London war kalt, dreckig und laut. Nicht, dass Nate Kälte, Schmutz und Lärm etwas ausmachten, so zimperlich war er nicht. Er war mit den langen, eisigen Wintern der Rockies aufgewachsen und hatte in den schlammigen Goldgräbercamps gehaust. Der Baulärm der Eisenbahnstrecken und das Schlachtgetöse des Bürgerkriegs waren unbeschreiblich laut gewesen. Doch diese europäische Royalistenstadt schaffte ihn. Der feuchtkalte Nebel drang durch jede Faser seiner Kleidung, Ruß setzte sich überall fest, als ob er auf einer Dampflok arbeiten würde, der Lärm der Fabriken und der grauenhafte Dialekt der Einheimischen waren eine Qual für seine Ohren. Kein Wunder, dass hier alle blass (oder puterrot) und schwindsüchtig aussahen. Das Bier war dünn und schmeckte widerlich, das Essen aß er nur, weil er essen musste und es von seiner Wirtin für so gut wie umsonst bekam. An die losen Weiber ging er lieber nicht heran, sie sahen noch ungesünder als die übrigen Eingeborenen aus. Er konnte froh sein, dass die gute Peggy, seine Wirtin, recht ansehnlich und gesund war, so dass er sich nicht überwinden musste, sie nachts warmzuhalten. Sie stellte ihm daher um so bereitwilliger Kost und Logis zur Verfügung. In ihrer Pension mit zugehörigem Pub, wie die Saloons hier hießen, gab es immer was zu richten, so dass sie an ihm noch eine Menge Dollars sparte. Wie das hier mit den Pfunden, Schillingen, Guineen und Pennies funktionierte, hatte er immer noch nicht verstanden, weshalb ihm die Bezahlungen in Dienstleistungen immer noch lieber war.
Auf Dauer war das freilich nichts für ihn und er durchforstete eifrig die Zeitungen nach Nachrichten, die von einer abenteuerlustigen Hochwohlgeborenheit berichteten. Nach etwas mehr als einer Woche war Nate sogar bereit, einen Amerikatouristen zu begleiten, nur damit er wieder nach Hause kam. Jedoch wäre es mehr als peinlich, ohne einen Löwen oder einen Elefanten nach Hause zu kommen. Seine Frau hatte ihm eigens in ihrer schönsten Schreibschrift eine Liste seiner Klienten auf teurem Briefpapier niedergeschrieben, und er hatte seinen Enkeln aufregende Geschichten aus Afrika versprochen. Er musste weitersuchen, und er verließ sich darauf, dass der liebe Gott den Tüchtigen half. Und dieser fromme Wunsch wurde erhört, als eine Ausgabe der Illustrated London New in die Hände bekam. Dort las er von einem Lord Cavendish, wohnhaft in einem feinen Stadtteil Londons, welcher gedachte eine Expedition gen Indien zu unternehmen. Laut Peggy war die fette alte Vicky Kaiserin dieser Kolonie, und es gäbe Tiger, Elefanten, Tempel und Indianer dort. Das war das Zeichen, auf das Nate gewartet hatte. Er schnitt den Artikel mit dem Konterfei von Mr. Lord Cavendish aus, und ließ sich von Peg den Weg nach Kensington beschreiben.
Der Tag, wenn man ihn so nennen konnte, war trüb, feuchtkalt und rußig-neblig, wie fast jeder Tag, seitdem er hier gelandet war. Dennoch konnte Nates Laune heute nicht besser sein. Peggy hatte seinen Büffelledermantel mit Sattelseife auf Hochglanz gebracht und ihn frisch rasiert, die geölten Läufe seiner Colts strahlten mit ihm um die Wette. Er hatte seiner fürsorglichen Wirtin versprochen, sie in ein Kaffeehaus auszuführen, wie eine feine Lady, wenn der Lord ihn engagierte. Woran er nicht zweifelte.
Diese erlauchte Gegend mit ihren breiten Straßen, weißen Herrenhäuser und großen Gärten ähnelte verdächtig jener, wo auch Earl der Lackaffe hauste. Hoffentlich wurde er in Afrika von den Eingeborenen skalpiert und in der Nähe eines Ameisenhaufens bis zum Kopf eingegraben.
