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Nanna
4. Tag, früher Nachmittag, Frühling
Auf dem großen Fluss nach Süden
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Nanna betrachtete den Mann - und die restliche Szenerie tatsächlich eher aus den Augenwinkeln. Doch ihr entging nicht, wie angespannt die Lage schien.
"Wie es mir scheint, könntet ihr jedoch ein wenig Beistand von uns gebrauchen. Lasst uns einkehren, wir gehen euch hilfreich zur Hand und ich werde die Götter, Geister und Ahnen anrufen, auf dass sie euch beistehen."
Sie sprach es so, dass es unhöflich wäre, eine Geistliche, wie sie es war, damit abzuweisen.

Der Mann stieß zischend die Luft aus, es klang ein bisschen wie ein Schnauben. Dann sagte er zu Nanna: "Ihr seid wohl nicht von hier, oder? Die Zeiten sind vorbei! Heute muss man sich überlegen, welche Götter man anbeten will und wie man die Ahnen anruft, denn es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, wie das geschehen soll, und manche Leute sind mit der Waffe schnell bei der Hand, wenn sie meinen, dass man es falsch macht."

Er zögerte einen Moment und musterte Nanna nochmal. Dann nickte er kaum merklich und seine Gesichtszüge entspannten sich ein wenig, als er, ein kleines bisschen leiser und weniger aggressiv, weiter sprach: "Wir hatten hier im Dorf auch schon Streit deswegen, und ein paar Leute sind weggegangen. Aber sie kamen zurück und haben gedroht, dass die Götter zürnen würden, wenn die Riten weiterhin falsch durchgeführt würden. Und dann kamen Männer des Königs und haben gedroht, dass der König zürnen würde, wenn man die Riten ändern würde. Seitdem sind wir sehr vorsichtig geworden und machen insgesamt nur noch wenige Rituale, dann können wir es auch seltener falsch machen."

Er drückte seinen Rücken durch und richtete sich wieder etwas auf, denn zuletzt hatte er sich beim Reden ganz langsam ein bisschen zu Nanna hingeneigt. Nun stand er wieder da wie am Anfang, und er sprach auch wieder so laut und in ähnlichem Tonfall: "Wir kennen euch nicht und wissen nicht, welche Riten ihr kennt und macht. Es ist gefährlich, euch aufzunehmen, denn das könnte irgendwen verärgern, und wir wollen nicht noch mehr Ärger. Selbst wenn ihr bei uns keine Rituale durchführt, kann es uns schaden, euch Obdach zu gewähren, falls ihr euch als Feinde von irgendwem herausstellen solltet."

Das war eine klare Abweisung, aber immerhin jagte er sie nicht davon, man konnte mit ihm reden. Er sah aus, als ob er auf etwas warte, eine bestimmte Reaktion oder Antwort. Fast, als ob das ein Test war.

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Bärnhardt
4. Tag, früher Nachmittag, Frühling
Auf dem großen Fluss in Richtung Süden
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Als der Mann Nannas Angebot zu religiösem Beistand mit einem Schnauben ablehnte, sog Bärnhardt scharf die Luft ein. So etwas hatte er noch nie erlebt gegenüber einem Schamanen. Da der Mann aber weitersprach, hörte Bärnhardt sich den Rest an und es klang schauderhaft - der Mann hatte Angst, dann Nanna die Rituale irgendwie "falsch" ausführen könnte und andere Leute darüber wütend werden könnten? Aber es passte zu dem zerstörten Altar im niedergebrannten Nachbardorf. Die Leute hier waren die Täter oder waren es nicht, auf jeden Fall wussten sie, wie leicht einem so etwas passieren konnte. Kein Wunder, das keine Händler mehr den Fluß herunter kamen. In diesem Land ging ja alles drunter und drüber.

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Arnolt
4. Tag, früher Nachmittag, Frühling
Auf dem großen Fluss in Richtung Süden
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'Falsch? Die Rituale falsch durchführen?', dachte Arnolt und runzelte die Stirn.

Er warf Nanna einen Blick zu und war gespannt, wie sie antworten würde.

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Nanna
4. Tag, früher Nachmittag, Frühling
Auf dem großen Fluss nach Süden
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Nannas Brauen hoben sich weiter und weiter je mehr diese Person von sich gab.
Nun, was der Mann sagte, bestätigte das Bild, das sie in dem zerstörten Dorf entdeckt hatten. Dennoch...
"Wie war das bitte?", fragte sie gefährlich leise und mit messerscharfer Stimme.
Und genauso scharf war ihr Blick. So konnte sie als Seherin nun wahrlich nicht mit sich reden lassen. Diese Leute ließen es ja reichlich an Respekt mangeln.

