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Vor Lübeck
4. Juli 1517, Morgen
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Kara lachte herzhaft. Irgendwie schien ihr nie jemand zu glauben, wenn sie es das erste Mal erzählte, dass sie noch niemals in ihrem gesamten Leben einen einzigen Fuß an Land gesetzt hatte.
"Wirklich, noch nie. Hier geboren, hier aufgewachsen. Die India ist mein Zuhause", sagte sie breit grinsend und sah zu Johns Gesicht hinauf.
"Stech' dir nicht in den Finger", grinste sie.
Und inständig hoffte sie, dass er es nun tat. Sie liebte solche Zufälle. Und so etwas war immer für einen Lacher gut. Kara lachte gerne. Aber dennoch ahnte sie, dass John einfach zu geschickt im Umgang mit Nadel und Faden war, als dass so etwas geschehen könnte. Das, was sie da eben gesehen hatte, war weniger Hausarbeit denn Kunst.

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4. Juli 1517, Morgen
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John grinste kurz und zwinkerte ihr zu.
"Keine Angst. Aber deine Sorge rührt mich", gab er leicht spöttisch zurück.
"Warum warst du noch nie an Land?", fragte er dann weiter und war gespannt, ob es ihre Entscheidung, oder die ihres Vaters gewesen war.

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4. Juli 1517, Morgen
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Kara seufzte leicht enttäuscht. Es wäre ja auch zu schön gewesen.
"Ich habe nicht das Bedürfnis danach. Außerdem habe ich gehört, dass es dort nicht schunkelt, wie es das hier auf See tut. Und davor habe ich ein wenig Angst. Vielleicht verliere ich da das Gleichgewicht?", sagte sie und es war in der Tat eine Spur Angst in ihrer Stimme zu hören.
Abgesehen einmal davon, dass sie schon immer Angst vor dem Unbekannten gehabt hatte, doch sie wagte es nicht, diese Schwäche zuzugeben. Nicht einmal ihrem Vater gegenüber. Und erst recht nicht John gegenüber.

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4. Juli 1517, Morgen
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"Hmm", John sah sie einen Moment prüfend an, ehe er wieder auf die Nadel hinabsah.
"Ich mag das Landleben nicht", sagte er schließlich. "Man fühlt sich eingeengt und irgendwie... unwohl. Zumindest geht es mir so."
Er sah wieder zu Kara.
"Aber ich glaube, dass ich die Seefahrt nie in dem Sinne zu schätzen gelernt hätte, wenn ich nicht auch die andere Seite kennen würde."
Er hütete sich davor, ihr zu sagen, sie müsste irgendwann an Land gehen und dass es für sie nur das Beste war. Dann hätte er sich auch gleich über Bord stürzen können. Stattdessen hielt er das Segel hoch.
"So, das hätten wir!"

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Kara betrachtete das kleine Kunstwerk, welches John da geschaffen hatte. Und in der Tat hatte Kara das Gefühl, als wäre es ein Kunstwerk und nicht etwas Nutzdienliches. Es war ja beinahe zu schade es wieder ins Lager zu tun. Sie fand, es müsse aufgehangen werden. Vielleicht übertrieb ihr Gedankengang aber dabei auch wieder nur, wie er es so gerne mal tat.
"Und du hälst mich nicht für verrückt?", sprach sie zweifelnd und blickte von dem geflickten Segel zu John.
"Andres versucht immer irgendwie mich an Land zu locken, weil er meint, es wäre das Beste für mich. Daher auch das kleine Versteckspielchen gestern", fuhr sie fort.

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Da war sie. Die Frage, die er gehofft hatte sicher zu umschiffen. Er sah sie offen an.
"Ich denke nicht, dass du verrückt bist. Wenn ich die Wahl zwischen der India und Land hätte, würde ich mich immer für die India entscheiden. Aber..."
Er seufzte leise.
"Aber ich denke, es tut jedem Seemann gut, zumindest ein wenig über das Leben an Land zu wissen", sagte er schließlich und überlegte sich bereits, mit wem er sich wohl den restlichen Tag unterhalten konnte, denn Kara würde ihn nun wohl keines Blickes mehr würdigen.

