(3/3) Liara - Lorns Licht [Erbe der Götter]

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Cassiopeia
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(3/3) Liara - Lorns Licht [Erbe der Götter]

Beitrag von Cassiopeia »

Dies ist eine Geschichte über meinen Charakter Liara aus dem Spiel Erbe der Götter. Ich erzähle hier ihre Geschichte in vier Teilen, von ihrem zehnten Lebensjahr bis zu ihrer Rückkehr nach Ardakan Jahrzehnte nach Lorns Bannung.
Da ich in ihrer Kindheit anfange ist es vermutlich nicht zwingend notwendig, die Gegebenheiten des Spieles genauer zu kennen, da sich vieles aus der Geschichte heraus erklärt.
Ich wünsche euch nun viel Spaß und hoffe, es gefällt euch :D

Liara – Lorns Licht
TEIL EINS – der Lebenswille eines Kindes

Es war kalt an diesem Morgen, ein steter Nieselregen durchdrang nach und nach die Kleidung des Mädchens, welches nur in einem Leinenhemd und einer abgeschnittenen Hose barfuß an der Mauer kauerte. Hastig verschlang sie einen Apfel, den sie vom Marktstand gestohlen hatte und der ihr einziges Essen heute sein würde. Sie war Kälte gewöhnt, doch es gab nichts Entsetzlicheres als den Hunger. Nicht einmal den Stiel ließ sie übrig und als sie Schritte hörte, beeilte sie sich, weiter zu kommen. Heimatlose Straßenkinder waren in diesem Teil der Stadt alles andere als gern gesehen.

„Verehrter Magister, gedenkt Ihr wahrhaft, die Tore der Stadt zu öffnen? Quie hat Wehrtürme und eine aufgestellte Armee, wir können die Feinde zurück schlagen. Ihr müsst nur den Befehl geben – “

„War mein Befehl nicht eindeutig genug, Kham? Ihr mögt Oberster Offizier sein, doch die Befehlsgewalt liegt noch immer bei mir, der ich im Sinne des Konsuls handle. Stellt Ihr meine Anweisung in Frage, stellt Ihr den Konsul in Frage.“

Die Schritte wurden etwas langsamer, das Mädchen wagte sich nicht aus ihrem Versteck, welches sie in der Hast hinter einem Fass gefunden hatte. Sie verstand nicht ganz, worüber die beiden Männer sprachen, doch sie wusste, dass der Konsul ein mächtiger Mensch war, der mächtigste Mann in der großen Stadt Ardakan, die viele Stunden entfernt lag. Die Worte des Konsuls waren heiliges Gesetz. Was er sagte, wurde getan. Aber warum wollte er jemandem die Tore öffnen, die der andere Mann als Feinde bezeichnete?

„Hoher Magister, ich erbitte Eure Vergebung, ich wollte nicht – “

„Ich könnte Euch hier und jetzt wegen Verleumdung des Konsuls festnehmen und anschließend hängen lassen, Kham. Wir werden seit Monaten belagert und noch hat es kein Blutvergießen gegeben. Der Ton ist rauer geworden und Keltors Männer verlieren die Geduld. Wenn wir versuchen, die Armee aufzuhalten, sind wir in weniger als vierundzwanzig Stunden nicht mehr als Schutt und Asche, wenn die Götter selbst eingreifen. Wenn wir sie aber mit offenen Armen empfangen, geben wir Raum für Verhandlungen. Der Konsul ist kein Mann des Blutes, sondern ein Mann der Diplomatie. Daher rate ich Euch, Eure Zunge zu hüten, sonst lasse ich sie Euch heraus reißen. Und jetzt ruft Eure verfluchten Truppen zurück und öffnet die Tore!“

Die kräftigen Schritte wurden schneller und entfernten sich, doch es war nur ein Mann, der fort ging. Der zweite blieb sichtlich verstört an Ort und Stelle stehen, atmete hörbar tief ein und aus und murmelte: „Mögen die Götter ihn und seine Seele fressen!“ Dann ging auch er fort, in die andere Richtung als der Magister.

„Hee du, mach, dass du da weg kommst, du Lumpenbündel! Du vertreibst mir doch die ganze Kundschaft, fort mit dir!“ Ein dicker Mann war aus dem Laden getreten und erst jetzt erkannte das Mädchen, was ihr als Versteck gedient hatte: ein großes Fass der Weinhandlung, eine der nobelsten der Stadt. Hier wurde Traubensaft aus den fernen Ländern weit im Osten gehandelt, deren Namen das Mädchen nicht einmal kannte. Schnell lief sie davon und ihr Herz klopfte noch immer ganz schnell, als sie den Marktplatz mit seinem regen Treiben erreichte. Sie musste jemandem erzählen was sie gehört hatte!

„Liara, hier bist du! Ich dachte schon, sie hätten dich geschnappt!“, hörte sie eine Stimme hinter sich und drehte sich um. Jared kam direkt auf sie zugelaufen, der für sie wie ein großer Bruder und Held der Straße geworden war, seit sie fortgelaufen war. „Du und deine Alleingänge, Lia. Du bist ja ganz blass im Gesicht, ist etwas passiert?“

Liara blickte sich unruhig um und zog dann Jared nervös mit sich an den Rand des Platzes, wo sie ungestörter reden konnten.
„Da waren Männer“, begann sie zu erzählen und versuchte so gut es ihr möglich war die Unterhaltung des Magisters und des Offiziers Kham wieder zu geben.
Jared hörte ihr geduldig zu und Liara erkannte seine wachsende Sorge. Offenbar war nicht nur der Offizier besorgt.
„Ich verstehe das nicht“, sagte sie leise und ein wenig ängstlich. „Wer sind diese Feinde? Und wieso will der Magister sie in die Stadt lassen? Gibt es auch gute Feinde?“

Jared lachte leise und zerzauste ihr Haar. „Kleine Lia versucht wieder einmal die Welt zu verstehen“, sagte er, woraufhin Liara ihn entrüstet ansah. „Es gibt keine guten Feinde, Liara, es sei denn, sie sind Feinde deiner Feinde. Du bist zu jung um das zu verstehen.“

„Ich bin schon zehn!“, protestierte sie, doch Jared beachtete sie nicht.

„Ouh, das gibt dir natürlich sämtliche Weisheit, die die Götter besitzen“, entgegnete Jared und schüttelte den Kopf. Liara wusste, dass es keine weiseren Wesen als die Götter gab. Jeder wusste das.

