Idris - Mittwoch, 27.Oktober bis Sonntag, 31 Oktober

Die Heimat der Nephilim
Gesperrt
Benutzeravatar
Katastropholy
Beiträge: 1431
Registriert: Sa 19. Dez 2009, 20:41
Kampf um Choma: Revan
Abwesend: Innerhalb der Woche bis auf weiteres nur sporadisch anwesend

Idris - Mittwoch, 27.Oktober bis Sonntag, 31 Oktober

Beitrag von Katastropholy »

Alexander Kirov
Ort: Alicante

Disziplin, Beobachtung, Reaktion. Simpel, zusammenhängend und wichtig. Die nächsten Tage verbrachte Alex damit, sorgsam aus seiner allabendlichen Pampe mit Hilfe seines Bettlakens die Feuchtigkeit heraus zu pressen, über Nacht mit seiner Körperwärme zu trocknen und morgens nach dem üblichen Besuch der Wachen zu einer Kugel zu modellieren. Maika hatte nicht lange gebraucht und schon am nächsten Tag nach ihrem Besuch flog eine Plastikeinkaufstüte mit einem Schminkset, Zwieback und luftgetrockneten Schinkenstreifen durch sein Zellenfenster. Das Essen war hier echt zum weglaufen, und das, was er nicht für seine Bastelarbeit gebrauchen konnte, würde ihn unmöglich bei Kräften halten. Die Stele hatte er sofort in einem eilig aufgepulten Loch seiner Matratze versteckt, diese Wärter waren sich so sicher, dass sie nicht ein einziges mal seine karg eingerichtete Zelle durchsucht hatten, und selbst wenn, hätten sie wohl kaum etwas gefunden. Eine Stele war schließlich nicht schwer und Löcher hatte die Matratze ohnehin schon genug. Seine Kugel mitsamt dem Essen versenkte er den Tag über in seinem Eimerchen, nachdem er nach einigem Probieren herausgefunden hatte, wie man das Wasserdicht verpacken konnte. Das einzige Problem war nur, das seine Aktivitäten das Laken und seine Klamotten mittlerweile schmuddelig und stinkig hatten werden lassen. Vielleicht wollten ihn seine Herrchen auch deswegen nicht so oft besuchen? Dieser Gedanke entlockte ihm jedes mal ein hämisches Grinsen, auch wenn irgend etwas in ihren Blicken war, was er nicht so recht deuten konnte. Auch musste er sich eine spezielle Schlafposition angewöhnen, zur Wand gedreht und mit der Decke über dem Kopf. Und er musste darauf achten, dass ihn auch die Wachen so liegen sahen, wenn sie ihre Runde machten.
So verstrichen die Tage und er kam gut voran, was würde er wohl machen wenn er diese Aufgabe nicht hätte? Nicht auzudenken.
Der dritte Tag. Gerade hatte er seine Utensilien verstaut, war auf der anderen Seite der Tür bösartiges Gelächter und rauhe Stimmen zu hören, die direkt vor seiner Zelle stoppten. Kurz danach flogen die Riegel beiseite und zwei mittlerweile bekannte Gestalten stürmten in den Raum, umgeben von einer Wolke aus Alkohol und Rauch, während eine dritte, unbekannte in einem Kapuzenumhang verhüllt an der Tür wartete.
„Oh, womit verdiene ich denn diese Aufmerk...“
Weiter kam er nicht, als ihm der erste seinen Holzknüppel in die Magenkuhle stieß und ihm die Luft für weitere Gespräche nahm. Ihm blieb gerade noch Zeit, seinem Angreifer den Rücken seiner geschlossenen Faust ins Gesicht zu rammen, da traf ihn ein zweiter Schlag in der Kniekehle und er sackte auf Hände und Füsse zusammen, als der Geschlagene sich mit einem rohen Tritt in sein Gesicht revanchierte und er durch die Wucht nach hinten kippte. „Halts Maul. Wir haben eine Nachricht von den Castellars. Sie möchten dir mitteilen, was sie davon halten, dass du dich mit einer der ihren abgibst.“ grinste eine der Wachen böse und ließ seinen Knüppel erneut auf ihn niederfahren. Kurz bevor sein Kollege mit in das Knüppel und Stiefelkonzert mit einstimmte hörte Alex eine unbekannte Stimme von der Tür „In zwei Tagen ist seine Verhandlung. Gebt acht, dass man nach der Iratze nichts von unserem Besuch sehen kann.“ Dann explodierte seine Welt in bunten Sternen und schmerzlose Dunkelheit nahm ihn in seine Arme. Castellar...

