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Samaa
Edaira-Gebirge
2. Quartal des Jahres 2457
Abend


Samaa war überfordert. Sie verlangten nichts? Wie konnte das sein? Alles hatte seinen Preis. Alles. Immer. Aber sie wollte jetzt nicht diskutieren, ihr war kalt, sie war müde, sie hatte keine Kraft für solche Gespräche. Sie gab ein Stückweit einfach auf.
"Wenn ihr mir aufhelft, dann kann ich noch ein Stück gehen. Aber das Aufstehen fällt mir immer schwer.", gab sie zu.

Anaora
Edaira-Gebirge
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Dass Samaa Angst hatte war nicht zu übersehen. Anaora wusste, sie konnte ihr die Angst im Moment nicht nehmen. Sie hoffte, Samaa konnte diese im laufe des Abends etwas ablegen, sodass sie würde schlafen können.
"Ich helfe dir auf", bot sie sofort an und tat es so vorsichtig sie konnte. Als Samaa schließlich stand, ging sie respektvoll wieder auf Abstand. Sie hob Samaas Sachen auf und reichte sie weiter zu einem der Männer. Das konnte Samaa unmöglich selbst tragen.
"Siehst du den Felsen dort links?", wies sie Samaa die Richtung. "Dorthinter liegt unser Eingang. Keine Angst, du kriegst deine Sachen sofort wieder, wenn du es willst. Aber du erscheinst mir sehr geschwächt. Du brauchst deine Kraft für den Weg. Wenn du bereit bist, gehen wir. Ich bin da, wenn du dich festhalten willst."

Samaa
Edaira-Gebirge
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Samaa ließ sich aufhelfen. Als Anaora ihre Sachen weiter gab, wollte sie gleich einwenden. In diesem Rucksack waren für sie wichtige Dinge. Bilder von ihrer Familie, ihr Ehering... diese Sachen wollte sie immer bei sich wissen. Aber Anaora hatte Recht, sie hatte eigentlich kein Kraft dazu.
Sie blickt zu dem Felsen, er schien so nah und gleichzeitig so fern. Sie hätte den Felsen niemals als einen Eingang erkannt. Sie wäre einfach vorbei gelaufen. Sie war für dieses Leben hier offenbar nicht gemacht.
Samaa nickte. "Ich bin bereit.", sie atmete tief durch. Sie zog ihre Jacke enger um sich. Die Luft hatte sich schon deutlich abgekühlt. Der Felsen hatte die gespeicherte Wärme abgegeben und damit sie gewärmt. Jetzt wo sie stand, war klar, dass es noch kälter werden würde. Vorsichtig ging sie los, froh darüber das Anaora nahe bei ihr war.

Anaora
Edaira-Gebirge
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Sie kamen langsam voran. Samaa gab das Tempo vor, niemand drängte sie, schneller zu gehen. Die beiden Männer folgten ihnen in einigem Abstand und sicherten den kleinen Trupp von Gefahren von hinten. Zu dieser Zeit waren die riesigen Hyänen in diesem Gebiet gerne aktiv. Ekelhafte Bestien, die alles fraßen, was ihren Weg kreuzte.
An diesem Abend hatten sie Glück. Sie erreichten den versteckten Eingang ohne einen Zwischenfall. Der erste der zwei Monde war bereits am Himmel zu sehen, als sie den Eingang betraten. Von drinnen drang der Duft nach Würzfleisch, Feuer und ein leiser Stimmenpegel zu ihnen. Als sie eintraten, blickten einige auf und sahen sie, vor allem Samaa, erstaunt an. Eine ältere Frau mit langen, grauen Haaren, einem freundlichen Gesicht und erstaunlich wachen Augen erhob sich und trat auf sie zu.
Anaora trat einen Schritt vor.
"Diese Frau braucht unsere Hilfe", erklärte sie, "Sie braucht Schutz für sich und ihr ungeborenes Kind. Erlaube ihr, bei uns zu bleiben."
Die ältere Frau sah zu Samaa und lächelte schließlich. "Ich war so alt wie du, als ich in die Berge kam. Vor vielen Jahren war das. Und ich war, wie du, schwanger. Bleib, so lange du willst." Sie sah wieder zu Anoara. "Zeig ihr einen Schlafplatz und gib ihr Essen. Sie kann ja kaum noch Stehen. Sie braucht Ruhe für sich und das Kind."
Anoara nickte und nahm Samaas Sachen wieder an sich. "Komm", sagte sie leise und sah Samaa aufmunternd an. "Bringen wir dich und deine Sachen in den Schlafraum."