„Lorn wird uns beschützen.“

Jared lachte, es klang fast ein wenig hohl. „Lorn!“ Aus seinem Mund klang es wie ein Schimpfwort, fand Liara. „Der weiß doch gar nicht, dass wir existieren. Und wenn er es weiß, interessiert er sich nicht für uns. Wir sind für ihn nur Ameisen, die er zertreten kann, wenn und wann er will. Nein, kleine Lia, der Gott des Wassers wird uns nicht beschützen. Wenn der Magister die Tore den Armeen Keltors öffnet, ist Quie verloren. Er ist nicht umsonst der Gott der Zerstörung.“

Damit ging Jared und Liara stand allein da mit den Worten, die ihr plötzlich so groß erschienen, so gewaltig, so unbegreiflich wie die Götter selbst. Wenn die Götter sie nicht schützten und die Armeen sie nicht verteidigten, was blieb ihnen dann noch?

Liara merkte wie sie begann zu zittern. Von ihren Eltern als Sklavin verkauft war sie ausgerissen, hatte das Haus der feinen Herrschaften hinter sich gelassen und gegen ein Leben auf der Straße in Frust und Hunger getauscht. Nachts sehnte sie sich nach einem Bett, einer warmen Decke oder einem duftenden Bad. Und Essen, viel Essen, welches sie satt machte und ihren Bauch füllte, bis sie beinahe platzen würde. Doch statt noblen Herrschaften Essen zu servieren war sie unsichtbar geworden in den Straßen von Quie, wo sie nun weniger Rechte besaß als eine Ratte.

Sie spürte plötzlich einen groben Griff an der Schulter und schrie erschrocken auf. Der Mann, der sie festhielt, trug eine Uniform und Liara war klar, dass er sie für ein nichtiges Vergehen festhalten und die Kerker werfen konnte, wenn sie nicht schnellstens handelte. Sie holte gerade zum kräftigen Tritt gegen das Schienbein aus, als es einen ohrenbetäubenden Knall gab und der Markt hinter dem Beamten förmlich in die Luft flog.

Sofort war der Mann herum gewirbelt und hatte Liara los gelassen, welche die Situation nutzte und in der Menge untertauchte. Überall lagen Holztrümmer der Marktstände und zermatschtes Obst und Gemüse der Händler. Ungesehen gelangte sie näher an den Tatort: mitten auf dem Marktplatz klaffte ein Loch. Ein sehr großes Loch, welches offenbar einige Menschen in seine Tiefen gerissen hatte, wie Liara schnell begriff. Sie sah sich um und erkannte einen Mann, der gegen den Menschenstrom zu fliehen schien.

„Der Magister!“, hörte sie entsetzte Schreie. „Der Magister ist tot! Der Magister ist tot!“

Das hat er jetzt von seinen Armeen, dachte Liara gehässig und schlich sich durch die Menge zurück, ohne aufgehalten zu werden. Sie erreichte den Schlupfwinkel ihrer kleinen Gruppe und duckte sich hinein. „Jared? Jared! Der Magister ist tot! Hast du den Knall gehört? Der Magister…“

Sie erstarrte, als sie den fremden Mann sah, der Jareds Sachen in Brand steckte. Liara griff an die Seite und zog ihr Messer, welches ihr ganzer stolzer Besitz war, doch der Fremde hatte es ihr im nächsten Moment bereits abgenommen und ihr die Arme auf den Rücken gedreht.

„Das habt ihr euch ja fein ausgedacht, wie? Auf ein Kind wäre ich wirklich nicht gekommen, wie abscheulich! Pass gut auf Kleine, wir gehen jetzt deinen Freund Jared besuchen und dann sehen wir weiter, was wir mit dir machen. Ich an deiner Stelle wäre jetzt ganz still.“

Liara war wie erstarrt, was war hier passiert? Wo war Jared? Und wieso wollte niemand die feindlichen Armeen aufhalten?

Sie verließen das Versteck und Liara erkannte schnell, dass sie auf dem Weg zum Gefängnis waren. Hier wurden die Leute im Vorhof gehängt, wenn sie etwas getan hatten, was dem Magister oder dem Konsul nicht passte, das wusste Liara. Sie begann zu weinen als sie Jared dort stehen sah, die Schlinge bereits um den Hals gelegt, die Hände und Füße gefesselt.

„NEIN!“, rief sie und trat um sich, doch der Griff des Mannes ließ keinen Millimeter locker. „JARED! NEIN! LASST IHN FREI! ER HAT DOCH NICHTS GETAN!“
„Das sehe ich anders. Er hat dreißig Menschen getötet, darunter den Magster, mit einer unkontrollierten Explosion. Du selbst hast es bestätigt, eben gerade noch. Der Junge wird nach vollem Recht bestraft, was für ihn den Tod am Strang bedeutet.“

„NEIN!“, rief Liara und versuchte abermals sich zu befreien, doch vergebens. Jareds Augen waren verbunden, sodass er sie nicht sehen konnte, doch Liara wusste, dass er Angst hatte. „Bitte, ich tue alles, aber lasst ihn frei. Er hat nichts getan, er hat den Magister nicht getötet. Bitte…“

Doch der Mann beachtete sie gar nicht weiter. Er hob die Hand und gab einem Mann, den Liara bisher nicht bemerkt hatte, ein Zeichen. Dieser betätigte einen Hebel und im nächsten Moment ging ein Ruck durch Jareds Körper. Dann baumelte er leblos schlaff am Galgen.

Liara war starr vor Schreck und Angst. Sie wurde mitgeschleift und an fremde Hände übergeben, durch eine große Eisentür geschoben und in einen dunklen Raum auf den Boden geworfen.

„Deine Zeit kommt auch noch, Kleine“, knurrte der Gefängniswärter ihr zu und verließ den Raum; die Tür krachte schwer hinter ihm ins Schloss. So sehr Liara sich auch bemühte, sie konnte sie nicht einen Millimeter bewegen.

Lange saß sie in der Dunkelheit. So lange, dass sie nicht wusste, wie viel Zeit verging. Die Zeit schien aufzuhören zu existieren, sie besaß keine Bedeutung mehr, wurde zu einer diffusen Abfolge von Schlaf und Wachsein. Die Luft roch faulig und schmeckte mit jedem Atemzug bitterer. Sie hatte schrecklichen Durst und Hunger, doch ihr lautes Flehen, Rufen und Klopfen blieben ungehört. Sie glaubte Stimmen zu hören oder Lichter zu sehen, doch nie kam jemand und nach dem Blinzeln waren die Lichter wieder verschwunden. Die Wände waren feucht und schienen immer enger und bedrohlicher zu werden. Liara träumte manchmal, dass die Decke über ihr einstürzte und sie unter sich begrub. Dann könnte sie die Sonne und die Farben wieder sehen, die dieser furchtbare Raum aussperrte.

