DREI - Polaris (Seevolk)

[Therapistin]

Tobis
Auf der Polaris
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Tobis lächelte und legte dem Jungen die Hände auf die Schultern.
"Ich bin stolz auf dich, Ketyr", sagte er mit ernster Stimme. "Und ich denke, du bist genau der Richtige für diese Gabe. Bedenke aber, es ist nicht nur ein Geschenk. Mit dieser Gabe kommt auch Verantwortung." Doch das würde Vaia Ketyr lehren, da war Tobis sicher.

[Cassiopeia]

Ketyr
Auf der Polaris
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

"Aber... ich weiß ja gar nicht, worum es geht. Und was für Verantwortung ich tragen muss. Was, wenn es zu viel ist?", fragte er etwas beunruhigt. Trotzdem ließen ihn Tobis' Stolz strahlen.
"Ich bleibe immer ein Teil der Polaris", erklärte er in jugendhaftem Ernst. "Vielleicht kann ich uns sogar helfen, neue Fischgründe zu finden?" Wobei er sich nicht sicher war, ob er Fische noch Essen würde, wenn er unter ihnen Zuhause war als Wasserelementar. Das würde sich zeigen.

[Therapistin]

Tobis
Auf der Polaris
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

"Du wirst sie nicht alleine tragen, Ketyr", sagte Tobis mit einem beruhigenden Lächeln. "Meines Wissens nach gibt es noch weitere Elementare. Nicht nur für Wasser, auch für die anderen drei Elemente. Ihr alle tragt Verantwortung. Denn es geht nicht nur darum, dass du neue Fischgründe für uns finden kannst, auch wenn das durchaus ein großer Vorteil für die Polaris ist. Doch das wirst du alles noch lernen mit der Zeit. Es passiert nicht von heute auf morgen. Es wird Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre dauern, bis dir alles klar sein wird." So sagten es die Geschichten, die Tobis nach wie vor liebte. Geschichten, denen er immer schon Glauben geschenkt hatte.

[Cassiopeia]

Ketyr
Auf der Polaris
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Ketyr sah Tobis aus großen Augen an.
"Dann... stimmen die Geschichten, die du mir erzählt hast?", fragte er leise staunend. Er kannte sie alles auswendig und er fand sie seit frühester Kindheit absolut glaubhaft. Nie hatte er ein Wort dessen angezweifelt. nicht nur, weil jedes Kind aufregende Geschichten liebt und an sie glaubt bis zu einem gewissen Alter. Nun wurde ihm langsam klar, woher die Geschichten wirklich kamen.
"Hast du schon einmal andere getroffen? Andere Elementare?", fragte er Tobis aufgeregt. Es schien nicht zu geben, was der alte Mann noch nicht erlebt hatte oder wusste.

[Therapistin]

Tobis
Auf der Polaris
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Tobis nickte.
"Sie sind alle wahr, die Geschichten", stimmte er Ketyr zu. "Ich war früher genau wie du, habe jedes Wort in mich eingesogen und vor allem geglaubt, denn irgendwoher mussten die Geschichten ja kommen." Er drehte sich ein wenig und schwang sich auf die Reling - er mochte schon alt sein, doch er liebte es nach wie vor, hier oben zu sitzen. Dann klopfte er neben sich.
"Bis heute bin ich noch keinem begegnet, denke ich. Allerdings kann ich das nicht beschwören, niemand läuft umher und hält damit Haus, ein Elementar zu sein." Er legte den Kopf nachdenklich schief. "Als ich noch jung war, lange vor deiner Geburt, glaubte oder hoffte ich, ich wäre selbst ein Elementar", erzählte er. "Wir vom Seevolk haben alle eine besondere Verbindung zum Wasser, das weißt du, doch bei den einen eben mehr und den anderen weniger. Es dauerte viele Jahre, bis ich erkannte, dass ich nicht diese besondere Gabe eines Elementars hatte, ich konnte keine Stürme vorhersagen, keine Fischschwärme finden, vor gefährlichen Strömungen warnen. Nicht so, wie es die Geschichten sagen, wie du es vielleicht irgendwann wirst tun können. Möglicherweise war einer meiner Vorfahren ein Elementar, sodass noch ein kleiner Teil der Gabe in meiner Linie weiter vererbt wurde, doch das werde ich niemals erfahren, auch ist fraglich, ob diese Gaben tatsächlich vererbt werden." Er sah einen Moment zu den beiden Monden hinauf, die in der heutigen Nacht irgendwie zur Nebensache geworden waren.
"Du erinnerst dich ganz gewiss daran, dass einige der Geschichten davon erzählen, dass Elementare selten alleine auftauchen. Daher nehme ich an, dass im Augenblick weitere Menschen von ihren Gaben erfahren und von Elementwesen unterrichtet werden", sprach er nachdenklich. "Du kannst also davon ausgehen, dass du im Laufe deines Lebens selbst andere Elementare kennenlernen wirst."