"So jung. So schwach. So nutzlos. Du willst ein Jäger sein?" Der fünfjährige Junge am Schreibpult wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Man hatte ihn hierher geschickt, damit er er ein Heim hatte, aber irgendwie hatte er Angst vor diesem Mann. "Du willst ein Jäger sein? Ich glaube nicht. Du bist eher ein Klotz am Bein, oder?" "N.. nein. Was? Steh gefälligst auf wenn du mit mir sprichst! Steh auf!" Steh auf...

Kalt und feucht. Alex versuchte ein Auge zu öffnen, aber nur das linke folgte seinem Gedanken, das rechte fühlte sich irgendwie verklebt an. Aber auch mit dem linken stimmte etwas nicht, es musste offen sein, aber es blickte nur in die Dunkelheit. Wenn man von den bunten Flecken einmal absah, die davor herumtanzten. 'Steh auf.' Alex versuchte sich zu bewegen, das Auge zu reiben, aber als er seinen Arm bewegen wollte, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Castellar... Sie hatten ihn aufs übelste verprügelt und dann einfach hier liegen lassen. Je mehr seine Besinnung zurückkam, desto mehr Schmerzen meldeten sich in seinem Körper. Zumindest war er nicht Blind, sein Auge folgte dem feuchten Nebel, der durch das Fenster hereinstob und erkannte die gedämpften Lichter der Garnison. Es war Nacht. War nicht gerade noch Vormittag? Wie lange hatte er hier gelegen? War es noch der selbe Tag? Die Verhandlung... in zwei Tagen... oder schon Morgen? Verdammt. Und dazu noch dieser seltsame Traum...
Ächzend rollte er sich auf den Bauch und robbte langsam in die Ecke, wo sich das Bett befand. Das tat weh. So weh, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb, als er sich an die Wand kauerte, die Beine so gut es ging an seinen Körper zog und seinen Kopf darauf legte. Keine Chance.

Ein Medizinball traf den Jungen am Kopf und riss ihn von den Füssen auf den gewachsten Bretterboden. Tränen schlichen sich in seine Augen, als er wieder aufblickte. "Was ist das denn? Ist das alles? Du bist kein Nephilim, du bist nicht mal ein Mundie. Du bist ein nichts. Hörst du mich? Glaubst du, ein Werwolf hört auf auf dich loszugehen, wenn du wie ein Baby flennend am Boden liegst?" Ein weiter Ball traf ihn mit voller Härte. "Es wird nicht aufhören, solange du dort liegenbleibst. Du wirst schon etwas um müssen. Kämpfe." Ein weiterer Ball. "Steh auf und Kämpfe."

