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Laetitia

"Sie blickte kurz rüber zu Paulchen, weil er schließlich die Idee hatte, hier lang zu gehen. 'Naja, vielleicht wird das ja nicht ganz so schlimm. Wenn ich nur etwas besser in Diplomatie wäre', dachte Laetitia und besah sich den Friedhofskater.
"Tut mir leid. Wir haben sie gar nicht gesehen. Wir wollen hier auch gar nicht bleiben."

Der Friedhofskater blickte interessiert zu Laetitia, aber dann achtete er doch lieber auf Paulchen, von dem die größere Gefahr ausging. Lauernd fragte er: "Wenn ihr hier nicht bleiben wollt, wieso seid ihr dann überhaupt gekommen? Weil ihr es auf meine Amseln abgesehen habt?" Es war klar, dass das eine eher rhetorische Frage war - er glaubte keineswegs, dass es um Amseln ging. Er war sich aber nicht sicher, um WAS es stattdessen ging, und Katzen sind sehr neugierig. Außerdem konnte ein gestandener Kater ja nicht jedem Hinz und Kunz erlauben, einfach so durchs Revier zu stiefeln.

Paulchen

Die Gefahrenanalyse lief noch, aber das Zwischenergebnis war nur so mittelmäßig - der Friedhofskater war hier zuhause und kannte also das Revier. Er war auf der Höhe seiner Jahre, jung genug, um noch austeilen (und einstecken) zu können, aber alt genug, um schon zu wissen, worauf er zu achten hatte. Paulchen konnte von oben auf ihn runter springen, das würde ihm einen Vorteil geben, aber das ging nur einmal und er wollte diese Möglichkeit nicht voreilig vergeuden. Mal sehen, was der andere tun würde. Um seine Kampfbereitschaft zu testen, erklärte Paulchen aufmüpfig: "Als ob uns deine Amseln interessieren würden...", und das war sogar ehrlich, denn weder Mensch (igitt) noch Tier (nicht so wichtig) interessierten sich gerade für Jagdbeute.

Laetitia

Innerlich schlug sich Laetitia vor die Stirn. Man sagt zwar, dass es keine dummen Fragen gibt, aber diese Frage war ein gutes Gegenargument.
"Warum wir hergekommen sind, aber nicht bleiben wollen? Ganz einfach, weil wir von dort (sie zeigte mit dem Kopf in die Richtung, aus der sie gekommen waren) kommen und dorthin (und sie zeigte mit dem Kopf in die Richtung, in die sie wollten) hinwollen", antwortete sie mit einem Ton, der Spuren von Sarkasmus aufwies, den Laetitia nicht unterdrücken konnte.

Der Kater schien Laetitias Antwort ähnlich einzuordnen wie sie vorher seine: "Ach ja? Wenn ihr wirklich nur von da nach dort wolltet, wieso schneidet ihr dabei mein Revier, wo ihr überhaupt nichts verloren habt und euch nur aufhaltet? Oder seid ihr etwa schon so lange bei Menschen, dass ihr genau wie die auch glaubt, der gerade Weg wäre der kürzeste?" Man konnte hören, dass er sich nicht ganz sicher war, ob er die beiden Eindringlinge für blöd oder für frech halten sollte. Vermutlich beides.

Paulchen

Paulchen erkannte, dass der Friedhofskater in gewisser Weise Recht hatte - Katzen gingen fast immer sehr geschnörkelte Umwege, anstatt geradeaus zu gehen. Er hatte ihn auf dem Herweg gesehen und also gewusst, dass hier sein Revier war. Trotzdem war er geradeaus gegangen, ohne überhaupt danach zu fragen, wo genau die Grenze des fremden Reviers lag. Das hatte den Anderen natürlich provoziert.

Einen Moment lang fragte der Mensch die Katze, wie so ein Fehler hatte passieren können. Die Antwort war leider sehr klar: Der Mensch hatte einfach keine Ahnung, und dem Kater war das fremde Revier egal - er war der Meinung, den Anderen notfalls einfach verprügeln zu können und fertig. Michael verfluchte Paulchen.

Laetitia

"Ich habe keine Ahnung, bis wohin dein Revier reicht und es interessiert mich auch nicht. Wenn du uns nicht angehalten hättest, wären wir schon längst weg", sagte Laetitia und dreht sich weg. Dabei behielt sie ihn im Auge, ohne dass es weiter auffällt, damit sie bereit ist, falls dieser Friedhofskater sie angreifen will.
Außerdem rechnete sie damit, dass Paulchen, der bestimmt ein engeres Band zu seiner Katze hatte als sie, etwas tun würde.

Der Friedhofskater fackelte nicht lange. Er war offenbar nicht bereit, die Verletzung seines Reviers hinzunehmen - hier ging es ums Prinzip! Mit einem Fauchen sprang er auf Laetitias Seite auf die Mauer und ging auf die Katze los und versuchte, sie an den Oberschenkeln zu erwischen. Natürlich wusste er, dass Paulchen eigentlich das größere Problem war, aber die Provokation von Laetitia konnte er sich einfach nicht gefallen lassen. Außerdem - wenn er es schaffen sollte, sie sehr schnell in die Flucht zu schlagen, wäre Paulchen danach auf sich alleine gestellt. Divide et impera, sozusagen.

Paulchen

Als es los ging, wollte der Kater sofort mitten rein springen, aber der Mensch hielt ihn einen Moment zurück, weil er keine Lust auf eine Keilerei hatte. Das Ergebnis war, dass Paulchen oben auf der Mauer mehrmals vor und zurück wippte, als ob er sich nicht entscheiden konnte, ob er jetzt mitmachen oder zuschauen wollte. Dann aber gewann doch das Tier, als es dem Menschen erklärte, dass mit jeder Sekunde die Chance auf einen leichten Sieg geringer wurde: Falls Laetitia verletzt oder verjagt werden würde, müsste Paulchen allein gegen den fremden Kater kämpfen, und allein würde Laetitia ziemlich sicher verlieren, denn der Friedhofskater war größer und schwerer als sie. Als dann auch noch dem Menschen einfiel, dass er Laetitia schließlich noch brauchte und es sich nicht leisten konnte, dass sie verletzt wurde oder gar sauer auf ihn war, seufzte er gottergeben und sprang von der Mauer, um den Friedhofskater von hinten anzugreifen.

Laetitia

Als der Friedhofskater ansetzte, auf die Mauer zu springen, wie sie erwartet hatte, reagierte sie schnell damit, dass sie zur selben Zeit von der Mauer runtersprang, wie er raufsprang.
'Er ist zwar größer und schwerer als ich, aber dadurch auch nicht so wendig wie ich', dachte Laetitia.