[Cassiopeia]

Ketyr
Auf der Polaris
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Ketyrs Augen wurden, wenn das möglich war, noch größer.
"Du meinst, ich werde sie treffen? Andere Elementare? Sind sie wie ich? Oder so wie du?", sprudelte es aus ihm heraus, obwohl ihm klar war, dass Tobis die Frage gar nicht beantworten konnte, er war schließlich selbst kein Elementar gesehen.
"13 Jahre fahre ich auf dem Meer und nie dachte ich, dass es andere geben könnte, die sind wie ich", überlegte er und der Gedanke war aufregend und beruhigend zugleich.
"Weißt du, wann wir das nächste Schiff treffen? Vielleicht ist einer dort an Bord?"

[Therapistin]

Tobis
Auf der Polaris
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Tobis schüttelte amüsiert den Kopf.
"Ich weiß nicht, wie sie sein werden, Ketyr", erklärte er. "Vielleicht sind sie noch jung, wie du es bist. Doch es könnte auch andersherum sein. Sie werden aus allen Gegenden unseres Planeten stammen, aus großen Städten, aus den Bergen, aus Ödnissen, vielleicht tatsächlich auch von anderen Schiffen. Irgendwann wirst du es herausfinden. Aber bedenke, es können Jahre vergehen, bis sich dein Weg mit dem eines anderen Elementars kreuzt. Möglicherweise passiert es schon morgen. Oder in zehn Jahren." Wann sie auf das nächste Schiff treffen würden, war fraglich, das konnte niemand genau vorhersagen und somit ließ er diese Frage unbeantwortet, schließlich musste sich Ketyr dessen nach seinen nun 13 Jahren an Bord der Polaris selbst bewusst sein.

[Cassiopeia]

Ketyr
Auf der Polaris
2. Quartal des Jahres 2457
Nacht

Ketyr seufzte leise. Geduld war nicht seine Stärke, das wusste er. Aber er würde es lernen. Er musste andere finden, wenn es welche gab.
"Die Monde sind fast unter gegangen", sagte er schließlich und blickte den Himmel, wo die Zwillingsmonde sich wieder von einander entfernt hatten und der Größere näher zum Horizont stand. Bald würde nur noch das winzige Auge des kleinen Mondes ihre Fahrt bewachen.
"Meine Wache ist beinahe um. Dann werde ich Mayja wecken, dass sie mich ablöst." Er musste über vieles nachdenken aus dieser Nacht. Und bei Sonnenaufgang wurde er wieder im Wasser erwartet.

[Therapistin]

Tobis
Auf der Polaris
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Auch Tobis blickte nun wieder hinauf zu den Monden, die sich langsam voneinander verabschiedeten. Es machte ihn jedes Mal ein bisschen traurig, wenn er beobachtete, wie sie sich wieder voneinander entfernten, doch er freute sich auch immer wieder auf das nächste Mal, wenn sie gemeinsam über den Nachthimmel wandern würden.
"Hast du schon einmal von unter Wasser aus beobachtet, wie der Mond eintaucht?", fragte er Ketyr und sprang von der Reling zurück auf Deck. "Es ist noch viel faszinierender als wenn die Sonne untergeht. Ein kaltes und zugleich mysteriöses Licht." Er legte den Kopf schief. "Lass uns das noch ein wenig beobachten, bis Jenaeh den Becher heißes Wasser für dich bringt", schlug er vor, hängte seinen Mantel über die Reling und sprach im nächsten Moment darüber und ins Wasser.

[Cassiopeia]

Ketyr
Auf der Polaris
2. Quartal des Jahres 2457
Nacht

Ketyr überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf.
"Nein, noch nicht. Aber ich werde darauf achten, wenn sich Gelegenheit dazu ergibt." Dem Becher heißen Wassers würde er sich ergeben müssen. Es wäre sonst auffällig, wenn Jenaeh bemerkte, dass er kein bisschen fror.
"Ich werde nicht ewig heimlich abtauchen können", sagte er leise nach einer Weile, in der sie gemeinsam auf das Mondlicht geschaut hatten, das sich auf der Wasseroberfläche brach. "Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn Fragen kommen..."