Samaa
Edaira-Gebirge
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Samaa ließ einfach nur noch alles über sich geschehen. Sie hatte für nichts mehr Kraft. Sie nahm die Worte der alten Frau wahr, bekam aber nur ein Nicken und ein schwaches Lächeln hin. Ihr war sogar egal, was nun mit ihr passieren sollte. Vielleicht spürte sie auch einfach nur innerlich, dass ihr tatsächlich nichts passieren würde. Aber sie traute ihren eigenen Instinkten nicht. Es galten bisher immer nur Fakten, aber diese konnte sie im Moment nicht sammeln.
Sie blickte sich scheu um. All diese fremden Menschen und diese Höhle. Es war so unendlich weit von ihrem eigenen Leben weg: saubere, sichere Wohnung, reichlich Essen und Trinken, ein sorgenfreies Leben - ihr wurde schlagartig klar, dass sie dieses Leben nie wieder führen würde. Wie blauäuig war sie eigentlich gewesen? Die letzten Monate kamen ihr wie ein Film vor, in dem sie nur Zuschauer war. Nun war sie aber erwacht und erkannte, dass sie die Hauptrolle gespielt hatte und dies alles real war.
Wie in Trance folgte sie Anaora. "Danke.", flüsterte sie ihr heiser zu, als sie den Schlafraum betraten. Dann überkamen ihr alle Emotionen schlagartig und sie sank weinend zu Boden. Sie war in erstmal in Sicherheit und nicht mehr allein...

Anaora
Edaira-Gebirge
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Anaora ließ Samaa weinen. Die junge Frau musste eine Menge erlebt haben. Sie kam aus der Stadt, das war leicht zu erkennen. Sie musste von sehr weit weg kommen. Es gab weit und breit keine Stadt. Manchmal nahm ein Pilot mit seinem Fluggleiter den wahnsinnigen Weg über das Edaira-Gebirge nach Artan. Doch die meisten flogen über die Nordroute. Soo weit nach Süden wollte niemand, auch nicht in der Luft. Hier gab es nur Felsen und Steinwüste. Und doch Leben, wer danach zu suchen wusste.
Jemand brachte ihnen einen warmen Becher Kräutertee und Anaora reichte ihn vorsichtig an Samaa weiter.
"Trink den Tee. Der wird dir gut tun und dich entspannen."

Samaa
Edaira-Gebirge
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Langsam beruhigte sich Samaa wieder und nahm mit leicht zittrigen Händen den Tee entgegen. Vorsichtig nippte sie daran. Es war nach langer Zeit das erste Getränk mit Geschmack und dieser kam ihr sehr stark vor. Es schmeckte ungewöhnlich, aber keines Falls schlecht. Sie lehnte sich an die Wand und blickte sich kurz panisch nach ihren Sachen um, die sie jedoch schnell entdeckte und sich wieder beruhigte.
"Der schmeckt.", sagte sie und versuchte zu lächeln.
"Wie viele seid ihr hier?", fragte mit ihrer heiseren Stimme flüsternd Anaora. Den Teebecher umklammerte sie weiterhin, in ihren Augen, hat er gerade etwas sehr kostbares.

Anaora
Edaira-Gebirge
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

Anaora beobachtete Samaas Reaktion und setzte sich zu ihr.
"Wir sind ungefähr zwanzig. Manchmal verschwindet einer und kommt nicht wieder. Manchmal kommen neue dazu. Die Frau, die ich eben um Erlaubnis bat, ist unsere obere Entscheiderin. Sie hat keinen Titel oder eine Anrede. Sie ist einfach Idda. Die Leute hören auf sie. Sie hat etwas Beschützendes, Sicheres an sich. Wir leben hier seit einigen Jahrzehnten."

Samaa
Edaira-Gebirge
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

"So lange schon.", sprach Samaa leise. Würde sie auch so lange in der Wüste leben? Würde sie in die Stadt zurückkehren? Aber was sollte sie dort? Sie war eine geflüchtete, ohne Rechte, ohne Ansehen. Das alles hatte sie verloren. Sie war ein Niemand mehr. Sie strich über ihren dicken Bauch. Sie hatte keine Wahl, als sich mit dem allen auseinander zu setzen. Immerwieder vielen ihr ihre Augen leicht zu.
"Bist du hier geboren?", fragte sie leise weiter.

Anaora
Edaira-Gebirge
2. Quartal des Jahres 2457
Abend

"Das bin ich", antwortete Anaora. "Ich habe einen älteren Bruder, der ist in Shyk geboren. Danach kamen unsere Eltern hier her. Warum, weiß ich nicht. Hier stellen wir keine Fragen über die Vergangenheit. Hier sind wir einfach frei."
Ihr fiel auf, dass Samaa sich kaum noch wach halten konnte.
"Du schläfst ja schon fast ein. Komm, ich helf dir mit den Decken. Dann kannst du ruhig schlafen."