Der Text basiert auf dem RPG Einherjer, in welchem Askil durch die Heirat mit Keðja göttlich wird, ein Ase der nordischen Götterwelt. Der damit verbundene gesellschaftliche Aufstieg, Eroberungsfahrten, Kriege gegen Christen - alles im Namen Odins. Doch wie lange geht das gut?
Viel Spaß beim Lesen!
Odins Plan
Die Sonne steht tief über dem Hudson, so tief, dass ihre Strahlen durch die Erdatmosphäre gebrochen werden und rötlich erscheinen. Ein leuchtend rotorangener Feuerball, wie eine Warnung, es sich nicht mit ihr zu verscherzen.
Ich grüße sie, hebe mein Glas, welches zwei Finger breit mit Whiskey gefüllt ist, sodass es kurz wirkt, als leuchte die bernsteinfarbene Flüssigkeit darin ebenfalls auf. Es scheint mir der Millionste Sonnenuntergang zu sein, den ich in meinem langen Leben bewundern durfte. Bis heute, mehr als eintausend Jahre nach meiner Geburt, hat er nichts von seiner Wirkung auf mich verloren.
Whiskey aus Irland, der glühende Feuerball über dem Wasser, der glitzernde Hudson, der diese Millionenstadt umfließt und sich unaufhaltsam den Weg zum Meer bahnt, all das bringt Erinnerungen hervor. Erinnerungen an eine Zeit, die andere als glorreich beschreiben würden. Über die es Legenden, Mythen, Sagen gibt. Lieder, archäologische Befunde, Ausstellungen, Filme, Bücher, Dokumentationen. Eine Zeit, in der ich so viel mehr war als Askil, der es in der New Yorker Immobilienbranche zu bescheidenem Reichtum schaffte, sodass es für ein annehmbares Leben und ein Loft wie diesem mit Blick über den Hudson reichte.
Keðja würde mich vermutlich auslachen und verachten.
Allein der Gedanke an sie schmerzt so sehr, dass ich mein Glas in einem Zug leere und mich abwende von der Sonne und dem Wasser und ich weiß, ich bin nicht wegen des verdammten Sonnenuntergangs hier, sondern wegen des Wassers. Wegen ihr.
Unweigerlich kehren meine Gedanken weit, sehr weit in der Zeit zurück. In eine Zeit, als die Luft klarer und die Welt größer erschienen war. Voller Entdeckungen und Abenteuer, die auf uns warteten. Eine Zeit, in der vieles erst im Entstehen und Erwachen war.
Eine Zeit, als ich nur ein normaler Mensch gewesen war, ein Waffenschmied in Skíringssalr aus dem heutigen Norwegen. Ich hatte ein einfaches Leben geerbt, die Schmiede von meinem Vater, die Sorge für meine Schwester Silvana, die bereits glücklich verheiratet und zum dritten Male schwanger war. Ich selbst war Junggeselle und hatte wohl mehr Augen für meine Waffen als für Frauen, sodass die Initiative von ihr ausgehen musste.
Etwas mehr als zwei Jahrhunderte vor der ersten Jahrtausendwende trat sie an einem heißen Sommertag in meine Schmiede und bat mich um eine Wurfaxt. Wenige Zeit später kam sie wieder und erhöhte ihre Bestellung auf drei Äxte, erklärte, ich hätte eine besondere Verbindung zum Schmiedefeuer und fragte mich, ob ich je daran gedacht hatte, mit auf Viking zu fahren.
Ich sehe sie noch heute so klar als wäre es gestern gewesen vor mir, wie sie vom Licht umrahmt im Eingang der Schmiede stand. Keðja, eine Kriegerin, eine offene und starke Frau, von der niemand wusste, woher sie wirklich kam. Sie war plötzlich einfach da gewesen und es war dieser Moment in der Schmiede, den ich später als Schlüsselmoment ausmachte. Der Moment, in dem Odin seinen Plan begann umzusetzen.
Ich begriff erst später, dass ihre Fragen keineswegs zufälliger Neugier entsprungen waren. Dass sie nicht nur eine beeindruckende Frau und Kriegerin war, der meine Waffen gefielen. Sie war so viel mehr und rückblickend erscheint es mir unmöglich, all die Hinweise damals nicht gesehen zu haben.