Immer noch Nacht. Oder schon wieder? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Stöhnend ließ er sich auf die Seite fallen und zog sich an einem Bettpfosten hoch. Schon wieder kurz davor, die Besinnung zu verlieren, angelte er die Stele unter der Matratze hervor und ließ sich zurück auf den Boden sinken. Ein paar kurze, auswendig geführte Bewegungen und ein bekanntes Brennen setzte ein, gefolgt von einem ebenso bekannten Schmerz, der ihm aber diesmal die Besinnungslosigkeit verweigerte.
Zwei Tage. Keine Zeit mehr. Krachend wurden die Riegel beiseite geschoben und der Wärter betrat den Raum. „Sowas, er hat es doch tatsächlich ins Bett geschafft. Vielleicht hätten wir noch ein wenig weitermachen sollen.“ dreht er sich lachend zu seinem Kollegen um, bevor er gegen das Bett trat. „Steh auf, heute ist dein großer Ta...“ seine Mine versteinerte plötzlich, als sich der Kopf seines Gefangenen unter der von Speisestärke mittlerweile starren und einem Körper nachempfundenen Decke löste und mit einem dumpfen Poltern über den Fußboden rollte. Erschrocken drehte er sich zur Tür, doch Alex war schneller. In Windeseile hatte er sich aus der Ecke gelöst, in der er die ganze Nacht mit Lautlosigkeitsrunen verbracht hatte, rannte an der Wand entlang, sprang den Türwächter an, hing sich um seinen Hals und riss ihn mit sich zu Boden, bevor er ihn mit seinen Beinen in hohem Bogen in die Zelle beförderte, wo er mit einem Krachen in der Wand einschlug und zu Boden sackte. Sein Konterpart am Bett öffnete gerade den Mund um um Hilfe zu rufen und griff gleichzeitig zu seinem Gürtel, an dem sein Knüppel hing. Da war Alex auch schon bei ihm und unterband jegliche weiteren Bewegungen mit einem heftigen Tritt zwischen die Beine, bevor er ihm eine zu einer Art Korkenzieher umgebaute Bettfeder zwischen die Rippen rammte. Mit einem erstaunten und zugleich ungläubigen Blick sackte er neben der anderen Wache an der Wand röchelnd in sich zusammen. Alex verlor keine Zeit und schmetterte die Stele der einen Wache gegen die Wand, dass sie sich in tausend Stücke zerteilte und kickte die andere in eine entlegene Ecke der Zelle.
„Wenn du einen Bären einsperrst und ihn mit Stöckchen traktierst, komm nachher nicht auf die Idee die Hand durch die Gitter zu stecken um ihn zu streicheln. Mit freundlicher Empfehlung der Familie Kirov.“ raunte er dem Verletzen ins Ohr. „Ich sag dir mal was. Das Ding da steckt in deinem Lungenflügel. Bewegst du dich, könnte es verrutschen und er in sich zusammenfallen. Genau so, wie wenn du etwas anders tust, als ganz langsam zu atmen. Wenn dein Kumpel wieder wach wird, kann er dich mit der Stele heilen, bis dahin hast du genug Zeit um über russische Sprichwörter nachzudenken. Also, munter bleiben.“
Grinsend trat er gegen den Eimer und die Tüte mit seinem restlichen Essen wurde mitsamt des Unrates über die Wachen gespült, bevor er den Beutel ergriff und in den Gängen der Festung verschwand.
Wo lang? Insgeheim verfluchte er sich, warum er nicht Maika auch noch nach einem Plan der Kerker gefragt hatte, aber dafür war es nun zu spät. Den Weg zum Inquisitor kannte er. Verlockend, aber ziemlich kurzsichtig. So irrte er eine gefühlte Ewigkeit in den Gängen herum, schlich sich an Wachen vorbei, was dank Unsichtbarkeits- und Lautlosigkeitsrune hervorragend klappte, bis er an einer Treppe vorbeikam, an der ein frischer Luftzug von oben herunterzog. Nur ein paar Sekunden später stand er im freien und fluchte innerlich.
Es regnete immer noch. Mist. Wenngleich die Runen noch einen gewissen Schutz boten, was Lautlosigkeit betraf, mit der Unsichtbarkeit war es so ziemlich vorbei. Der Regen, der durch die magische Blase drang, wurde seltsam verzerrt. Damit konnte er kaum an den Wachen am Haupttor vorbei spazieren. Hastig sah er sich um.Vielleicht konnte er von der Mauer eine andere Fluchtmöglichkeit finden. Und er sollte sich beeilen. Lange würde seine Flucht nicht mehr unbemerkt bleiben. So schlich er eine der Außentreppen zur Festungsmauer hoch, bog um eine Ecke und stand plötzlich Auge in Auge mit einer der Wachen. Während die die Augenbrauen zusammenzog, und versuchte zu erkennen, was da vor ihm passierte, befand er sich auch schon im freien Flug nach unten und schlug in einem Pferdefuhrwerk auf. Der Wagenlenker war völlig verdutzt und blickte zu ihm hoch, bevor er anfing zu schreien und mit ausgestrecktem Arm auf ihn zeigte. „Ein Gefangener! Da oben! Wachen!“
Nun war es an Alex, blöd aus der tropfnassen Wäsche zu schauen, aber ein kurzer Blick an sich hinunter erklärte es schnell. Die Unsichtbarkeit war unsichtbar geworden, und schon schlugen die ersten Armbrustbolzen neben ihm ein. Er hastete die Treppe nach oben und den Wehrgang entlang, als vor ihm eine Tür aufflog und ihm ebenfalls Wachen entgegen strömten. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf die Zinnen zu steigen, als ihn ein brennender Schmerz an seiner Seite aus dem Gleichgewicht brachte und er in die Tiefe stürzte. Gerade noch könnte er ein triumphierendes „Ich hab ihn erwischt!“ und splitterndes Holz hören, bevor es erneut dunkel wurde.

