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Re: Waldhain - überall sonst in der Stadt

Verfasst: Mo 21. Jun 2021, 19:36
von Spikor
Paulchen

"Hoffen ist gut, aber nicht gut genug", meinte Paulchen, als er die zunehmende Hundedichte bemerkte. Ein Stadtpark nach Büroschluss war offenbar für Katzen nicht gerade der ideale Ort zum Spazierengehen. "Wir sollten uns für die Zukunft auf jeden Fall merken, diesen Park nicht mehr zur Haupt-Feierabendszeit zu durchqueren - entweder vormittags oder nachts wäre besser", schlug der Kater vor und peitschte unwillig mit dem Schwanz, als er all die Hunde sah. Die meisten davon waren sehr groß, denn kleine Schoßhündchen brauchten nicht so viel Auslauf wie Riesenköter, die von irgendwelchen Liebhabern oder Prolls in viel zu kleinen Wohnungen gehalten wurden und sich hier ihre tägliche Portion Auslauf holen mussten. Er schaute Laetitia an: "Ich schlage vor, wir machen einen Bogen um die Hundewiese. Sollen wir es nicht doch am Friedhof versuchen?"

Re: Waldhain - überall sonst in der Stadt

Verfasst: Fr 25. Jun 2021, 19:24
von Odin
Laetitia

Laetitia hielt an. Die vielen Hunde behagten ihr nicht. Sie hätte nicht gedacht, dass es so viele sind. Sie könnten es zwar vielleicht riskieren, aber warum, wenn es einen leichteren Weg gab. Ihr Stolz meinte zwar, dass sie unbedingt diesen Weg nehmen müssten, da Paulchen den anderen Weg vorgeschlagen hatte. Aber sie wollte auch nicht immer das Gegenteil von dem machen würde, was Paulchen sagt. Damit würde sie sich in seine Hand geben und das würde ihr noch weniger gefallen.
Also schluckte Laetitia ihren Stolz runter und dachte objektiv über ihr Problem nach. Zumindest so objektiv, wie es ihr möglich war.
"Ja, es ist wohl besser. Vorausgesetzt wir werden dort nicht groß aufgehalten. Mit dem anderen hast du auch recht. Zu dieser Zeit ist es wirklich nicht so gut. Oder wir müssen uns durch das Gebüsch am Rand des Parks durchschlagen."

Re: Waldhain - überall sonst in der Stadt

Verfasst: So 27. Jun 2021, 19:52
von Erzähler
Da sie sich einig waren, bogen sie in Richtung Friedhof ab, der ja am Rand des Parks lag und mit einer alten Sandsteinmauer vom Park abgetrennt war. Die Mauer war eine deutliche Begrenzung, aber sie war selbst für Menschen überwindbar. Für Katzen stellte sie also auch kein massives Hindernis dar, sofern man eine Aufstiegshilfe, z.B. einen Baum oder eine Parkbank fand. Diese Mauer war schon von Weitem zu sehen, also hielten beide so gerade wie möglich darauf zu. Der Weg zum Friedhof war nicht ganz einfach, da sie Spaziergängern, Radfahrern usw. ausweichen mussten, aber sie schafften es.

Die Friedhofsmauer war an ein paar Stellen durch Tore unterbrochen. Diese waren aus schmiedeeisernen Gitterstäben gemacht - Katzen konnten sich durch das Gitter hindurch zwängen. Aber um diese Tageszeit standen die Tore sowieso alle offen und es waren einige Leute im Friedhof, um Gräber zu gießen oder so. Der Gärtner von heute Vormittag war aber schon lange fertig und nicht mehr zu sehen.

Re: Waldhain - überall sonst in der Stadt

Verfasst: So 27. Jun 2021, 19:56
von Spikor
Paulchen

"Auf dem Herweg bin ich auf der Mauer entlang gelaufen", erklärte der Kater, als sie sich näherten, und zeigte auf einen Baum am anderen Ende des Friedhofs: "Dort bin ich hoch gekommen. Jetzt, auf dem Rückweg, müssten wir natürlich woanders hoch. Oder wir laufen unten an der Mauer lang." Das würde auch gehen, aber vor der Mauer standen immer mal wieder Sträucher oder kleinere Bäume, um die man herum gehen müsste. Zudem hätte man dann die Mauer im Rücken, die, vom Boden aus, für Katzen doch etwas hoch zum Raufspringen war - man hatte dann also in diese Richtung keinen Fluchtweg. Andererseits hatte Paulchen ja schon erwähnt, dass der Friedhof zum Revier eines fremden katers gehörte. Die Mauer schien ok zu sein, aber Reingehen würde wohl Komplikationen geben.

Re: Waldhain - überall sonst in der Stadt

Verfasst: Mo 28. Jun 2021, 12:13
von Odin
Laetitia

"Ich habe doch lieber einen Überblick über die Gegend. Außerdem bietet eine höhere Position einen strategischen Vorteil. Deshalb ..."
Laetitia sprang über einen weiteren Baum auf die Mauer und sah sich erstmal um.

