Prolog: London - Ende November 1880

Die Geschichte
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Kaddika

Prolog: London - Ende November 1880

Beitrag von Kaddika »

|Nate

London war kalt, dreckig und laut. Nicht, dass Nate Kälte, Schmutz und Lärm etwas ausmachten, so zimperlich war er nicht. Er war mit den langen, eisigen Wintern der Rockies aufgewachsen und hatte in den schlammigen Goldgräbercamps gehaust. Der Baulärm der Eisenbahnstrecken und das Schlachtgetöse des Bürgerkriegs waren unbeschreiblich laut gewesen. Doch diese europäische Royalistenstadt schaffte ihn. Der feuchtkalte Nebel drang durch jede Faser seiner Kleidung, Ruß setzte sich überall fest, als ob er auf einer Dampflok arbeiten würde, der Lärm der Fabriken und der grauenhafte Dialekt der Einheimischen waren eine Qual für seine Ohren. Kein Wunder, dass hier alle blass (oder puterrot) und schwindsüchtig aussahen. Das Bier war dünn und schmeckte widerlich, das Essen aß er nur, weil er essen musste und es von seiner Wirtin für so gut wie umsonst bekam. An die losen Weiber ging er lieber nicht heran, sie sahen noch ungesünder als die übrigen Eingeborenen aus. Er konnte froh sein, dass die gute Peggy, seine Wirtin, recht ansehnlich und gesund war, so dass er sich nicht überwinden musste, sie nachts warmzuhalten. Sie stellte ihm daher um so bereitwilliger Kost und Logis zur Verfügung. In ihrer Pension mit zugehörigem Pub, wie die Saloons hier hießen, gab es immer was zu richten, so dass sie an ihm noch eine Menge Dollars sparte. Wie das hier mit den Pfunden, Schillingen, Guineen und Pennies funktionierte, hatte er immer noch nicht verstanden, weshalb ihm die Bezahlungen in Dienstleistungen immer noch lieber war.

Auf Dauer war das freilich nichts für ihn und er durchforstete eifrig die Zeitungen nach Nachrichten, die von einer abenteuerlustigen Hochwohlgeborenheit berichteten. Nach etwas mehr als einer Woche war Nate sogar bereit, einen Amerikatouristen zu begleiten, nur damit er wieder nach Hause kam. Jedoch wäre es mehr als peinlich, ohne einen Löwen oder einen Elefanten nach Hause zu kommen. Seine Frau hatte ihm eigens in ihrer schönsten Schreibschrift eine Liste seiner Klienten auf teurem Briefpapier niedergeschrieben, und er hatte seinen Enkeln aufregende Geschichten aus Afrika versprochen. Er musste weitersuchen, und er verließ sich darauf, dass der liebe Gott den Tüchtigen half. Und dieser fromme Wunsch wurde erhört, als eine Ausgabe der Illustrated London New in die Hände bekam. Dort las er von einem Lord Cavendish, wohnhaft in einem feinen Stadtteil Londons, welcher gedachte eine Expedition gen Indien zu unternehmen. Laut Peggy war die fette alte Vicky Kaiserin dieser Kolonie, und es gäbe Tiger, Elefanten, Tempel und Indianer dort. Das war das Zeichen, auf das Nate gewartet hatte. Er schnitt den Artikel mit dem Konterfei von Mr. Lord Cavendish aus, und ließ sich von Peg den Weg nach Kensington beschreiben.

Der Tag, wenn man ihn so nennen konnte, war trüb, feuchtkalt und rußig-neblig, wie fast jeder Tag, seitdem er hier gelandet war. Dennoch konnte Nates Laune heute nicht besser sein. Peggy hatte seinen Büffelledermantel mit Sattelseife auf Hochglanz gebracht und ihn frisch rasiert, die geölten Läufe seiner Colts strahlten mit ihm um die Wette. Er hatte seiner fürsorglichen Wirtin versprochen, sie in ein Kaffeehaus auszuführen, wie eine feine Lady, wenn der Lord ihn engagierte. Woran er nicht zweifelte.

Diese erlauchte Gegend mit ihren breiten Straßen, weißen Herrenhäuser und großen Gärten ähnelte verdächtig jener, wo auch Earl der Lackaffe hauste. Hoffentlich wurde er in Afrika von den Eingeborenen skalpiert und in der Nähe eines Ameisenhaufens bis zum Kopf eingegraben.

