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St. Petersburg- Mittwoch, 22. September

Verfasst: Mo 28. Mär 2011, 17:30
von Katastropholy
Der Tropfen zuviel
Alexander Kirov
Ort: St. Petersburg
Datum: Mittwoch, 22. September
Zeit: 04:36 Uhr

Es war eine kurze Nacht, und langsam hielt er es nicht mehr aus, sich in seinem Bett hin und her zu werfen. Er musste auf andere Gedanken kommen, irgendetwas anderes als das, was die ganze Zeit in seinem Kopf seine Runden zog wie ein Sportwagen in einem 24- Stunden- Rennen. Seit seinem Gespräch mit Oleg gestern Abend, in dem er die Ereignisse der letzten Woche schilderte, ging sie ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Es musste aufhören, und bis jetzt war Training immer noch die beste Methode für so etwas. Also schwang er sich aus dem Bett , zog sich an und ging nach einem kurzen Stopp an der Kaffeemaschine in den Trainigsraum.
Nach einem tiefen Schluck aus seinem Becher ging er zur Wand, wo seit gestern Abend sein MP3-Player lag, stöpselte ihn an, drückte auf „Random“, schnappte sich einen Kampfstab und wartete auf die einsetzende Musik. Als die ersten Töne ertönten, ging er in Grundstellung und verharrte urplötzlich mit offenem Mund, während seine Augen ungläubig zu den Boxen wanderten. Denn anstatt schnellen, harten Indusrial-Rocks kamen da ganz andere Töne. „Was zum… Was ist das?! Verdammt ich lieb Dich?“ Missmutig stiefelte er zu dem Gerät und schaltete ein Lied weiter. „Das gibt’s doch nicht…“ ´Bed of Roses´ weiter `Sexy Eyes´ weiter ´Lady in Red´ weiter ´ I wanna know what love is´ weiter, weiter, weiter, weiter... Das konnte doch nicht war sein, das war doch definitiv sein Player. Aber nicht seine Musik. „ Schukoooooov! Ich Pinkel Dir in Deinen verdammten Samowar, Du blöder Witzbold!“ Wutentbrannt schleuderte er den Stab durch den Raum. Nein, das ging so nicht, nicht unter einem Dach mit diesen Möchtegernkomikern. Er musste raus hier.
Auf dem Weg zu seinem Zimmer machte er einen kurzen Stopp in Olegs Arbeitszimmer und hinterließ, nachdem er einige Momente lang das soeben besagte Teegefäß betrachtet hatte, ein paar kurze Zeilen auf dem Arbeitstisch: `Bin neue Musik holen, die alte ist schlecht geworden. Wartet nicht mit dem Abendessen auf mich, Alex. ´
Keine zehn Minuten und er saß mit Fellparka und Ohrenmütze in seinem Wagen und rauschte durch die erwachende Stadt.

Re: St. Petersburg- Mittwoch, 22. September

Verfasst: Di 29. Mär 2011, 17:47
von Katastropholy
Eine Welt zu beschützen
Alexander Kirov
Ort: St. Petersburg
Datum: Mittwoch, 22. September
Zeit: 07:14 Uhr

St. Petersburg. Groß, prächtig, alt und nichts ahnend. Keiner der Menschen wusste hier von Dämonenangriffen, von Vampiren, die direkt unter ihnen lebten oder von Werwölfen, die sich in den riesigen Wäldern dieser Gegend umhertrieben. Und sie wussten nichts von ihnen, den Nephilim, den selbsternannten Beschützern der Menschheit. Während er die Strassen entlangfuhr, sah er sie, auf dem Weg zur Arbeit, Einkaufen, Frühstücken oder einfach nur Spazieren, unwissend, naiv, sorglos. Und damit sie das weiter tun konnten, waren sie erschaffen worden. Er lenkte seinen Wagen auf einen Parkplatz am Hafen, schnappte sich seine Tasche und ging die langen Stege entlang.
Erschaffen, um die Menschheit zu beschützen. Was für eine Ironie. Und wer beschützte die Menschheit vor sich selbst? dachte er, als er zwischen alten, halb verrosteten Schiffen den Militärhafen mit seinen Kriegsschiffen und U-Booten entdeckte. Vor ihrem Ehrgeiz, ihrer Selbstsucht, ihrer Sucht immer mehr haben zu wollen? Dieselben Makel, die sein eigenes Volk zerfraßen, es arrogant, überheblich und „besser“ als die Mundies sein ließen? Oder zumindest dachten sie das, vor allem die Leute in Idris. Sie fühlten sich so sicher hinter ihren verdammten Türmen, dass sie auf alles andere herabschauten wie auf Untergebene.