Regen. Es gab einmal Zeiten, da mochte er den Regen. Den warmen Sommerregen, wie eine warme Dusche. Aber jetzt war Winter. Der Ausbilder des Jungen saß am Fenster mit einer dampfenden Tasse Tee und er selbst stand zähneklappernd, nass und frierend hier draußen. "Jedes mal, wenn du dich bewegst, dauert es noch eine Stunde länger. Ich habe Zeit."

Blätterrauschen. Nein das war nicht seine Zelle. Und im Jenseits regnete es bestimmt auch nicht. Alex öffnete stöhnend seine Augen und spähte hastig durch die Gegend. Tatsächlich, er war noch am Leben. So langsam musste sein Glück aber aufgebraucht sein, mit Verstand hatte dieser Sturz wohl kaum etwas zu tun. Nur, wie war er denn hier hergekommen? Da oben war die Garnison und er lag hier an einem Waldrand, wo der Stamm einer Eiche seinen Sturz aufgefangen hatte. Ein Stückchen weiter oben, auf halben Wege lag eine Art Holzstange mit einem Messingknauf. So langsam ergab das einen Sinn. Er wurde au der Mauer von einem Armbrustbolzen getroffen und hatte im Sturz über die Außenmauer einen der Fahnenmasten mitgenommen, an denen zu Festlichkeiten alle möglichen Flaggen baumelten. Dann war er auf dem triefnassen Boden aufgeschlagen und den Hügel bis hier herunter gerollt. Ja, er lebte, auch wenn er sich fühlte, als hätte ihn ein Güterzug angefahren und ihn vor einen anrollenden LKW geschleudert. Mittlerweile waren seine Sinne wieder wach genug, dass er den stechenden Schmerz an seiner Seite bemerkte und an sich herunter tastete und zischend Luft ausstieß, als er die Wunde traf. Warm von Blut... aber kein Bolzen. „Muss ein glatter Durchschuss gewesen sein“ murmelte er, während seine Hand tiefer fuhr und seine Hose im Beckenbereich abtastete. „Oh nein. Gebrochen.“

Mit finsterem Blick holte er den oberen Teil der Stele aus dem Hosenbund und betrachtete die Mischung aus blutiger Hand und zerstörtem Heilwerkzeug. Das war nicht gut, irgendwie musste er die Blutung stoppen, aber zuerst hier weg. Er wusste nicht wie lange er hier schon lag, sie würden wohl schon nach ihm suchen. Nur wo sollte er hin? Auf der gegenüber liegenden Seite der Garnison lag Alicante, aber das war keine gute Option in seiner Gefängniskluft. Koljas Anwesen. Dort würde er Essen, trockene Klamotten und Verbandszeug finden. Aber er würde genau so auch in der Falle sitzen, denn dort würde man sicher als erstes nach im suchen. Und eingekesselt in einem relativ unbekannten Haus? Nein danke. Hinter ihm lagen bewaldete Hügel, das war wohl die beste Wahl. Keine freien Flächen, genug Plätze sich zu verstecken und im Zweifelsfalle immer geradeaus marschieren, bis er dieses verdammte Land hinter sich hatte. Ok, auf gehts. Mühsam rappelte er sich auf und verschwand zwischen den Bäumen.