Sie testete mich.
Ein Test, ob ich bereit war für den Weg der Götter, von dem ich zu jenem Zeitpunkt nicht annähernd etwas ahnte. Ich war Askil Adilsson, der Schmied in dritter Generation. Ich war nie zuvor auf einer Viking gewesen und hatte erst Recht keine Ambitionen, einmal Häuptling, Jarl oder gar ein Gott zu werden.
Nichts wusste ich damals von all den Ereignissen, die eintreten würden. Doch Keðja wusste es. Hätte ich damals anders entschieden, wenn ich ihr Wissen besessen hätte? Hätte ich mich gegen diesen Weg durch die Jahrhunderte entschieden, der damals, in jener Schmiede an jenem Sommertag, seinen Anfang nahm?
Ich werde wohl nie eine Antwort darauf finden. Denn ich ging diesen Weg.
Mit ihr. Für sie. Für die Götter.
Wie hätte ich nicht gehen können?
Es begann mit einem einfachen Vorschlag: den Häuptling zu überreden, die diesjährige Viking nach Westen statt nach Osten zu lenken, zu neuen Ufern, an welchen wohlhabende Christenvölker siedeln sollten, die reiche Beute versprachen. Und natürlich, selbst auf dieser Viking, die meine erste sein sollte, mitzufahren.
Wie hätte ich ahnen können, welche Ereignisse dies in Gang setzen sollte? Ereignisse, die mich bestimmen bis zum heutigen Tag.
Während die Viking nach Westen schließlich beschlossene Sache war, gingen andere Entwicklungen den Göttern offenbar zu langsam und so griff der Göttervater selbst ein. Odin schickte Hugin persönlich um mir die Hand seiner Tochter anzutragen. Welche, wie ich durch Hugin erfuhr, niemand geringeres als Keðja selbst war.
Keðja, die ich schon länger heimlich beobachtete, bei der mein Herz immer ein klein wenig schneller pochte, wenn ich sie sah und deren Lachen und selbstbewusste offene Art mich unzweifelhaft anzogen. Die kurzerhand von ihrem Vater dazu bestimmt wurde, mich, einen einfachen Dorfschmied, zu ehelichen. Mit weitreichenden Folgen, deren Konsequenzen ich erst Jahrhunderte später begreifen sollte.
An jenen Sommertagen ahnte ich noch nichts von Odins Plan und so kam es, dass ich mich unversehens als Bräutigam wiederfand und die Nacht vor der Abfahrt nach Westen meine unvergessliche Hochzeitsnacht wurde. Von jenem Tage an war ich nicht mehr Askil, der Schmied. Ich war Askil, der Ase, Gott des Schmiedefeuers und der Schmiedekunst. An der Seite der Göttin der See, Tochter Odins, Schwester Thors, Kriegerin der Neun Welten.
An der Seite Keðjas, die mich eine Liebe fühlen ließ, wie ich sie nie für möglich gehalten hatte. Ein tiefes, unerschütterliches Band, das uns gemeinsam durch jede Gefahr tragen sollte.
Damit war der Grundstein gelegt für die Eroberung der Welt im Namen der nordischen Götter. Keine Waffe meines Feuers wurde jemals stumpf, keine See ließ uns jemals kentern. Wir zogen aus um die Christen in ihre Schranken zu weisen in ihrer Lehre ihres Einen Gottes, um die Ehre unserer Götter zu verteidigen, die Ehre unseres Volkes hinaus zu tragen in die Welt.
Und das taten wir.
Wir verteidigten sie mit Schwert, Axt und Blut und ohne Erbarmen. Wir plünderten, mordeten, brandschatzten. Immer die Götter an unserer Seite. Die Welt lag uns zu Füßen und wir nahmen sie uns.
Der Aufstieg war unaufhaltsam. Aus einem Schmied war ein Gott geworden, schließlich ein Häuptling, ein Anführer. Mein Wort wurde Gesetz, was Macht und Einfluss mit sich brachte, meine Entscheidungen wurden respektiert und befolgt. Dass ich ein Gott war wussten nur sehr wenige, doch dass ich im Namen der Götter handelte, zweifelte keiner mehr an.