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4. Juli 1517, Morgen
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Etwas enttäuscht blickte Kara zu Boden. Die Riffelung des Holzes war so manches Mal schon das Anständigste und Ehrlichste gewesen, was sie gesehen hatte. Mal einmal davon abgesehen, dass sie es ja nicht anders gewollt hatte. Sie hätte einfach nicht nachfragen sollen. Das wäre sicher das Beste gewesen. Kara war einfach zu neugierig. Da konnte man ja nur enttäuscht werden. Und es war schon das zweite Mal, dass sie von John enttäuscht worden war. Ob das ewig so weitergehen würde? Warum sprach sie überhaupt noch mit ihm?
"Naja, wenigstens Kharecha meint, dass es meine Entscheidung sei. Er sagt immer, dass es mir an Land sowieso nicht gefallen würde", sprach sie mit leicht enttäuschter Stimme.
Und wie immer, wenn sie das sagte, meldete sich eine kleine Stimme in ihrem Unterbewusstsein, die meinte, dass ihr Vater das nur zu ihr sagte, weil er sich davor fürchtete, Kara könnte es an Land besser gefallen, als hier auf der India, dass er sich davor fürchtete, sein einziges Kind an das von ihm so sehr verhasste Landleben zu verlieren.

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4. Juli 1517, Morgen
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Kurz überlegte John, ob er in Karas Nähe einfach aufhören sollte, die Wahrheit zu sagen, doch das war nicht seine Art.
"Ich habe nicht gesagt, dass es nicht deine Entscheidung ist. Du hast mich nach meiner Meinung gefragt. Ich würde an Land gehen. Ich würde diesen Teil der Welt ebenfalls kennenlernen wollen. Aber das ist meine Sicht der Dinge", sagte er schließlich und legte das Segel zusammen. Er sah sie wieder offen an.
"Und nur weil es meine Meinung ist, muss es noch lange nicht deine sein." Er klemmte sich das Segel unter den Arm und stand auf.
"Darüber hinaus glaube ich nicht, dass ein Landbesuch irgendetwas bringen würde, solange du es nicht selber willst", sagte er mit einem Zwinkern.

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4. Juli 1517, Morgen
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Kara seufzte und blickte zu John hinauf.
"Ich habe Angst vor dem Land. Ich habe Angst, dass es mir dort besser gefallen könnte, als hier auf der India. Und ich habe Angst vor dem Leben dort. Den Menschen", sprach sie leise und ehrlich.
"Ich bin ein Mädchen und so werden sie mich auch behandeln. Hier behandeln sie mich wenigstens zumeist anständig. Mal einmal davon abgesehen, dass ich noch niemals eine Frau oder ein anderes Mädchen getroffen habe, geschweige denn gesehen", fuhr sie fort, leise, wie zuvor.

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John hatte sich bereits abgewandt und drehte sich nun überrascht um. Einen kurzen Moment musterte er Kara, ehe er sich wieder neben sie setzte.
"Jetzt hör mir mal zu. Erstens glaube ich nicht, dass dir das Landleben gefallen würde. Du bist eine geborene Piratin. Dir liegt die See im Blut. Das Landleben ist nichts, was du fürchten solltest. Und selbst wenn es dir besser gefallen sollte, was ich mir weiß Gott nicht vorstellen kann, hast du dann nicht das Recht, das Leben zu führen, das dich am glücklichsten macht?
Und was die andere Sache angeht, es ist nichts, aber auch gar nichts dabei, ein Mädchen oder eine Frau zu sein. Hast du jemals von meiner Großmutter Agatha Mors gehört? Sie war eine der gefürchtetsten Piratinnen, die es je gegeben hat. Und es hat sie nicht gekümmert, dass sie eine Frau war. Im Gegenteil. Jene Gegner, die sie aufgrund ihres Geschlechts unterschätzt haben, haben es bitter bereut. Sie war stark und eine ausgezeichnete Seefahrerin. Lass dir von niemandem einreden, du könntest etwas nicht, nur weil du ein Mädchen bist. Und vor allem rede es dir nicht selbst ein", sagte John entschlossen.