Sie träumte von Wasser. Viel Wasser, Wasser, welches sie umgab und ihr das Leben zurück gab, welches nach und nach aus ihr wich. Wasser, welches köstlich kühl ihre Kehle hinunter rann, glucksend, wenn sie schluckte. Wasser, in dem sie badete, verschwenderisch ging sie mit dem heiligen Nass um wie die hohen Herrschaften, denen sie gedient hatte und denen sie das heiße duftende Badewasser bereitet hatte. Sie hatten so viel Wasser besessen, dass sie einen Großteil dessen gar nicht tranken, sondern sich hinein legten, als sei es die reinste Wonne. Falls es wirklich einen Gott des Wassers gab, würde sie dies mit Freuden ausprobieren, sollte sie jemals wieder das Tageslicht erblicken.

Sie beschmutzte sich und versuchte mit ihrer Zunge aus der feuchten Wand genug aufzunehmen, doch der Durst wurde nur schlimmer. Geschwächt und dehydriert konnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten und blieb einfach liegen. Wozu sollte sie auch aufstehen? Erschöpft lag sie bewusstlos auf dem nasskalten Boden, als eines Tages die Tür aufging und Licht in ihre bis dahin stockfinstere Zelle flutete.

„Lebt die noch?“

„Bei den Göttern, die ist ja noch ein Kind!“

Liara wurde hoch gehoben und von zwei starken Armen getragen. Hinaus aus der dunklen, fauligen Zelle, hinaus aus dem Gefängnis, hinaus in die Sonne, die aus einem strahlend blauen Himmel schien.

„Hat jemand etwas Wasser? Wir brauchen Wasser für das Kind!“, rief der Mann, der sie trug. Liara schaffte es nicht einmal zu blinzeln, alles war so unerträglich hell.

„Jared…“, flüsterte sie mit aufgesprungenen Lippen und heiserer Stimme. Sie musste ihm doch sagen, dass der Magister tot war, dass es eine Explosion gegeben hatte, dass die Feinde vor der Stadt standen…

Kaltes Wasser klatschte ihr ins Gesicht, mit einem erschrockenen Keuchen kam sie zu sich. Plötzlich fiel ihr alles wieder ein: Jared war tot, ebenso der Magister und die feindlichen Armeen waren vermutlich längst in der Stadt. Erschrocken blickte sie den Mann an, ihr Blick suchte nach seinem Abzeichen. Sie wusste, dass die Männer der Stadt zwei parallel verlaufende Wellenlinien trugen, die wohl Wasser darstellen sollten, wie Jared ihr einmal erklärt hatte. Das Abzeichen dieses Mannes war ihr völlig unbekannt.

Panisch riss sie die Augen auf. Das hier waren nicht mehr die Männer, die die Stadt verteidigten. Das hier waren Fremde. Feinde, schoss es ihr durch den Kopf. Die Feinde, denen der Magister die Tore öffnen wollte um zu verhandeln.

Auf welchem Wege die fremden Soldaten nun in die Stadt gelangt waren – ob sie durch offene Tore spaziert waren oder die Stadt im Kampf erobert hatten – Liara sollte es nie erfahren, denn in diesem Moment verdunkelte sich der Himmel. War es vor einer Minute noch sonnig und der Himmel strahlend blau gewesen, ballten sich nun dicke, schwarze Wolken über ihnen zusammen. Die Luft kühlte schlagartig ab und als die ersten Regentropfen fielen, wusste Liara, was passierte: der Gott des Wassers zeigte seinen Unmut.

Wenige Sekunden später peitschten die Regenmassen wie Wasserfälle durch die Straßen und die auf dem Gelände fremden Soldaten gerieten in Panik. Um sie herum brach eine nasse Hölle aus, die gnadenlos war. Viele wurden von Schlammlawinen einfach mitgerissen oder unter einstürzenden Häusern, deren Fundament weg geschwemmt wurde, begraben. Von der einen auf die andere Sekunde versank die Stadt förmlich in Wasser, Schlamm und Angst.

Liara stolperte durch die Straßen. Sie erinnerte sich an ihren Traum vom Wasser – war dies die Antwort Lorns? Es erschien Liara höchst unheimlich und doch wurde ihr sehr schnell klar, dass dies real passierte und sie trotz ihrer Erschöpfung um ihr Leben rennen musste. Hunger und Durst waren für den Augenblick vergessen. Sie musste die Anhöhe erreichen, wenn sie nicht fortgeschwemmt werden wollte. Nur dort konnte sie überleben.

Neben ihr erklang ein Krachen und kurz darauf brach die Wand eines Hauses ein, die von einem größeren treibenden Brocken getroffen worden war. Die Wassermassen flossen abwärts und das ganze Fundament geriet ins Rutschen, bis das Erdreich nachgab und alles mit gezogen wurde. Entsetzt blickte Liara auf die Stelle, an der zuvor das Haus gestanden hatte und kämpfte sich weiter und mit noch mehr Überlebenswillen durch die Fluten. Sie war der dunklen Zelle entkommen, sie würde auch diesem Unwetter entkommen. Es war nicht gegen sie gerichtet, sondern gegen die Besatzer, die das fremde Wappen trugen, welches Liara nicht kannte. Lorn würde sie von ihnen befreien, da war Liara sich sicher. Und sie war ihm dankbar, dass er bis zu diesem Tage damit gewartet hatte. Sonst hätte man sie vermutlich in den dunklen Zellen vergessen.

Es wurde immer schwerer, voran zu kommen. Das Wasser umspülte ihre Füße und Waden, machte den Weg darunter zu Treibsand, auf dem sie keinen Halt mehr fand. Längst war sie komplett durchnässt und konnte aufgrund des starken Regens und Windes kaum noch etwas sehen. Verbissen kämpfte sie sich weiter und zuckte nicht einmal zusammen, als das erste Donnern erklang. Es war nicht länger bedrohlich, es war ihre Rettung.

Vollkommen erschöpft gelangte sie zum höchsten Punkt der Stadt, wo sich bereits Hunderte, wenn nicht Tausende, versammelt hatten. Ungläubig sahen sie dem Tosen um sich herum zu und was sie sahen, nahm ihnen schlicht den Atem.