Erst sehr viel später sollte ich begreifen, dass genau das es war, was Odin für mich ersonnen hatte.
Die nahen Küsten reichten uns bald nicht mehr. Wir wollten mehr. Die Eroberungsreisen wurden weitreichender, ausschweifender, länger. Wir gründeten Siedlungen in Übersee - Irland, Island, Grönland, Vinland. Eine Route unseres Volkes nach Westen von der Alten in die Neue Welt wie eine gewaltige Brücke. Die Welt, so waren wir überzeugt, gehörte uns.
Doch der Christengott und seine Anhänger schliefen nicht. Ein Volk nach dem anderen sank vor ihm auf die Knie und als im Jahr 1000 Island die Statuen der nordischen Götter den Wasserfall hinunter stieß und sich zum Christentum bekannte, hätte uns das eine Warnung sein sollen.
Wir hörten sie nicht.
Odin war außer sich und wir schworen blutige Rache und Vergeltung.
Über Jahre ließen wir unsere Waffen klingen und tränkten die Erde im Blut der Christen in der festen Überzeugung, richtig zu handeln. Dabei übersahen wir, dass es längst zu spät war. Europa lag dem Einen Gott zu Füßen und wenn wir nicht aufpassten, würden wir auch unsere nordischen Länder an ihn verlieren und damit unsere Götter.
Das war die Zeit, in der mir erste Zweifel kamen, ob unser Weg der einzig Richtige war. Keðja und ich hatten zusammen die Welt befahren, Küsten in Blut und Asche getränkt, doch vor einem konnten auch wir uns nicht schützen: wir alterten nicht. Um nicht ständig in unserer Göttlichkeit enttarnt zu werden, sondern unseren Weg unter den Menschen fortsetzen zu können, waren wir schließlich gezwungen, weiter zu ziehen.
Wir wurden rastlos. Der große Plan, die Götter zu verteidigen war zu einer Farce verkommen und das Schwert Schlangenbiss, dem meine Magie innewohnte, schien mit jedem Tag schwerer in meiner Hand zu werden.
Keðja und ich stritten oft darüber. Ich war kampfesmüde und bereit, den Christen die Hand zu reichen. Sie mochten an einen anderen Gott glauben - doch war das wirklich so schlimm?
Ich begann, Odins Auftrag in Frage zu stellen, alles in Frage zu stellen, doch noch immer fehlte mir die Erkenntnis des ganzen Zusammenhangs.
Wir waren hochmütig gewesen zu glauben, die Welt gehöre uns. Sie gehörte allen Menschen mit allen ihren Göttern. Nicht nur den unseren. Nur hatten wir sehr unterschiedliche Meinungen darüber, welchen Grad der Akzeptanz wir diesem Umstand entgegen brachten.
Wir ließen abermals die Alte Welt hinter uns und trafen an fremden Ufern auf fremde Völker - die Ureinwohner des Nord- und Mittelamerikanischen Kontinents.
Hier ging es nicht um Blutvergießen, um Rache und Vergeltung im Namen der wahren Götter. Hier ging es um uns, um unseren Platz in einer neuen Welt. Wir hatten die Chance auf einen Neuanfang und wir nutzten ihn. Wir gründeten Orte, Siedlungen - auch hier, direkt am Hudson River, ein paar Kilometer östlich von dem Punkt wo ich jetzt stehe. Hier war unsere neue Heimat, eine unendlich riesige Wildnis, in der wir und unsere Götter frei sein konnten.
Alle paar Generationen zogen wir weiter gen Süden. Bis wir die Völker Mittelamerikas erreichten, wo wir abermals zu Göttern wurden.
Als Göttin der See und des Salzes und Gott des Vulkanfeuers wurden wir an die Spitze ihrer Welt erhoben, ein letzter Versuch sich an die Macht zu klammern, die Odin einst in uns entfacht hatte.