Hin und wieder, wenn er ein süßes Dienstmädchen sah oder eine hübsche junge Lady, sprach er sie an, um sie nach dem Weg zu Mr. Cavendish zu befragen. "Lord Cavendish?", kicherte das blonde Porzellanpüppchen unter seinem Schirm, obwohl es weder regnete noch die Sonne schien. "Seine Lordschaft werden Sie um diese Zeit nicht zuhause antreffen, er geht in den Club, wo auch mein Vater Mitglied ist. Daher weiß ich das" "Wie geht es denn dahin, werte Myladyschaft?", flötete Nate und setzte sein treuherzigstes Lächeln auf, was ihm beim Anblick dieses engelhaften Wesens nicht schwerfiel. Das Püppchen beschrieb ihm den Weg und er ergriff ihre Hand, um auf deren behandschuhten Rücken einen von Herzen dankbaren Kuss zu drücken. Ein zartes Rosa huschte über die Porzellanwangen und sie kicherte noch mehr. "Ich muss nun aber gehen, Sir, bevor mein Wachhund sich Sorgen macht und nach mir sucht. Es hat mich gefreut, Mr Griffin. Auf Wiedersehen" "Auf Wiedersehen, Myladyschaft", rief Nate dem entzückenden Mädchen hinterher und vergaß beinahe, weswegen er hier war.
Schnellen Schrittes begab er sich in die Richtung, die ihm die Kleine gewiesen hatte und musterte genau jeden Herrn, auf den das Bild in der Zeitung zutreffen könnte und fragte direkt nach Cavendish, den man anscheinend hier kannte. Er befand sich auf halber Strecke zu diesem ominösen Club, als er einem hochgewachsenen Kerl mit Zylinder an die Schulter tippte. "Hey, Meister, ich suche Mr. Lord Cavendish, haben Sie ihn gesehen? Er ist auf dem Weg in seinen Club, wie ich hörte." Mit diesen Worten hielt er dem Mann den Zeitungsausschnitt unter die Nase und begann zu grinsen. "Heilige Scheiße. Wenn das nicht Seine Erhabenheit persönlich ist. Gut, dass ich Sie treffe. Wir sollten uns nämlich über Ihre Reise nach Indien unterhalten. Ich bin mir sicher, dass Sie noch jemanden benötigen, der sich großen Tieren und Indianern auskennt und, was am wichtigsten ist, über das entsprechende Waffenarsenal verfügt." Nate schlug seine Mantelschöße zur Seite, um die beiden Colts zu präsentieren. "Und ich habe noch mehr. Zufällig habe ich gerade Zeit für eine solche Expedition. Nathaniel Joshua Griffin II., Großwildjäger und Scout, zu Ihren Diensten." Er zog das Papier aus seiner Manteltasche, auf dem die Liste seiner Klienten niedergeschrieben war.
"Mit diesen Herrschaften hatte ich bereits das Vergnügen!", verkündete Nate enthusiastisch, auch wenn er mehr als die Hälfte davon am liebsten vor der nächsten Bärenhöhle ausgesetzt hätte. Dann wäre es ein richtiger Spaß geworden.Dr. Karl-Heinrich Mayerhoff nebst Gattin und Sohn, Salzburg/Australien
Herr Ludwig Gotthold von Cleve, Münster/Deutsches Kaiserreich
Alexander Flanagan, Esq. Dover/Großbritannien
Sir David Lindsay, London/Großbritannien
Monsieur Marc-Henri Dampierre, Paris/Frankreich
Col. George William Henderson de Torby, London/Großbritannien
Charles Fitzsimmons, Esq., Oxford/Großbritannien
Don Enrique Miramòn, nebst Gattin, Monterrey/Mexico
Jonathan J. Astor, Esq., New York/Vereinigte Staaten
Rev. Jacob Callaghan, Baltimore/Vereinigte Staaten
Andrei Romanow, St. Petersburg/Russland