen und meinte: "Hat der Räuberhauptmann nicht versucht, uns dazu zu überreden, sie laufen zu lassen? Scheinbar lag ihm an ihr. Falls das umgekehrt auch gegolten hat, wollte sie ihn vielleicht einfach nicht im Stich lassen? Dann war sie leicht zu beschwören, aber schwer zu beherrschen!" "Ach komm schon, Storsha", winkte Tankred ab, "wenn du beschworen wirst, kannst du nicht mehr selbst entscheiden, was du machst, das macht jetzt der Beschwörer für dich." "Und wovon hängt ab, wen und wieviele Leute ein Beschwörer beschwören kann?", fragte Miya. "Von der Macht des Beschwörers natürlich!", antwortete Tankred promt. "Nun, da haben wir's", lächelte Storsha, "Sandras Liebe war eben größer als deine Macht." Sie klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und machte sich dann wieder ans Einsacken der Beute. "Sieht so aus, als ob du doch kein so großer Magier bist, wie du bisher geglaubt hast", grinste nun auch Miya und machte sich ebenfalls wieder an die Arbeit. Tankred aber entschied, dass er seine Kräfte auf jeden Fall verstärken musste - so etwas sollte ihm nicht noch einmal passieren! Das konnte denen so passen, schnöde Liebe sollte stärker sein als dunkelste Totenbeschwörungsmagie - nicht mit ihm!

Den Rückweg hatten sie beim Ankommen vorausschauenderweise immer gut markiert, und auch wenn die Markierungen in dem schwachen Licht schwer zu finden waren, so ging es doch. Ein Problem stellte die Erschöpfung dar, denn nach dem langen Marsch und anschließenden Kampf waren alle müde, aber die Erfahrung mit den Ratten hielt sie wach und zwang sie, sich weiter zu schleppen. Tatsächlich wagten einige der Biester sich sogar in ihre Nähe, vermutlich weil sie kein gutes Licht mehr hatten, um die Tiere zu verscheuchen, aber nachdem Miya eine der Ratten erlegt und Tankred sie gleich wieder beschworen hatte, ging es deutlich einfacher, da der neue Spurensucher sie zuverlässig vor anderen Ratten warnte. Als sie den Eingang in den Berg erreichten und endlich wieder frische Luft atmen konnten, waren sie mehr als dreißig Stunden auf den Beinen, und alle Zaubertränke ihres Vorrats konnten sie nicht mehr wach halten. Sie sammelten ihre dort zurückgelassenen Vorräte ein, schleppten sich noch bis zum Platz ihres letzten Nachtlagers weiter und stellten die tote Ratte als notdürftige Wache auf, und dann schliefen sie schneller ein, als sie ihre Namen hätten sagen können. Immerhin blieb die Nacht ruhig, denn die Ratten wagten sich scheinbar nicht aus der Ruine und weitere Banditen gab es hier oben auch nicht. Sie rasteten noch zwei weitere Tage in ihrem Basislager, zählten das Gold und berechneten ihre Spesen und Anteile. Dann beschlossen sie, noch gemeinsam bis zur nächsten Stadt weiter zu ziehen. Tankred und Storsha würden ohnehin zusammen bleiben, und Miya konnte ihren Anteil alleine gar nicht so weit tragen. Außerdem würde sie hier oben weder Geld ausgeben noch neues verdienen können, und so verbrachten sie noch eine entspannte kleine Reise zusammen, die sie auf der anderen Seite des Gebirgs bergabwärts in ein neues Land führte. Die untote Ratte ließen sie am Lagerplatz zurück, wo sie, als erste ihrer Art seit vielen hundert Jahren, ihre letzte Ruhe unter den Sternen fand.
Oben auf dem Kopf sind zwei spitze Ohren angebracht.
Damit hört sie weg, wenn man sie ruft.
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Re: Die Schatzjäger

Beitrag von Spikor »

So, das wars - 8 Kapitel, leider nicht ganz gleich lang. Wer hat bis zum Ende durchgehalten? ;)
Oben auf dem Kopf sind zwei spitze Ohren angebracht.
Damit hört sie weg, wenn man sie ruft.
(Gina Ruck-Paquét)
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