Ein paar Jahrzehnte, ein Jahrhundert vielleicht, hielten wir unseren Einfluss. Doch es war nicht genug und am Ende kam abermals der tiefe Fall. Das Volk, das uns verehrt hatte, zerrann zu unseren Füßen und wir konnten den Zerfall nicht aufhalten. Wieder hatte uns der Christengott eingeholt.
Abermals waren wir Götter ohne ein Volk und ich wusste, all das musste ein Ende haben.
Auf dem verlassenen Tempelplatz konfrontierte ich Keðja mit all meiner Wut, Enttäuschung und Schmerz. Ich war am Ende, müde der Kämpfe der Jahrhunderte, müde der Feindschaften, der erzwungenen Überlegenheit. Ich kämpfte schon lange nicht mehr für unsere Götter - doch wofür kämpfte ich? Wann hatte ich mich auf dem Weg verloren? Ich war Askil Adilsson und ich hatte meine Götter nie verleugnet. Doch ich war nicht länger bereit, Odins Plan zu erfüllen. Durch die Vermählung mit Kedja wurden wir die perfekten Anführer der nordischen Völker als ewige treue loyale Vertreter der nordischen Götter, wurden Odins Werkzeuge in der Welt der Menschen zur Sicherung und Verteidigung seiner Welt. Ein Plan, der in jener Sommernacht vor Jahrhunderten seinen Anfang nahm und am Ende krachend scheiterte.
Ich schleuderte ihr alles entgegen, rücksichtslos und verletzend. In dem Moment wollte ich verletzen. Sie war Odins Tochter, das war genau so ihr Werk und in jenem Moment gab ich ihr genauso die Schuld wie ich sie Odin gab.
Ich fühlte mich leer wie eine Hülle, außerstande, auch nur eines meiner Worte zurück zu nehmen. Ich konnte nichts weiter tun als mich abzuwenden und zu gehen.
Sie hielt mich nicht auf.
Wir wussten beide, dass in den letzten Jahren etwas in mir, zwischen uns, zerbrochen war, was nicht wieder heilen würde. Indem sie mich gehen ließ, respektierte sie diese Entscheidung, mich von alledem abzuwenden und ich frage mich bis heute, was passiert wäre, hätte sie es nicht getan.
Aufgewühlt trete ich von der Terrasse ins Innere meines Lofts. Mein Schwert hängt an der Wand, ich habe es vor mehr als zwei Jahrhunderten zuletzt geführt und seither nie wieder angerührt. Keðja war zu dieser Zeit bereits lange fort und ich kämpfte mir meinen Weg zurück in ein menschliches Leben.
Trotz allem was ich getan habe, gab sie mich nie auf. Alle paar Jahrzehnte bis Jahrhunderte sucht sie mich auf. Ohne Vorwurf, ohne Schuld. Nur mit der Bitte, zurück zu kehren und meinen Platz an der göttlichen Tafel wieder einzunehmen.
Ich weise sie jedes Mal ab und es bricht mir jedes Mal erneut das Herz. Dass sie mir nicht ein Wort ihrer Wut, ihres Schmerzes zukommen lässt, mich nicht ein Mal anschreit, macht es nur noch schlimmer. Sie hält fest an unserer Liebe, die mich nicht loslassen kann und mich jedes Mal zurück zieht in den Strudel aus Schuld und Wut, kaum mehr als ein Werkzeug gewesen zu sein ohne freien Willen, ohne freie Entscheidung.
Die überließ sie mir im allerletzten Moment als ich mich von ihr und der Erfüllung des Plans abwandte und dafür liebe ich sie nur noch mehr.
Mein Blick bleibt an meinem Schwert hängen. Ich weiß, ich muss mich dem eines Tages stellen. Eine klare Entscheidung treffen. Ich kann nicht ewig Askil, der Gott des Schmiedefeuers sein, der wie ein Mensch lebt und doch nie alles hinter sich gelassen hat. Sonst wäre das Schwert in den Schlachtgräben vergangener Kämpfe geblieben. Doch ich fühle bis heute die Verbindung, die mich daran erinnert, göttlich zu sein. Durch sie.
So dreht sich alles weiter im Kreis, bis ich den Mut habe, ihn zu schließen und sie das nächste Mal vielleicht nicht abzuweisen.