Den ganzen Tag schleppte er sich ohne Rast durch das Vorgebirge, in der Angst, doch verfolgt zu werden. Aber außer ein paar Reitern, denen er sorgsam aus dem Weg ging, war weit und breit nichts zu sehen. Vielleicht hatte der Regen auch sein Gutes. Bei der Nässe konnten die Suchhunde seine Witterung wohl kaum aufnehmen und das verschaffte ihm einen wertvollen Vorsprung. Als Nachtquartier suchte er sich eine kleine Felshöhle aus, die gerade groß genug war, um ihn zu verbergen und vor der Witterung zu schützen, aber zu klein, um irgendwelche Wildtiere zu beherbergen, die ihm gefährlich werden konnten. In den letzten Stunden seines Marsches hatte er Eichenblätter und Rinde gesammelt, die er nun mit einem angewidertem Gesichtsausdruck zerkaute und sich die Paste in die Wunde schmierte. Oh nein. Daran hatte er ja gar nicht mehr gedacht. Gerade wollte der den widerlichen Geschmack mit etwas Schinken herunter würgen, da fiel ihm auf, dass er sein Picknicktütchen gar nicht dabei hatte. Er musste es wohl beim Sturz verloren haben und danach nicht daran gedacht, als er los marschierte. Also wieder ohne Essen ins Bett. Morgen musste er aber zumindest etwas zu trinken finden, sonst würde ein weiterkommen so ziemlich unmöglich, wenn er die heutige Nacht überlebte. Er war durchgeweicht bis auf die Haut und an ein Feuer war nicht zu denken. Erstens, weil hier sowieso alles patschnass war, zweitens, weil der Rauch ihn womöglich verraten würde. So kauerte er sich in eine Ecke, zog mit einem verkniffenen Gesicht aufgrund der Wunde die Beine an den Körper und wartete auf den Morgen.

Wenn er doch nur aufstehen könnte. Der Junge lag im Bett und blickte sich um. An der anderen Seite stand eine kleine Kommode, auf der sich eine Karaffe mit Wasser befand. Durst. Diese Lektion im Regen hatte ihn krank werden lassen. So krank, dass er kaum aus dem Bett kam, wenn der andere Mann nicht kam und ihm half. Und er kam so selten. Aber er hatte Durst, so schlug er die Decke beiseite und erschauerte vor Kälte. Langsam, ganz langsam ließ er sich auf den Boden nieder und krabbelte auf allen Vieren zum Schränkchen.

Alex fuhr zähneklappernd hoch. Er war tatsächlich eingenickt. Und es war kälter geworden. „Nnnicht schlafen, du Iddiot. Dddu müsstest am besten wissen, was schlafen in dieser Kälte bbedeutet.“ fluchte er sich selbst an und versuchte zwischen den Wolken eine Tageszeit zu erkennen. Doch außer Wolken, im Hintergrund schwach vom Mond beleuchtet, war nichts zu sehen.
Was würde er für ein bischen Wärme geben, trockene, schweißtreibende Wärme. So wie in Spanien... als er Maire kennen lernte. Das Eis, der Brunnen, die Finsternis, die ihn einholte, als sie von Mikaels Leuten gekidnapped wurde... Linard, der Gromow am liebsten eine Blumenkette umgehängt und mit ihm Gassi gegangen wäre... grinsend hing er diesen alten Geschichten in einem warmen Land nach, bis ihn endlich ein orangefarbener Schein wieder in die Gegenwart zurückholte.
Es hatte aufgehört zu Regen und die ersten Sonnenstrahlen kündigten sich am Horizont an.