Er blieb stehen und betrachtete die grauen und schwarzen Stahlkolosse in der Ferne. Wie viele von denen waren wohl Atomgetrieben? Und wie viele waren seit dem Untergang der Union wohl nicht mehr gewartet worden? Eins, fünf, zwanzig? Es wäre kein Geld da hieß es. Was für eine saudämliche Lüge, die die Menschen zu gern glaubten, weil es bequem war. Wie alles gern geglaubt wurde, was bequem war, worüber nicht allzu sehr nachgedacht werden musste. In Wahrheit war Geld da, war es schon immer, nur die Bedürfnisse waren eben anders. Es war wichtiger am Schwarzen Meer Menschen aus ihrer Heimat zu verjagen, damit man ein paar schöne Komplexe für die Olympischen Sommerspiele bauen zu können, was waren da schon ein paar Milliarden. Wenn man an noch mehr Geld kommen konnte, war immer Geld da, nur um den Altlasten der Vergangenheit verantwortungsvoll zu begegnen… tja.
Mittlerweile war er an seinem Ziel angekommen, vor ihm schlingerte ein kleiner Katamaran am Steg, an dessen Aufbauten in silbernen Buchstaben das Wort „Destiny“ prangte. Ein bösartiges Grinsen überfiel ihn, als er sich ausmalte, wenn eines Tages einer dieser Rostmagnete in die Luft flog. Vierhundert Jahre Kampf, Tod und Leid. Alles umsonst, was die ach so Göttlichen hinter ihren Türmen wohl dann machen würden? Darauf hoffen, dass der Schild auch das abhalten würde? Zum Erzengel beten? Reue zeigen? Wäre auf jeden Fall interessant. Mit einem schnellen Schwung warf er seine Tasche auf das Deck und kletterte hinterher.

Re: St. Petersburg- Mittwoch, 22. September

Verfasst: Sa 9. Apr 2011, 22:06
von Katastropholy
Einen Eid zu erfüllen
Alexander Kirov
Ort: St. Petersburg
Datum: Mittwoch, 22. September
Zeit: 09:37 Uhr