Als der Regen nachließ, existierte Quie nicht mehr. Wo einst Häuser, Mauern und Wege gewesen waren, war nun nichts als Schlamm und Wasser. Keltors Armee war wie vom Erdboden verschluckt. Eine unheimliche Stille legte sich über die Gegend, als die Wolken aufbrachen und das Sonnenlicht die ganze Kraft und Brutalität des wütenden Gottes offenbarte. Er hatte seine eigene Stadt vernichtet um die Armeen des Feindes in eine Falle zu locken. Quie konnte wieder aufgebaut werden, doch Keltor hatte viele, viele Männer verloren und eine vermeintlich eingenommene Stadt dazu.

Liara konnte nicht anders als in den Befreiungsjubel einzustimmen, der nun ausbrach. Sie sank auf die Knie und schöpfte etwas Wasser um ihr Gesicht damit zu benetzen, wie es die anderen ebenfalls taten: einen winzigen Moment lang hatten sie Teil an diesem göttlichen Element, dieser unbändigen, atemberaubenden Kraft ihres Gottes.

Da wusste Liara, was sie tun musste. Sie würde nach Ardakan gehen.
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Re: Liara - Lorns Licht [Erbe der Götter]

Beitrag von LaBerg »

So richtig weiß ich nicht, wo ich anfangen soll mit dem Feedback, denn es ist sehr spannend zu lesen, wie die junge Liara ihre Welt mit ihren naiven Vorstellungen sieht. Davon abgesehen bin ich sehr gespannt, was aus dem Straßenmädchen wird. Dass sie ein starker Charakter ist, zeigt sie jedenfalls schon in ihren jungen Jahren.
Wie du ihre naive Vorstellung von Gut und Böse darstellst, trifft meiner Meinung nach sehr gut die Vorstellung eines 10jährigen Mädchens, welches in Armut und ohne Bildung aufgewachsen ist. Vorallem wenn man den älteren Jared dazu im Vergleich hat.
Dass Lorn die Gegner quasi in seiner Stadt ertränkt und dabei auch nicht scheut, dass eigene Leute dabei draufgehen, zeigt denke ich recht gut, die Willkür der Götter, aber dass sich etliche wiederum auf den Hügel retten können, zeigt dass er nicht nur böse ist.
Es ist auf jeden Fall sehr spannend und interessant zu sehen wie sich das Kind Liara ihren Weg durchs Leben sucht.
Ich bin schon gespannt auf die nächsten Teile. :)
Viele Grüße
LaBerg
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Re: Liara - Lorns Licht [Erbe der Götter]

Beitrag von Cassiopeia »

Viele lieben Dank für dein Feedback! :knuff:

Ich wollte hier eine Szene beschreiben, in der Liara große Dankbarkeit gegenüber Lorn empfindet - in ihren Augen hat er ihr und tausenden anderen das Leben gerettet und sie befreit. Das ist quasi ihr Grundstein zu ihrer Beziehung zu Lorn, welche immer von dieser Dankbarkeit - er ist schließlich nicht nur böse - geprägt sein wird.

Es freut mich sehr dass es dir gefällt und die erwachsene Liara auch schon in der Jüngeren erkennst ;)

Im nächsten Teil beginnt dann ihr Leben in Ardakan, das wird auf jeden Fall spannend, von der beinahe-Hochzeit bis zur Fen ;)
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Re: Liara - Lorns Licht [Erbe der Götter]

Beitrag von Cassiopeia »

Hier kommt nun der zweite Teil, der bedeutend länger geworden ist als der erste. Ich hoffe aber dennoch, er gefällt :D

TEIL ZWEI – Lorns Licht

Wie naiv sie doch gewesen war. Vier Monate war sie nun in Ardakan und alles, was es ihr gebracht hatte, waren erneute Sklavenfesseln um die Füße. Ardakan war keine heilige Stadt, Ardakan war laut und dreckig und voller Menschen. Wenige Tage nach ihrer Ankunft war Liara aufgegriffen worden, zu einem Mann gebracht worden und verkauft worden. Jetzt diente sie einem reichen Kaufmann und schrubbte seinen Ladenboden, wenn gerade keine Kundschaft da war, was in der Regel erst spät abends der Fall war. Und weil der Kaufmann ein reinlicher Mann war, kniete Liara jede Nacht und jeden Morgen vor dem Morgengrauen auf dem Marmorboden und schrubbte, bis sie ihr eigenes Spiegelbild begann zu hassen.
Sie musste irgendwie fort von hier. Doch jedes Mal, wenn sie einen Plan entwickelt hatte, lösten sie sich wieder in Luft auf, der Kaufmann überwachte sie zu stark. Selbst beim Putzen ließ er sie nicht allein, immer war mindestens ein anderer Diener zugegen, der sie im Auge behalten sollte.

Einer von ihnen war San, ein Mann mit weißem Bart und gebräunter Haut. Er arbeitete schon Jahrzehnte für den Kaufmann und war sehr stolz darauf, ein Teil von dessen Haushalt zu sein. Immer wieder betonte der Kaufmann, er gehöre quasi zur Familie und wenn er einmal einen Enkel bekäme, würde er ihm den Namen San geben. Der Mann brach vor Rührung jedes Mal beinahe in Tränen aus, wenn er Liara davon erzählte.

„Strenge dich nur an, junges Mädchen, der Herr belohnt Fleiß sehr großzügig. Er hat auch mich belohnt, ohja, das hat er. Freigelassen hat er mich, vor Jahren schon. Da sagte ich dem Herrn, dass ich nirgendwo freier wäre als hier, glücklich, ihm zu dienen. Da hat er Herr gelächelt und mir die Fußringe abgenommen und gesagt, dann solle ich ihm als freier Mann dienen. Also strenge dich an, dann wird der Herr auch dir die Fesseln bald abnehmen, wenn du gut und treu dienst, junges Mädchen.“

Liara glaubte nicht daran, diese Fußringe jemals los zu werden. Ihre Knie waren wund und blau vom Herumrutschen auf dem Boden, ihr Rücken schmerzte und ihre Hände waren wund und blasig vom Scheuern. Den Herrn kümmerte all dies offenbar nicht und Liara schrubbte weiter.

Der Winter kam und mit ihm die Jahreswende, die nichts an Liaras Situation besserte. Liara begann das Wasser zu hassen, mit dem sie den Boden schrubbte, das ihre Hände aufweichte und sie rissig und verquollen machte. Doch der Kaufmann passte zu gut auf und noch immer sah sie keinerlei Chance, dieser Stellung zu entkommen.