Ächzend kletterte Alex aus seinem Unterschlupf und steckte sich so gut er konnte, um seine steifen Glieder zu lockern, aber vorsichtig genug dass seine Verletzung, deren Blutung durch die Eichenpaste gestillt war, nicht wieder aufplatzte. Durch den langsam aufsteigenden Nebel des feuchten Bodens konnte er in der Ferne ein weiteres Waldstück erkennen, das Problem war nur, dass sich zwischen ihm und seinem Ziel eine weite Fläche Grasland befand, in der er völlig ungeschützt war. Die einzige Chance war, dass er diesen Frühnebel nutzte um dort hin zu kommen, das rotgoldene Band am Waldrand machte ihm zusätzlich Mut. Da war ein Fluss. Endlich was trinken. Und so begann er seine Wanderung, bis er am frühen Nachmittag wieder zwischen den Bäumen verschwand. Sobald er sich im Dickicht befand, lehnte er sich schwer schnaufend gegen einen Baum und schloss die Augen.
Das war nicht gut. Gar nicht gut. Die grobe Leinenkluft scheuerte an seiner empfindlich gewordenen Haut, er fühlte sich schlecht und seine Augen brannten wie Feuer. Der Tag im Regen, das Gefängnisabenteuer, die Wunde und diese verdammte kalte Nacht forderten ihren Tribut. Wie weit war es noch? Wie groß war denn dieses blöde Land? Lange hielt er das nicht mehr durch, und so wie es aussah, stand ihm noch eine Nacht unter freiem Himmel bevor. Für einen kurzen Moment kühlte er sich mit den Fingern die Augen, dann ging es weiter bis die Dämmerung hereinbrach.
Als heutigen Unterschlupf suchte er sich einen umgestürzten Baum aus, in dem er Zweige, Moos. Blätter und was er sonst noch so an trockenem Material finden konnte aufhäufte und schließlich sich selbst Gräser und andere weiche Gewächse unter seine dünne Kleidung stopfte. So gedämmt schlüpfte er in den Blätterhaufen und wartete fröstelnd auf den nächsten Morgen. Schlafen konnte und wollte er nicht, erstens wegen der Kälte, die trotz seiner Maßnahmen langsam aber sicher zu ihm kroch, zweitens wegen der Krabbelviecher, die sein Bett ebenfalls für eine nette Heimstatt hielten und, was ihn am meisten Beunruhigte und ihm Schauer über den Rücken jagte, das unbestimmte Gefühl beobachtet zu werden. Nachts im Wald keine besonders gute Erfahrung. Oder begann er schon im Fieberwahn zu fantasieren?

Als endlich das Tageslicht durch die Zweige brach, war er schon wieder auf den Beinen und nach nur ein paar weiteren Stunden Fußmarsch stand er vor einer wabernden Wand, die sich vor ihm erstreckte wie senkrecht verlaufender Fluß. Endlich. „Da hat jemand den goldenen Käfig offen gelassen, Herr Inquisitor. Ich geh mal gucken, ob noch alle Vögelchen da sind.“ Mit einem dünnen Kichern machte er einen Schritt in das Gebilde hinein und drehte sich um. Kein Wald mehr. Alexander stand, zerschunden und verdreckt wie er war, mitten auf einer Wiese, umrandet von Bäumen, die als Windfang dienten. Von irgendwo drang das tuckernde Geräusch von Schiffen zu ihm herüber, gemischt mit dem Lärm von Kraftfahrzeugen. Doch erst als er auf den Boden sah, sank er auf die Knie und befühlte die Spuren mit seinen Händen. Ein Traktor. In Idris funktionierten keine Traktoren. Ein weiteres Lachen. „Schenkt euch Engelsklingen, Runen und Dämonenjagden. So ein Treckerreifen ist die bedeutendste Erfindung, die jemals gemacht wurde.“
Dann hob er den Kopf und sah sich um. Wohin jetzt? War das nicht egal? Er war frei. Kurz überlegte er zur nächsten Straße zu stolpern und per Anhalter zum nächsten Hotel mit Restaurant zu fahren, aber als er an sich herunter sah dämmerte ihm, dass das nächste Hotel wohl eher eine Ausnüchterungszelle sein würde. Außerdem hatte er sowieso kein Geld. Also, was jetzt? Ein Telefon. Er musste ein Telefon finden. Er rappelte sich auf und schleppte sich weiter, bis er nach einer weiteren halben Stunde am Rande eines Industriegebietes stand und auf einen Schrottplatz blickte. Warum rührte sich denn da nichts? Ein wenig verunsichert stierte er hin und her, bis er sich mit der flachen Hand auf die Stirn schlug und sich, gepaart von der Wucht des eigenen Schlages und seiner Verfassung auf den Hosenboden setzte. „Am siebten Tage sollst du ruhen... hihi... ruhen... es ist Sonntag.“ Nachdem er sich ausreichend für seine bahnbrechende Erkenntnis beglückwünscht hatte, fixierten seine Augen einen Bürocontainer auf dem Gelände und ein paar Minuten, einem Zaun, einem Eisenteil und gesplitterten Glasscherben später stand er darin, hielt einen Telefonhörer in der Hand und hämmerte mit dem Zeigefinger Olegs Handynummer in den Ziffernblock.

nach hier
Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.

George Bernard Shaw
26.07.1856 - 02.11.1950
Gesperrt

Zurück zu „Idris / Alicante“