Es brauchte nur einige geübte Handgriffe, um das Boot seetüchtig zu machen, und eine halbe Stunde später war er aus dem Hafengebiet heraus und auf offener See. Trotz des bedeckten Himmels war es relativ warm und nicht allzu windig. Und am wichtigsten: Es regnete mal nicht. Beim trimmen des Hauptsegels fiel sein Blick auf seine Hände, besser gesagt auf seine Handrücken, wo sich unzählige verblasste Runensymbole zu einer Art feinem, silbrigem Spinnennetz zusammenfügten. Wie viele waren das wohl? Dreißig? Sechzig? Über hundert? Er hatte schon längst aufgehört mitzuzählen. Und das mit gerade mal dreiundzwanzig, verdammt. Das war das Erbe von Jonathan Shadowhunter, was einst eine gut gemeinte Idee war, hatte sich im Laufe der Jahre zu einem Fluch gewandelt. Solange es nur gegen Dämonen ging, hatten sie eine Chance. Nicht zu gewinnen, nein, gewinnen konnte man schlecht wenn man nicht mal wusste wo die Mistviecher überhaupt herkamen. Aber man war in der Lage ein blutiges Patt zu halten, bis- ja, bis der Rest auftauchte. Die Hexenmeister waren dabei noch das kleinere Übel, die Werwölfe und Vampire waren da sehr viel schlimmer. Seit diese Halbdämonen sich auf der Erde breit machten, wurde das alles sehr viel schwieriger. Besonders, da diese Gruppierungen im Laufe der Jahre nicht sonderlich gut behandelt wurden, selbst wenn sie noch zum Teil menschlich waren. Und nun wandten sie sich auch gegen sie. Und ab da wendete sich das Patt gegen sie. Auch wenn es sich viele Nephilim nicht eingestehen wollten, erst recht nicht öffentlich. Das war die harte Wahrheit. Sie waren dabei, diesen Krieg zu verlieren.
Alexander saß am Heck des Bootes und starrte mit einem freudlosen Grinsen in den grauen Himmel. Erschaffen, um zu sterben, darauf war das Leben eines Schattenjägers nun reduziert. Wie sinnvoll das ganze dann war, konnte man eigentlich nur daran messen, wie viele seiner Feinde man mitnahm und wie viele Nachkommen man für zukünftige Schlachten heranzog. Nun gut, das erstere war kein großes Problem für ihn. Seit seine Eltern verschwunden waren und er als sechsjähriges, völlig verstörtes Kind bei Oleg landete, kannte er kaum noch etwas anderes als trainieren, Kämpfen, töten. Er wurde mit der Zeit richtig gut darin und auf irgendeine perverse Art war er sogar stolz darauf, vor allem wenn er sich Gedanken machte, was er sonst hätte tun können.
Vor ein paar Jahren kam das Gespräch einmal bei einem feucht- fröhlichen Abend mit seinem Ziehvater darauf, warum er ihm seit er sich erinnern konnte nur Übungen, Taktik und Waffenkunde lehrte. Nach einigen Ablenkungsversuchen und einer ganzen Zeit voller nagendem Schweigen erfuhr er es endlich. Oleg wusste um den Zustand der Schattenjäger und um die Situation, in der sie sich befanden nur zu gut. Er hatte es früh genug erkannt, also machte er in jungen Jahren, als er selbst noch voller Idealismus war, dem Rat den Vorschlag junge Krieger auszubilden. Ohne Familie, ohne Bindungen, Jung, stark, furchtlos und absolut tödlich. Eine kleine Gruppe von Kriegern, die man dort hineinwerfen konnte, wo das schlimmste Schlachtgetümmel wogte und die solange überleben und den Feind ablenken konnten, bis die restlichen Nephilim die Lage unter Kontrolle bekamen. Eine Speerspitze, die Elite, Siegen oder bei dem Versuch sterben. Töten, ohne auf andere Rücksicht zu nehmen, ohne Mitleid, ohne Gefühle, ohne von jemandem oder etwas zurückgehalten zu werden. Und er sollte der erste sein.
Soweit die Theorie, das Training machte gute Fortschritte, nur die erforderliche Gefühlskälte wollte sich nicht ganz bei ihm einstellen. Er war ein Dickkopf und seine Persönlichkeit wollte sich nicht einfach so unterdrücken lassen, das hatte Oleg das erste mal gemerkt, als er den kleinen, halb erfrorenen Jungen aus dem Schlammloch zog, nachdem er Tagelang nach dem Foto seiner Eltern suchte. Er wehrte sich, wollte nicht ins Institut zurück, versuchte dort selbst aus dem Krankenzimmer zu flüchten, so dass Oleg Tage- und Nächtelang an seinem Bett wachen musste. Fast den Tränen nahe hatte er ihm dann gestanden, dass er damals das erste mal so etwas wie Vatergefühle für ihn entwickelte, aus dem Respekt vor seinem unbändigen Willen entstanden und ständig wuchsen. Jahre später teilte er dem Rat dann mit, dass er das Experiment nicht weiter fortführen konnte und wollte. Und da war er nun, Alexander Kirov, ein missglücktes Experiment, ein Killer mit Persönlichkeit. Würde zumindest ein guter Titel für einen Hollywoodstreifen abgeben. Was blieb ihm schon anderes übrig, als den Eid Shadowhunters zu erfüllen, selbst, wenn er ihn nie geleistet hatte? Er hatte einfach keine Wahl, er war ein Nephilim.

Re: St. Petersburg- Mittwoch, 22. September

Verfasst: So 10. Apr 2011, 21:36
von Katastropholy
Ein Leben zu leben
Alexander Kirov
Ort: St. Petersburg
Datum: Mittwoch, 22. September
Zeit: 12:23 Uhr

Der Wind frischte auf und drehte, so dass er gegen die Windrichtung kreuzen musste. Vor ihm köchelte eine Dose Ravioli auf einem kleinen Espitkocher leise blubbernd vor sich hin.
Nein, er hatte keine Wahl. Oder doch? Was wäre wenn er einfach so abhauen würde? Zwei Tage und er wäre am Kattegatt, drei bis vier weitere und der Atlantik läge vor ihm. Dann wäre er frei, frei zu entscheiden, wohin er gehen konnte, was er tun konnte. Nie mehr Nephilim sein, nie mehr töten müssen, keine Toten mehr sehen müssen. Keine Dämonen, Kinder von Irgendwas, Feen, Elfen, Nixen. Ein normaler Mensch sein.
Eine große Woge traf den Katamaran an der Seite und rüttelte ihn aus seinen Gedanken. Gerade noch konnte er mit dem Fuß sein Mittagessen vor dem Umkippen bewahren und ganz nebenbei bemerkte er, dass er seit mehr als einer halben Stunde den Kurs nicht mehr gewechselt hatte. Der kurze Blick auf dem Kompass ließ ein Lächeln auf seinem Gesicht erscheinen, er hielt genau auf die Landenge zwischen Dänemark und Schweden zu. Interessantes Unterbewusstsein, aber war es wirklich so einfach? Er schlug einen Nordkurs ein und reffte das Segel etwas, um in Ruhe essen zu können. Was würde er denn machen, wenn er das jetzt wirklich durchziehen würde? Was würde er für einen Beruf ergreifen? Taxifahrer? Zumindest der Wortschatz an Beleidigungen und sein Fahrstil würden dafür sprechen. Aber das wäre wohl das geringste Problem. In ihm floss Engelsblut, er würde immer mehr sehen können als normale Sterbliche, solange er lebte. Würde er einfach so weitergehen können, wenn in einer dunklen Gasse ein Vampir einen kleinen Snack zu sich nahm? Nachdenklich steckte er sich eine gefüllte Nudel in den Mund.