Eines Tages jedoch trat der Kaufmann vor sie. Er umrundete sie drei Mal und musterte sie sehr genau.
„Sag Liara, bist du schon zur Frau geworden?“

Liara wurde blass bei der Frage, blass und auch etwas wütend. „Bin ich nicht! Ich bin noch nicht einmal elf! Was wollt Ihr von mir?“ Sie befürchtete schon das Schlimmste, die Geschichten von übergriffigen Herren, die sich an ihren Sklaven vergingen, kannte sie schließlich ebenfalls.

Doch der Kaufmann blieb unerwartet ruhig. „Ich habe ein Angebot für dich“, sagte er gerade heraus, als erklärte er ihr den Sonnenstand zu dieser Tageszeit. „Ein unerwartet gutes Angebot und ich denke, ich werde es annehmen. Was bedeutet, dass du deine Fußfesseln los wirst und eine freie Frau wirst.“

Entgeistert starrte Liara den Mann an. „Ich – ich danke Euch, Herr! Aber verzeiht, ich verstehe nicht ganz – Ihr lasst mich frei?“ Hatte er nicht gesagt, er würde sie verkaufen?

Der Kaufmann holte tief Luft.
„Du wirst heiraten. Ich schulde einem Freund noch einen Gefallen und dieser Gefallen wirst du sein. Sein Sohn ist ein fleißiger Mann, aber er ist bei seinem Vater in Ungnade gefallen. Daher wirst du ihn heiraten und damit eine sehr gute Partie machen. Und für besagten Sohn wird es eine Lehre sein, sich gegen den Vater aufzulehnen.“

Liara war sprachlos. Wer schuf denn solche Abkommen?! Ardakan war wirklich ein widerliches Nest, fand sie.
„Wann-?“ Mehr brachte sie nicht heraus und wünschte sich plötzlich, der Kaufmann hätte sich nur einen Scherz erlaubt und würde sie bei sich behalten. Lieber schrubbte sie bis an ihr Lebensende Marmorböden, als dass sie einen wildfremden, erwachsenen Mann heiratete und als Rachemittel eines enttäuschten Vaters missbraucht wurde.

„Zu deinem elften Geburtstag ist die Hochzeit angesetzt.“

Erschrocken keuchte Liara auf. Das war in einem Monat! „Herr… tut das nicht, ich bin doch überhaupt nicht von Wert für diesen Mann, ich… ich bin nicht einmal eine richtige Frau…“

Der Kaufmann lächelte siegessicher. „Genau darum geht es, kleine Liara. Und jetzt mache hier weiter, in einer Stunde wird geöffnet.“

Liara war verzweifelt. Sie wollte nicht heiraten, wollte nicht weiter verkauft werden wie ein Stück Fleisch auf dem Markt. Ihr war nur zu bewusst, dass sie genau das war und in etwa so viele Chancen hatte, aus der Sache heraus zu kommen, wie ein Stück toten Fleisches auf dem Markt, welches den Besitzer wechselte.

Ein Fremder betrat den Raum, ehe Liara fertig geworden war. Zu sehr in Gedanken verharrt, hatte sie ihre Arbeit nicht geschafft und stand nun hastig auf um aus dem Raum zu entschwinden. Da der Boden noch nass war, rutschte der Fremde aus, geriet ins Straucheln und landete unsanft auf der Seite. In dem Moment kam ihr der Kaufmann entgegen, hastig lief er zu dem Fremden um ihm aufzuhelfen.

„Kannst du nicht einmal deine Arbeit richtig machen?“, herrschte er sie wütend an. „Wie oft habe ich dir eingebläut, rechtzeitig fertig zu werden, damit genau so etwas nicht passiert? Du bereitest mir Schande!“ Der Kaufmann kam auf sie zu und erhob seine Hand. Abwehrend ob Liara die eigenen Hände zum Schutz und duckte sich. Du siehst mich nicht, ich bin nicht da. Geh einfach weg und lass mich in Ruhe. Du kannst mich gar nicht sehen.

Der Schlag blieb aus und als Liara blinzelte, war der Kaufmann sehr blass im Gesicht.
„Was… was hast du getan du törichtes Kind?! Geh mir aus den Augen ehe ich mich vergesse!“ Seine Gesichtsfarbe wechselte von blass zu wutrot, hastig bückte Liara sich nach ihrem Schmutzeimer und wollte so schnell wie möglich den Raum verlassen, als der Fremde, den sie bereits beinahe wieder vergessen hatte, sich räusperte.

„Ihr haltet dieses Kind als Sklave?“, fragte er in neutralem Ton und sah den Kaufmann dabei ruhig an.

„Natürlich, das ist nicht verboten in dieser Stadt“, entgegnete der Kaufmann sogleich, als fürchtete er, ein Verbrechen begangen zu haben.

„Gewiss, gewiss“, sagte der Fremde noch immer mit ruhiger Stimme und etwas daran hinderte Liara, sich wirklich zurück zu ziehen. Stattdessen blieb sie neben ihrem Eimer stehen und blickte den Fremden neugierig an. „Wusstet Ihr, dass sie eine Magierin ist?“

Der Kaufmann schnaubte, während Liaras Augen groß wurden. Eine Magierin? Wie kam er denn auf den Gedanken? Sie hatte doch gar nichts getan…
„Wenn ich das gewusst hätte, nein, woher auch? Aber bald bin ich die magische Brut los, dann kann sie jemand anderen verhexen.“

Liara rätselte noch immer, was sie bei allen Göttern getan haben sollte, dass der Kaufmann plötzlich so über sie sprach. Das Gesicht des Fremden blieb jedoch die ganze Zeit über freundlich.
„Ich kann sie Euch abkaufen, hier und jetzt. Nennt einen Preis und ich zahle ihn.“

Der Kaufman sah den Fremden argwöhnisch an. „Warum sollte ich das tun? Gehört Ihr auch zu diesem Magierpack?“

Der Fremde neigte den Kopf leicht zur Seite und spätestens jetzt konnte Liara sich nicht zurück halten, ihn offen anzustarren. Er wollte sie kaufen! Sie würde hier heraus kommen und keinen verstoßenen Sohn heiraten müssen. Beinahe wäre sie in Jubelstürme ausgebrochen.
„Das ist allein meine Sache. Aber das Mädchen ist eine Lichtmagierin und wenn ihr der Umgang mit ihren Kräften nicht gelehrt wird, dann wird sie sehr bald die Kontrolle darüber verlieren und eine Gefahr für sich und andere werden. Wollt Ihr das verantworten?“

Mit großen Augen und klopfendem Herzen sah Liara von dem Fremden zum Kaufmann. Sie verstand kaum ein Wort, was hier gesprochen wurde, so laut rauschte ihr Blut in ihren Ohren. Eine Lichtmagiern sollte sie sein und eine Ausbildung erhalten! Sie wünschte sich, Jared wäre hier um ihr das alles begreiflich zu machen.