Auf Nanas Reaktion hin nickte der Mann nur und sagte: "Das dachte ich mir. Schade." Dann hob er das Werkzeug hoch, auf dessen Griff er sich die ganze Zeit gestützt hatte, und nahm das Holz in beide Hände - es war eine Steinaxt, ein bisschen so ähnlich wie die von Bärnhardt, wenngleich etwas kleiner. Die Männer, die bisher im Hintergrund herumgestanden hatten, reagierten, hoben ihre Werkzeuge auch hoch und scharten sich ein paar Meter hinter ihrem Anführer in einem lockeren Halbkreis auf der Dorfstraße. Während das geschah, sagte der Mann am Tor laut:

"Ich hatte gehofft, ihr währt vernünftig und würdet uns zusagen, euch ruhig zu verhalten und keinen Ärger zu machen, dann hätten wir euch vielleicht hereinlassen können. Wenn die Männer des Königs oder die der Priester gekommen wären, hätten wir so tun können, als wärt ihr vom gleichen Glauben wie die, die gerade da sind. Aber so wie es aussieht, seid ihr strolz auf eure Art zu glauben, und wollt sie nicht verleugnen. Das respektiere ich durchaus, glaubt mir - aber ich habe schon zu oft erlebt, wie es Leuten geht, die so denken, und ich habe keine Lust, mein Dorf genauso brennen zu sehen wie das Nachbardorf letzte Nacht. Ha! Einen Priester verstecken wollen, wie konnten die dort nur so dumm sein. Damit haben sie sich klar für eine Seite erklärt, und die andere Seite hat sie dafür zahlen lassen, bitter zahlen! Nein, nicht mit diesem Dorf! Mit uns nicht! Wenn ihr zu eurem Glauben steht, dann wird es euch schlecht ergehen in diesem Land, denn viele werden euch nur dafür schon töten wollen, und andere werden erwarten, dass ihr für sie tötet! Überlegt euch das lieber nochmal, bevor ihr weiterzieht. Aber egal, mich geht das nichts mehr an. Verschwindet! Und bevor wir uns falsch verstehen - wenn mich irgendjemand, egal wer, fragt, dann werde ich sagen, dass ihr hier wart. Ich verfolge euch nicht, aber ich beschütze euch auch nicht. Zieht weiter, hier gibt es nichts für euch, denn ihr bringt Gefahr mit."

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Bärnhardt
4. Tag, früher Nachmittag, Frühling
Auf dem großen Fluss in Richtung Süden
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Als der Mann seine Waffe hob, tat Bärnhardt es ihm nach, aber da sie anderen Dorfbewohner auch dazu kamen, wusste er, dass es nicht klug war, sie anzugreifen. Außerdem redete der Anführer noch, er redete sogar ziemlich viel, und Bärnhardt sah keinen Grund, es sich nicht zu Ende anzuhören, denn alles,was sie über dieses Land erfahren würden, würde noch nützlich sein. Dann, als der Bauer schwieg und er und seine Nachbarn die drei bloß noch abweisend und mit den Waffen in den Händen anstarrten, war klar, dass von ihnen jetzt erwartet wurde, zu gehen. Bärnhardt war geneigt, diese Erwartung zu erfüllen, es sah keinen Sinn darin, sich jetzt mit all diesen Leuten herum zu schlagen, auch wenn sie es verdient hatten. Außer, dachte er, Nanna hat noch eine Idee - oder will ihnen eine Abreibung verpassen. Er schielte zu ihr und zu Arnolt hinüber, um zu sehen, was sie jetzt tun würden. Für sich hatte er schon entschieden, jetzt keinen Streit anzufangen, dazu war das ganze Dorf hier nicht wichtig genug, fand er, und die Chancen standen auch zu schlecht. Aber wenn seine Freunde das anders sahen, würde er sie natürlich nicht im Stich lassen.

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Arnolt
4. Tag, früher Nachmittag, Frühling
Auf dem großen Fluss in Richtung Süden
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Arnolt nahm wieder beide Hände an den Bogen, spannte ihn aber nicht, richtete ihn aber schon in die Richtung der Dorfbewohner.
'Meine Pfeile sind zwar schneller als jeder von ihnen, aber sie können uns trotzdem überrennen. Nanna wird in einem Kampf nichts ausrichten können. Und Bärnhardt wird auch nicht gegen so viele kämpfen können. Da wäre es klüger, nachzugeben. Und wenn es auch nur vorübergehend ist.'

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Nanna
4. Tag, früher Nachmittag, Frühling
Auf dem großen Fluss nach Süden
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Nannas Blick glitt streng und strafend über die Gesichter all jener bewaffneter Männer, denen sie sich gegenübersahen.
"Diesen Fehler werdet ihr noch büßen. Doch an mir ist es nicht zu richten. Das werden die Geister und Ahnen erledigen."
Alles, was man tat, wurde gerächt, war es ungerecht und gegen die Geister und Ahnen gerichtet. So waren die Dinge nun einmal. Entsprechend stellten ihre Worte auch keine Drohung dar. Es handelte sich um nichts anderes als eine Weissagung. Entsprechend war auch Nannas Tonfall.
"Gehen wir, dies ist kein Ort für uns", wandte sie sich wieder an ihre Begleiter.

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Bärnhardt
4. Tag, früher Nachmittag, Frühling
Auf dem großen Fluss in Richtung Süden
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Bärnhardt atmete erleichtert aus und bemühte sich, das so unauffällig wie möglich zu machen. Zu Nanna sagte er nur "Ja" und behielt die Männer im Blick, aber sie rührten sich nicht. Als sie sich vom Dorf entfernten, ging er die ersten paar Schritte rückwärts und drehte sich auch sonst dauernd um, um zu sehen, ob sie nicht doch verfolgt wurden. Sobald sie weit genug weg waren, um nicht mehr gehört zu werden, wenn sie leise redeten, sagte er zu den anderen: "Das war... unangenehm. Wenn es hier in jedem Dorf so ist, werden wir uns was einfallen lassen müssen, aber so, wie er geredet hat, ist es nicht überall so. Wir wissen jetzt immerhin, worum es in dem andern Dorf gegangen ist. Die hier wollen sich nicht entscheiden und sind gegen alle, aber die im andern Dorf haben sich entschieden. Für welche Seite wohl?"