Re: Waldhain - überall sonst in der Stadt

Verfasst: Mo 28. Jun 2021, 18:29
von Erzähler
Auf der anderen Seite der Mauer war ein ganz normaler Friedhof. In symmetrischen Reihen lagen die Gräber da, dazwischen gab es größere und kleinere Kieswege. Ab und an stand da mal ein älterer Baum herum. Überhaupt schien der Friedhof schon älter zu sein, die kleine Kapelle, die man zwischen Buschwerk sehen konnte, wirkte wie aus dem 19. Jahrhundert. Scheinbar war der Friedhof angelegt worden, als die Stadt - wie fast alle deutschen Städte während der Industrialisierung - gewachsen war und der mittelalterliche Friedhof nicht mehr gereicht hatte.

Bei der Kapelle gab es einen Brunnen, an dem mehrere Leute die typischen grünen Plastikgießkannen füllten. Insgesamt war der Friedhof relativ gut besucht, aber alle Leute gingen ihrer Arbeit schweigend nach, während vom Park her immer wieder Gesprächsfetzen und andere Geräusche herüber wehten. Straßenlärm hörte man hier nur ganz gedämpft. Der Kater, den Paulchen erwähnt hatte, war nirgends zu sehen, aber das musste nichts heißen, es gab ja genug Verstecke.

Die Mauer war aus Sandstein und breit genug, dass sogar zwei Katzen aneinander vorbei gehen konnten. Sie ging schnurgerade bis zur Ecke des Friedhofs, dort machte sie einen rechtwinkligen Knick. An ein paar Stellen wuchs Efeu über die Mauer, aber für Katzen war das kein Hindernis. Da, wo Tore waren, gab es freilich eine Lücke in der Mauer, aber es gab auf dieser Seite des Friedhofs nur eines. Um diese Tore zu schließen, gab es "Türen" aus schmiedeeisernem Gitter, um das ein Eisenrahmen herum gebaut war. Wäre das Tor zu, könnte eine Katze wohl auf dem Rahmen entlang balancieren, aber um diese Zeit stand das Tor offen und sie würden entweder die ca. 2m weit springen oder herunter hüpfen und drüben wieder hoch springen müssen, aber bis zum Tor waren es sowieso noch ca. 30m.

Re: Waldhain - überall sonst in der Stadt

Verfasst: Mo 28. Jun 2021, 18:31
von Spikor
Paulchen

"Schauen wir zu, dass wir weiterkommen, bevor der Hausherr noch auftaucht!" Mit diesen Worten sprang auch der Kater hoch und lief zügig los. Er erinnerte sich noch an Bully, den Dorfkater aus Klein Lerch, und hatte keine Lust auf Revierkämpfe.

Re: Waldhain - überall sonst in der Stadt

Verfasst: Di 29. Jun 2021, 17:13
von Odin
Laetitia

Stumm lief Laetitia hinter Paulchen her, bis zu der Lücke. Ohne zu zögern, sprang sie hier runter und auf der anderen Seite wieder hoch.

Re: Waldhain - überall sonst in der Stadt

Verfasst: Do 1. Jul 2021, 20:54
von Erzähler
Als Laetitia runter und wieder rauf sprang, war sie kurz auf dem Weg zu sehen. Eine Amsel, die auf einem Strauch gesessen hatte, flog eilig fort. Das irritierte Paulchen einen Moment und so stand er noch oben (war also noch nicht runter und drüben wieder rauf gesprungen), als es unter dem Strauch laut raschelte. Beide blickten zum Geräusch, und da sprang auch schon der Friedhofskater unter dem Strauch hervor. Er war ganz schwarz mit gelben Augen - halt, nicht ganz schwarz! An einigen Stellen hatte er graue Strähnen, und eine Hinterpfote und ein Teil des Bauches waren auch grau. Wenn er sitzen oder liegen würde, wäre davon nichts zu sehen, dann würde er ganz schwarz aussehen.

Aber er saß oder lag nicht, sondern er stand, und zwar mitten auf dem Weg, zwischen den beiden Mauerstücken und damit auch zwischen Laetitia und Paulchen. "Ihr habt meine Amsel aufgescheucht!", sagte er vorwurfsvoll.

Re: Waldhain - überall sonst in der Stadt

Verfasst: Do 1. Jul 2021, 20:58
von Spikor
Paulchen

'Och nöö, nicht schon wieder so ein Fuck-Revierkampf!', stöhnte Paulchen innerlich auf. Das waren so die Momente, wo er es hasste, ein Kater zu sein. Das Tier in ihm, der kampferprobte Bauernhofkater, sah die Sache anderes und begann, die Kampfkraft des anderen zu analysieren. Für den Menschen war es trotz seines Ärgers beeindruckend, wie schnell hier haufenweise Informationen anhand der Bewegung, der Haltung und der Stimme gesammelt wurden, um eine Gefahrenanalyse vorzunehmen. Da der mensch ganz mit Genervt-sein und das Tier ganz mit Analysieren beschäftigt war, sagte er nichts, sondern fixierte den fremden Kater aufmerksam. Es war klar, dass die Rangordnung hier nicht geklärt war. Noch nicht.