„Was schert’s mich, ich bin sie bald los. Was dann aus ihr wird, interessiert mich nicht.“

„Es könnte aber ein schlechtes Licht auf Euch werfen, wenn Ihr das Mädchen weitergebt ohne für ihre Sicherheit zu garantieren. Man wird Euch verantwortlich machen, wenn sie Kontrolle über ihre Magie verliert und unwillentlich andere Menschen verletzt. Also, nennt mir einen Preis und ich werde ihn zahlen und das Mädchen mitnehmen.“

Der Kaufmann schien zu schwanken. Es dauerte eine schiere Ewigkeit, bis er sich zu einer Antwort durchgerungen hatte.
„Ich will fünftausend Goldstücke.“

Liara hatte immer davon geträumt, auch nur ein einziges Goldstück zu besitzen. Wie viel fünftausend Goldstücke waren, sprengte gänzlich ihre Vorstellungskraft.

Der Fremde nickte bloß. „Ich werde in einer Stunde zurück kehren und das Geld bringen und das Mädchen mitnehmen“, erklärte er, verneigte sich leicht und entschwand aus dem Geschäft.

Liara stand wie angewurzelt da und hatte völlig vergessen, dass ihr befohlen worden war, den Raum zu verlassen. Fünftausend Goldstücke! Mit kribbelnden Händen und rasendem Herzschlag starrte sie auf den Ausgang, durch den der fremde Mann längst verschwunden war. Für fünftausend Goldstücke würde er ihr ein neues Leben kaufen. Liara wusste nicht, wie es aussehen würde, doch sie träumte von einem Leben, in welchem sie niemanden bedienen musste, in dem sie selbst die hohe Lady war und schüchterne Bedienstete ihr Wasser zum Baden erhitzten.

Den Moment würde sie niemals vergessen, wie es war, an der Seite des fremden Mannes durch die Stadt zu gehen. Als er ihr die Sklavenketten um die Füße abgenommen hatte, hatte sie ihn mit großen Augen angesehen und erstaunt gefragt, ob er sie nicht gekauft hatte, damit sie ihm diene. Er hatte gelächelt und gesagt, dass sie von jetzt an nur noch einem dienen würde: Lorn, dem Gott des Wassers und der Vergebung, dem sie ihre Magie zu verdanken hatte. Liara war dermaßen überrascht gewesen, dass sie beinahe geweint hatte.

Dieser Tag war nun zwanzig Jahre her. Sie war längst dem Alter der Magiernovizin entwachsen. Sie hatte hart gearbeitet und viel gelernt. Sie konnte schreiben und lesen, beherrschte die Codezeichen der Kartierer, die Tierlaute der Schleiereule als Erkennungszeichen eines Lagers und den geschickten und sicheren Umgang mit dem Schwert. Sie besaß ein sehr gut trainiertes Gedächtnis, konnte sich Szenen bildlich einprägen nach einmaligem Sehen. Konnte sämtliche notwendigen Informationen über ein Heerlager einschätzen, die nur selten unzutreffend waren.

Aber vor allem konnte sie unsichtbar werden. In den dunklen Bereichen des Lichts zu verschwinden hatte sie Jahre an Übung gekostet. Es war eigentlich eine Tarnung der Schattenmagier, doch Liara hatte dieses Ziel ebenso erreichen wollen. Blenden und Licht von sich ablenken konnte sie, ebenso von anderen bis hin zu großen Gruppen, die sie ungesehen durch die Ebenen begleitete. Aber im minimalen Licht einzutauchen war eine Herausforderung, die nicht viele Lichtmagier annahmen.

Liara beherrschte diese Fähigkeit nun seit drei Wochen. Sie hatte sehr ehrgeizig daran gearbeitet und endlich einen Weg gefunden, auch mit dem kleinsten Anteil an Licht zu verschmelzen, etwas, was sie zugegeben sehr stolz machte. Aus dem kleinen, hungrigen Straßenkind aus Quie war eine große, schlanke Frau mit fast silbernen Augen geworden, die sehr stolz auf ihre Magie war. Das Leben im Palast erfüllte sie mit Freude und die Zeiten, in denen sie hungernd in verdreckten winkeln Schutz gesucht hatte, waren beinahe vergessen.

Sie wurde nun immer öfter ausgeschickt um diese oder jene belagernde Armee auszuspionieren. Häufig waren es von Lorns Armeen umstellte Truppen Chairos oder Keltors, von denen nur wenige Ardakan wirklich nahe kamen. Doch Liara war nicht so dumm zu wissen, dass dies nicht geschehen konnte. Darum mussten sie stets auf der Hut sein und ihre Aufklärungsarbeit war wichtig, das wusste sie.

Die anschließenden Kämpfe waren meist grausam und Liara zog es vor, dann nicht mehr auf dem Schlachtfeld zu sein. Obwohl sie den Umgang mit der Waffe erlernt hatte, war sie noch immer eine Frau. Frauen sollten nicht töten, fand Liara, ein Grundprinzip, welches für die Soldaten der Götter außer Kraft gesetzt war. Wozu dienten sie, wenn nicht um zu siegen? Was in ihrem Falle hieß, töten zu müssen. Liara war froh, kein Soldat zu sein.

Doch nicht immer konnte sie den Kämpfen entgehen. Stets häufiger wurde auch sie mit einbezogen, da ihre Magie immer ausgeweiteter eingesetzt wurde. Schon lange war es nun nicht mehr nur sie selbst, die vom Licht beschützt wurde. Sie musste Lorns Armee unangreifbar erscheinen lassen, indem die Gegner sie nicht sahen, oder so geblendet wurden, dass Lorns Soldaten freie Hand hatten. Es war nicht einfach, die Zauber derart großflächig über tausende Menschen zu spannen. Liara war froh, dass sie einen Illusionisten zu Hilfe hatte, der ihre Zauber aufgriff und in der Art weiter wob, sodass die gesamte Legion schließlich einer Geisterarmee glich, die unsichtbar und gnadenlos den Feind zermalmte.