Hin und wieder, wenn er ein süßes Dienstmädchen sah oder eine hübsche junge Lady, sprach er sie an, um sie nach dem Weg zu Mr. Cavendish zu befragen. "Lord Cavendish?", kicherte das blonde Porzellanpüppchen unter seinem Schirm, obwohl es weder regnete noch die Sonne schien. "Seine Lordschaft werden Sie um diese Zeit nicht zuhause antreffen, er geht in den Club, wo auch mein Vater Mitglied ist. Daher weiß ich das" "Wie geht es denn dahin, werte Myladyschaft?", flötete Nate und setzte sein treuherzigstes Lächeln auf, was ihm beim Anblick dieses engelhaften Wesens nicht schwerfiel. Das Püppchen beschrieb ihm den Weg und er ergriff ihre Hand, um auf deren behandschuhten Rücken einen von Herzen dankbaren Kuss zu drücken. Ein zartes Rosa huschte über die Porzellanwangen und sie kicherte noch mehr. "Ich muss nun aber gehen, Sir, bevor mein Wachhund sich Sorgen macht und nach mir sucht. Es hat mich gefreut, Mr Griffin. Auf Wiedersehen" "Auf Wiedersehen, Myladyschaft", rief Nate dem entzückenden Mädchen hinterher und vergaß beinahe, weswegen er hier war.

Schnellen Schrittes begab er sich in die Richtung, die ihm die Kleine gewiesen hatte und musterte genau jeden Herrn, auf den das Bild in der Zeitung zutreffen könnte und fragte direkt nach Cavendish, den man anscheinend hier kannte. Er befand sich auf halber Strecke zu diesem ominösen Club, als er einem hochgewachsenen Kerl mit Zylinder an die Schulter tippte. "Hey, Meister, ich suche Mr. Lord Cavendish, haben Sie ihn gesehen? Er ist auf dem Weg in seinen Club, wie ich hörte." Mit diesen Worten hielt er dem Mann den Zeitungsausschnitt unter die Nase und begann zu grinsen. "Heilige Scheiße. Wenn das nicht Seine Erhabenheit persönlich ist. Gut, dass ich Sie treffe. Wir sollten uns nämlich über Ihre Reise nach Indien unterhalten. Ich bin mir sicher, dass Sie noch jemanden benötigen, der sich großen Tieren und Indianern auskennt und, was am wichtigsten ist, über das entsprechende Waffenarsenal verfügt." Nate schlug seine Mantelschöße zur Seite, um die beiden Colts zu präsentieren. "Und ich habe noch mehr. Zufällig habe ich gerade Zeit für eine solche Expedition. Nathaniel Joshua Griffin II., Großwildjäger und Scout, zu Ihren Diensten." Er zog das Papier aus seiner Manteltasche, auf dem die Liste seiner Klienten niedergeschrieben war.
Dr. Karl-Heinrich Mayerhoff nebst Gattin und Sohn, Salzburg/Australien

Herr Ludwig Gotthold von Cleve, Münster/Deutsches Kaiserreich

Alexander Flanagan, Esq. Dover/Großbritannien

Sir David Lindsay, London/Großbritannien

Monsieur Marc-Henri Dampierre, Paris/Frankreich

Col. George William Henderson de Torby, London/Großbritannien

Charles Fitzsimmons, Esq., Oxford/Großbritannien

Don Enrique Miramòn, nebst Gattin, Monterrey/Mexico

Jonathan J. Astor, Esq., New York/Vereinigte Staaten

Rev. Jacob Callaghan, Baltimore/Vereinigte Staaten

Andrei Romanow, St. Petersburg/Russland
"Mit diesen Herrschaften hatte ich bereits das Vergnügen!", verkündete Nate enthusiastisch, auch wenn er mehr als die Hälfte davon am liebsten vor der nächsten Bärenhöhle ausgesetzt hätte. Dann wäre es ein richtiger Spaß geworden.
Amaryllion

Re: Prolog: London - Ende November 1880

Beitrag von Amaryllion »

|Lord Cavendish

Um ein Haar hätte sich Lord Cavendish zu spät in seinem Club eingefunden. Es war aber auch zu aufregend, sich in Karten und Berichten zu verlieren! Seine Reise nach Indien. Das Abenteuer, um das ihn vermutlich sogar noch sein Vater insgeheim beneidete. Zwar hatte der alte Cavendish so manches Abenteuer bereits hinter sich, das dem... nun... so gesehen ‚jungen‘ Cavendish noch bevorstand, doch Harland war davon überzeugt, daß die Banane so ziemlich die einzige Trophäe seines Vaters gewesen war, die er letztendlich als Beweis anführen konnte, sich wenigstens ein bißchen in der exotischen Fremde umgesehen zu haben. Nie und nimmer konnte sein Vater ein solches Abenteuer unternommen haben, wie er es derzeit plante! Ein mystischer alter Tempel! Bei Gott, das versprach nun wirklich etwas Besonderes zu werden!