Einfach weitergehen, als hätte er nichts gesehen? Nein. Niemals. Das war nicht seine Art, könnte es niemals sein. Er würde kämpfen, wozu also dann fliehen? Von dort fliehen, wo er größeres Übel vielleicht schon an der Wurzel verhindern konnte? Auch wenn ihm dieser Ort alles andere als behagte. Alles, was ihm blieb, war sich selbst seine Freiheiten zu nehmen, sie am Schopf zu ergreifen und an sich zu reißen, egal, was die anderen dachten. War er eben der verantwortungslose, durchgeknallte Spinner, für den ihn alle hielten. Immer noch besser als scheintot vor sich hin zu vegetieren, um dann irgendwann mit Schrecken zu bemerken, wie viel Zeit seines Lebens man damit verschwendet hat. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und steckte die leere und ziemlich angekohlte Dose zurück in die Tasche. Außerdem…

Re: St. Petersburg- Mittwoch, 22. September

Verfasst: Di 12. Apr 2011, 10:33
von Katastropholy
Einen Traum zu jagen
Alexander Kirov
Ort: St. Petersburg
Datum: Mittwoch, 22. September
Zeit: 14:03 Uhr

Außerdem war da jetzt sie. Maire Castellar. Wieso bekam er diese junge Frau bloß nicht aus seinem Kopf? Ihre Augen, die süße Nase, ihre unbeschwerte, manchmal etwas naive Art? War er verliebt? Aber das war er doch schon öfter gewesen, aber bei ihr war es irgendwie völlig anders. So wie eine Kompassnadel sich immer nach Norden richtete, so drehten sich seine Gedanken um sie. Mehr noch, er hatte das Gefühl, dass jedes Organ, jedes Molekül, jedes einzelne Atom sich nach ihr ausrichtete, wie von einer unbekannten Physikalischen Macht getrieben. Die kurze Zeit, die sie in Madrid hatten, war die schönste seit langer, langer Zeit. Seit er ein Kind war, um ehrlich zu sein. Sogar die Suche nach dem Armband zählte er dazu, die Nacht in seinem Zimmer war der Höhepunkt des Ganzen. Einfach da liegen, sich umarmen, geborgen fühlen. Und morgen musste er nach Alicante, zu ihr. Musste ihr Misha erklären, musste ihr sich selbst erklären. Musste sie fragen, was das zwischen ihnen war. Es wäre das einfachste, einfach seine Waffe abzuholen und wieder zu verschwinden, aber das wäre nicht fair ihr gegenüber und sich selbst gegenüber auch nicht.
Eine ganze Weile beobachtete er die Schaumkronen auf den Wellen neben sich. Seltsam, eigentlich hatte er sich geschworen, dass der Eid, der Fluch mit ihm sterben würde, dass er niemanden mit seinem Ableben belasten wollte. Dass niemand sich dazu genötigt fühlen müsste, ihn rächen zu müssen. Oder war diese Einstellung Teil des Trainings gewesen? So genau konnte er das gar nicht mehr auseinander halten, aber würde er nicht jahrelang danach handeln, wenn er nicht auch davon überzeugt wäre? Was sollte er bloß machen? Er würde nach Alicante gehen, er würde sie sehen, mit ihr reden, über was? Egal. Er würde in ihrer Nähe sein. Wenn die anderen sie dort sähen? War doch eigentlich auch egal, oder? Wenn Nikolaj wieder eine große Lippe riskieren sollte, würde er sie ihm einfach abschneiden. Auch kein Problem. Alles Weitere würde sich zeigen, und wenn sich eine Gelegenheit zeigen würde, würde er sie wieder beim Schopf packen. Das war doch ein guter Plan, mehr konnte er hier sowieso nicht tun, außer sich selbst im Weg zu stehen.
Eine heftige Bö riss den Bug in Richtung Heimat und Alex nahm wieder Kurs auf St. Petersburg. Nachdem er den Spinnaker zusätzlich noch hochgekurbelt hatte, schoss das kleine Boot mit über 20 Knoten über die Wellen, während er in der hochsprühenden Gischt stand und sich lachend wie ein kleines Kind freute, während das Wasser auf ihn herabprasselte.
Ein paar Stunden später stand er wieder vor der Tür von Misha. „Was ist denn jetzt, willst Du die Trolle die Tannen alleine biegen lassen?“