Nach jedem dieser Kämfe war Liara verstörter über die Brutalität, die in den Menschen steckte. Männer, mit denen sie zuvor noch zu Abend gegessen hatten, brachten gnadenlos die vermeintlichen Gegner um, hinterließen Ebenen aus Leichen und Blut. Dennoch hinterfragte sie keinen der Schritte, denn sie wusste, dass diese Befehle von ganz oben kamen. Sie alle handelten in Lorns Namen, sie durften ihn nicht enttäuschen. So gab sie jeden Tag aufs Neue ihr Bestes, holte alles aus ihren magischen Reserven, damit sie gegen Keltor stand halten konnten.

Des nachts träumte sie erschreckend real. Die Kraft ihrer Magie schien sie selbst im Schlaf zu erfüllen. Tiefes Entsetzen packte sie, als sie erneut die Kämpfe sah, die Toten, den Sieg ihrer Armee. Hörte die Schreie der Gegner um Gnade, die nicht sahen, wer auf sie zukam und wie viele es waren. Geblendet warfen sie ihre Waffen weg in der Hoffnung, am Leben bleiben zu dürfen. Aber die Befehle waren eindeutig und am Ende war das Schlachtfeld übersät mit den Leichen, die allesamt das Wappen Keltors trugen.

Eines Nachts begriff Liara, dass die Träume nicht zufällig waren. Sie waren gewollt, gelenkt. Jemand suchte in ihren Träumen nach den Informationen, die er brauchte um die nächsten Schritte zu planen. Wieder und wieder erlebte sie das Geschehen, jede Einzelheit, jedes Wort als sei es ihre Detailgetreue Erinnerung, die sie nur nicht steuern konnte. Das tat Lorn. Und Liara hoffte sehr, dass der Gott selbst sich eines Tages offenbaren würde.

War sie für sich allein, floh sie häufig in die Schatten um sie herum. Diese Art der Magie gelang ihr immer einfacher und Liara verstand, dass Licht und Schatten untrennbar von einander waren. Wollte sie im Licht leben, musste sie auch die Schatten kennen. Zwar waren als Lichtmagierin ihre Kräfte in den Schatten begrenzt, doch sie boten ihr auf beruhigende Art und Weise Schutz. Als Lichtmagierin war sie nicht mehr als ein Werkzeug in diesen Kriegen, doch als Schattenmagierin war sie etwas Besonderes, war sie nur sie selbst.

Sie befanden sich mittlerweile weit im Norden und die Tage wurden immer kürzer und kälter. Es begann nachts zu frieren, schließlich auch tagsüber und von Dämmerung zu Dämmerung waren es nur wenige Stunden Tageslicht, die ihnen blieben. Die Kämpfe wüteten in und um die Stadt Ním, eine Hafenstadt am Nördlichen Meer. Jede Nacht wüteten dort die Feuermagier und schlugen brennende Straßen durch die Häuserschluchten. Die Menschen hatten nur das Meer als Ausweg, wo Lorn bereits auf sie wartete. Es war ein grauenvolles Gefängnis, in welches sie selbst gedrängt wurden, je mehr Keltors Armeen nachrückten und sie einkreisten. Nacht für Nacht betete Liara, dass der Morgen schnell kommen möge, dass sie einen Weg aus dieser schrecklichen Lage für beide Seiten fanden. Doch jeder Morgen brachte die erneute Gewissheit des Todes auf beiden Seiten ohne Gnade.

Die Wintersonnenwende kam und ging vorüber und noch immer wüteten die Kriegsparteien auf gleich hohem Maße ohne, dass eine Seite die Oberhand gewinnen konnte. Liara war es inzwischen regelrecht gleich, wer gewann. Hauptsache, all das Leid, das Töten und Sterben hatte endlich ein Ende. Zugleich wusste sie, dass keiner der beiden Götter nachgeben würde. Jeder wartete auf seine Gelegenheit, den anderen zu unterwerfen.

Es war die Nacht des Siebengestirns am Nachthimmel, der klar und eisig frostig war, als Liara das erste Mal von Lorn träumte. Sie stand nun inmitten eines weiten Sees – nein, sie stand mitten auf einem weiten See. Spiegelglatt und doch war es nur die Wasseroberfläche und kein Eis, welches ihr Gewicht trug. Um sie herum war nichts als Stille.

Unsicher sah sie sich um. Wo war sie hier? Ihr Blick erschien nicht mehr der eines Menschen zu sein. Sie konnte im Süden die Stillen Berge sehen, im Südosten das Gebirge und den Wald, im Westen den abgebrannten Nordwald, der nun nur noch aus verkohlten Baumstümpfen bestand. Dazwischen befand sich nichts als weite Ebenen, Hügel und Täler, Flüsse, Bäche. Das Land Nuor war riesig und es erschien Liara wie ein riesiges Kampffeld, eine Spur der Verwüstung und Verelendung.

„Du bist mein Licht, Liara“, hörte sie eine Stimme und wusste, dass ihr Gott zu ihr sprach. Ein Gefühl übermächtigen Glücks durchströmte sie. „Du bist mein Licht in dieser Dunkelheit des Nordens. Mit dir und deiner Kraft und Klugheit können wir diesen Krieg gewinnen.“

Was muss ich tun?, fragte sie flüsternd, noch immer inmitten des Sees stehend. Die Stimme Lorns schien überall zu sein, sie zu umgeben und das Wasser um sie herum bei jedem Wort mehr zu leuchten.
„Führe Keltors Armee in die Mitte des Landes. Du wirst den See erkennen, wenn du ihn siehst. Halte nach den Fingerfelsen Ausschau und verstecke dich anschließend dort.“

Die Vision verblasste und Liara erwachte mit Tränen in den Augen. War dies ihre Prüfung, die direkte Prüfung von Lorn? Es kribbelte sie am ganzen Körper, ganz nervös und erfüllt von dem Ehrgefühl stand sie schließlich auf, schlüpfte aus Schlafsack und Zelt und schlich sich in der Dunkelheit durch die Zeltreihen schlafender Soldaten hinüber ins Lager Keltors, wo sie ihre Aufgabe beginnen würde.

Wochen vergingen. Liara arbeitete hart an ihrer Aufgabe und das Kampfgeschehen verlagerte sich tatsächlich zu ihren Gunsten nach Süden, nachdem sie mit Blendreflexen dafür gesorgt hatte, dass der Weg zum Meer hin unpassierbar wurde. Ním war nicht mehr existent, ein einziger Trümmerhaufen aus verkohlten Steinen. Liara bezweifelte, dass es je wieder aufgebaut würde.