Ein Blick auf seine Taschenuhr also ließ den britischen Lord aufmerken und die Papiere auf dem großen und massiven Mahagonitisch Papiere sein lassen. Er mußte sich sputen, wollte er nicht doch zu spät kommen! Und zu spät kam er einfach nicht. Unpünktlichkeit war ein höchst unbritisches Laster und ein unhöfliches noch dazu. Harland war nicht gewillt, sich mit irgendwelchen Flegeln in einen Topf werfen zu lassen. Deshalb hinterließ er ein ziemliches Durcheinander auf jenem Tisch, den nicht einmal sein ergebener Butler aufräumen durfte, griff sich seinen Zylinder und den Mantel gegen die empfindlich nasse Kälte, die dieses Jahr schon früh Einzug gehalten hatte in Londons Straßen, und eilte nach draußen.

Der Club befand sich nur wenige Gehminuten entfernt von seinem Herrenhaus entfernt und er hatte einen raschen Schritt eingelegt, um den verspäteten Aufbruch wieder hereinzuholen. Doch er hätte es nicht einmal über sich gebracht, eine schnellere Gangart an den Tag zu legen als dieses rasche Gehen. Nicht einmal bei dreieinhalb Minuten Verspätung. Ein Gentleman rannte einfach nicht. Die lange Beine griffen daher kräftig aus und ein erneuter Blick auf die Taschenuhr bestätigte ihm, daß er bereits eine ganze Minute gutgemacht hatte... da tippte ihm plötzlich irgendwer auf die Schulter. Überrascht und ob dieser frechen Berührung auch ein wenig empört, aber selbstverständlich äußerst gefaßt, hob er seinen Blick und blieb stehen. Ein Herr. In einem seltsamen Mantel. Und... waren das nicht sogar Revolver, die dieser Gentleman nahezu offen zur Schau trug? Harland blinzelte einen Augenblick in dem Bemühen, sich auf diese Situation einzustellen, auf die sich ein englischer Gentleman im Grunde gar nicht einzustellen vermochte. Er öffnete schon den Mund, um diesen seltsamen Herren vor sich zurechtzuweisen, da wurde ihm auch schon ein Stück Zeitung unter die Nase gehalten und sein Name fiel.

Die Anzeige zu seiner Expedition!

In Harlands Gesicht vollzog sich eine Wandlung und plötzlich zierte es ein breites Lächeln nebst einem eigentümlichen Leuchten in den Augen. Jedes ungebührliche Wort schien von den englischen Ohren taktvoll hinweggefiltert zu werden, bevor sie Lord Cavendishs Wahrnehmungszentrum erreichten. Ein Amerikaner! „Ah! In der Tat, Sie irren nicht, der bin ich.“ Eine behandschuhte Hand wurde dem seltsamen Gentlemen generös gereicht, schließlich mochte es sich hier tatsächlich um jemanden handeln, der womöglich genau die Person verkörperte, die dem Lord noch zu seinem Glück fehlte! Und wirklich! Der Amerikaner schien - wie all seine Landsleute - keinerlei Benehmen am Leib zu haben, doch war es nicht Harlands Glückstag, wenn er mit diesen Waffen tatsächlich auch umzugehen wußte? So viel Wert Cavendish auch sonst auf Umgangsformen legte, in diesem Fall nahmen sie eine weitaus geringere Priorität ein als sonst. „Mr Griffin, es freut mich tatsächlich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen.“ Harlands Lächeln hielt sich. Er nahm den Zettel entgegen, las die Namen, die eine Art Liste bildeten und faltete das Blatt Papier dann wieder akkurat zusammen. Dann musterte er den Gentleman erneut. „Es ist sicherlich üblicher, unterschriebene Referenzen statt einer solchen Namensliste vorzuweisen, doch ich verlasse mich bei der Wahl meiner Angestellten ausschließlich auf meine eigene Menschenkenntnis.“ Eindeutige Begeisterung und Vorfreude spülte durch seinen Körper. Er reichte den Zettel zurück. „Und die ist, nebenbei erwähnt, etwas, auf das ich in der Tat stolz bin, denn sie ist nahezu untrüglich.“ Vor nicht allzulanger Zeit hatte er schließlich seinen Butler eingestellt und es konnte gar keinen tüchtigeren und loyaleren Zeitgenossen geben! „Vier Herren auf Ihrer Liste sind mir sogar persönlich bekannt, doch das tut, wie gesagt, nichts zur Sache. Kenntnis der Waffen und auch der Indianer also - vortrefflich! “ Und was für große Unterschiede konnte es schon geben zwischen Indianern und Indern? Schon der Name war ähnlich und auch die primitive Stufe der Kultur mußte sich in einem ähnlichen Rahmen bewegen. „Mr Griffin - das Schicksal muß Sie geleitet haben. Ich habe die Stelle noch nicht vergeben.“ Der Club? Jetzt? Undenkbar! „Was hielten Sie davon, wenn wir die Details nun einfach bei einer guten Tasse Tee in meinem Hause besprächen?“
Kaddika

Re: Prolog: London - Ende November 1880

Beitrag von Kaddika »

|Nate

Der Blick, mit dem ihn der Royalist bedachte, war Nate nur allzu gut bekannt. Freilich gab er keinen feuchten Büffeldreck darauf, sondern freute sich immer wieder, wenn er ein solch feines Kerlchen aus der Reserve locken konnte – so wie auch jetzt. Allerdings hatte sich dieses Exemplar entweder ziemlich gut im Griff oder schien tatsächlich entzückt zu sein. Daher trug er ihm die entgangene Konfrontation auch nicht nach, packte die ausgestreckte Hand und schüttelte sie, wie es sich gehörte. „Und wie es mich erst freut, Mr. Lord, da können Sie echt einen drauf lassen“, erwiderte Nate mit vollem Ernst. Der lange Lulatsch mit dem Zylinder und dem schnöseligen Akzent war seine Fahrkarte nach Indien. Die würde er sich garantiert nicht mehr nehmen lassen, und wenn er sich an ihn fesseln müsste. Bei dem Hinweis auf die Referenzen verkniff er sich gerade noch rechtzeitig eine Bemerkung über adlige Beckmesserei, da der Lord ganz schön angetan von seiner eigenen Menschenkenntnis war. In Nates Fall war das natürlich völlig angemessen.

„Ich habe tatsächlich unterschriebene Referenzen, Meister. Die liegen bei meinen Sachen in der Pension, wo ich gerade wohne und ich schleppe sie bestimmt nicht den ganzen Tag auf der Straße mit. Ich zeig sie Ihnen später, wenn Sie wollen, auch wenn ich Ihre Menschenkenntnis nicht bezweifle“, merkte er an. Zwar war ein Großteil der Schreiben nicht wirklich freiwillig ausgestellt, aber man durfte nicht wählerisch sein, wenn die Alternative zu ein paar wohlwollenden Worten darin bestand, sich alleine von einem gottverlassenen Indianerreservat in Colorado nach New York durchzuschlagen oder eben dort zu versauern. Wahrscheinlich gehörten auch die vier Herrschaften dazu, die der Lord persönlich kannte. „Ach ja? Um wen handelt es sich denn?“ Nate machte sich kaum Mühe, seine Erheiterung darüber zu verbergen, die hatten sicher was zu erzählen gehabt und sich nur im besten Licht dargestellt. Details wie das Benutzen von Giftsumach zum Hinternabwischen, blieben gewiss unerwähnt. Der Russe war indes sein liebster Klient, der war die ganze Zeit besoffen gewesen und sie waren beste Freunde geworden. Andy Romanow hatte ihm ein zweiseitiges Referenzschreiben (inklusive eines opulenten Siegels, auf dessen Wappen anscheinend die halbe Tierwelt Russlands verewigt war) hinterlassen, in dem er besonders denkwürdige Ereignisse wie die Verbrüderung mit den Ute-Indianern oder der russisch-amerikanische Kulturaustausch in Dodge City noch einmal hatte Revue passieren hatte lassen.

Jedenfalls hatte er – wie erwartet – Mr. Lord ausreichend beeindruckt und er passte wie die Faust aufs Auge zu den Plänen des feinen Herrn. „Gottes Wege sind wunderbar, was?“, strahlte er und klopfte zufrieden auf die Griffe seiner Revolver. „Ich merke schon, Sie sind ein Mann der Tat, und ja, ich halte unglaublich viel davon – es ist hier draußen scheißkalt, der Nebel kriecht einem bis in die Arschritze.“ Eine anständige Tasse Kaffee oder ein Whiskey wären zum Aufwärmen noch viel besser, aber die Engländer hielten so unglaublich viel von ihrer warmen Brühe. „Dann lassen Sie uns zu Ihrem Palast gehen, ist ja nicht weit, oder?“ Nate knuffte seinen zukünftigen Klienten freundschaftlich in den Oberarm. Das würde sicher ein großartiges Abenteuer.
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