Sie verließen die Stadt rasch und kamen zügig voran. Liara wandelte unter Keltors Söldnern ungesehen, bekam aber mit, dass ihnen 'die Lichtzauberin' unheimlich war. Niemand hatte sie gesehen, doch es war unbestritten, dass es sie gab. Liara intervenierte weiter, Blendzauber konnten wie Richtungsweiser wirken, die Abwesenheit von Licht verunsicherte und machte Lorns Soldaten die Arbeit leichter.

Abwechselnd schützte sie nun Lorns Armee und wirkte unter Keltors Söldnern, die verunsichert wirkten, sie jedoch nie vertreiben konnten. Doch die Doppelrolle hatte ihren Preis, den Liara bald zu spüren bekam. Die Magie zehrte sie aus, Tarnung, Schutz und Anrgiff zugleich war mehr als sie auf Dauer aufrecht erhalten konnte. Sie schlief entweder gar nicht oder nahezu komatös und schwor sich mehrere Male, am nächsten Morgen ihre Mission aufzugeben und nicht weiter an diesem Wahnsinn fest zu halten. Und doch tat sie es, beschwerte sich niemals und hoffte jeden Tag erneut, das Ende dieser Reise und dieser grausamen Kämpfe wäre endlich gekommen.

Als sie am Morgengrauen des ersten Frühlingstages die Fingerfelsen sah wusste Liara, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. Sie ragten wie eine Hand über ein tiefes Tal, einem Canyon gleich, an dessen Grund ein kreisrunder, kristallener See lag. Vor Erleichterung fiel Liara auf die Knie und vergaß um ein Haar ihre Tarnung. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Sie hatte Lorns Auftrag erfüllt. Ihr langer Weg, Wochen der Entbehrung und magischer Verausgabung waren vorüber. Endlich. Überwältigt vor Erleichterung saß sie eine ganze Weile da und bekam kaum mit, was um sie herum geschah.

Unschlüssig schlugen sie ein Lager auf, während Liara ihr Versteck aufsuchte. Sie war sehr erschöpft, die letzten Wochen hatten enorm an ihren Kräften gezerrt. Sie war ausgelaugt und nun, wo die Anspannung vorbei war, hatte sie Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Ihre Magie war erloschen, nicht das kleinste Bisschen fühlte sie mehr in sich. Mit letzter Kraft erreichte sie eine Höhle unter den Felsen und kroch ohne zu zögern hinein. Genau hier hin hatte Lorn sie geschickt, alles weitere lag nun nicht mehr in ihrer Hand. Sie fiel augenblicklich in einen Schlaf nahe der Bewusstlosigkeit und bekam nichts von dem mit, was draußen vor sich ging.

Als sie erwachte wusste sie, dass von nun an alles anders war. Du bist mein Licht hatte Lorn gesagt und genau das würde sie sein, bis in alle Ewigkeit. Lorns Licht, unsterblich. Von nun an war sie nicht länger Liara, die Lichtmagiern. Sie war nun Liara, die Fen. Ewige Dienerin ihres Gottes, auserwählt, für alle Zeiten an seiner Seite zu stehen.

Die Landschaft vor der Höhle war nicht mehr wieder zu erkennen. Wo am Abend zuvor noch tausende Soldaten gelagert hatten, war nun nichts als Leere. Dafür war der gesamte Canyon bis zum Rand mit Wasser gefüllt, ein gewaltiger Fluss, der mit starker Strömung seinen Weg zum Meer suchte. Mit wachsendem Entsetzen begriff Liara, was geschehen war. Die tiefe Schlucht war zur tödlichen Falle für Keltors Armee geworden, die von Lorns Heer eingekreist worden war. Schritt für Schritt, Mann für Mann, waren sie über die Klippen gestürzt, bis Lorns Gewalt sie hinfort getrieben hatte.

Mit weit aufgerissenen Augen sah sie sich um. Sie war allein, weit und breit war niemand zu sehen und das Rauschen des Wassers wurde zum einzigen Geräusch der Welt.

„Du bist mein Licht“, hörte sie die Wellen flüstern, erschrocken drehte sie sich um. „Du bist außergewöhnlich stark, Liara und du hast ermöglicht, was sonst niemand geschafft hätte. Dein Licht soll bis in alle Ewigkeit leuchten, Fen Liara.“

Zitternd sank Liara auf die Knie, beugte sich vor bis ihr Kopf das nasse Ufer berührte. Es war also wahr, Lorn hatte sie geprüft und ihre Aufgabe als erfüllt angesehen. Er hatte sie auserwählt und ihr als Belohnung das ewige Leben geschenkt. Erst jetzt wurde sie sich der ungewöhnlich starken Magie in sich bewusst, wie ein Strom reiner Energie und sie zweifelte keine Sekunde daran, dass dies ein Teil der Magie Lorns war, die er ihr geschenkt hatte.

„Ich danke Euch“, flüsterte sie, vor Ergriffenheit weinend. „Ich danke Euch. Ich danke Euch.“ Niemals würde sie Lorn enttäuschen, das schwor sie sich. Niemals würde sie von seiner Seite weichen. Niemals würde sie ihn verraten.
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Re: (2/4) Liara - Lorns Licht [Erbe der Götter]

Beitrag von LaBerg »

Uff, das ist ja eine sehr große Zeitspanne, die du in diesem Teil deiner Geschichte von Liara darstellst. Die Geschichte wie aus einer unbedeutenden Sklavin eine mächtige Fen wird.
Ich finde es gut, dass du das Element der unkontrollierten und sponanten Magie wieder aufgreifst und dass diese Magie auch gefährlich sein kann.
Ab dem Sprung mit den zwanzig Jahren schreitet die Zeit sehr schnell voran, um genau zu sein sind da etliche Sprünge drin. Auch wenn dieser kurze Abriss und das schnelle voranschreiten der Zeit die Spannung aufrecht erhält, ging es mir zumindest so, dass ich etwas aufpassen musste nicht den Faden zu verlieren.
Gut gefallen hat mir die Darstellung mit den Visionen über dei Lorn mit Liara kommuniziert. So ähnlich habe ich mir nämlich die Kommunikation mit den Göttern auch vorgestellt und wenn sich die Vorstellungen denken, dann ist ja gut.
Die Idee, dass man das erlebte in den Träumen nochmal durchlebt und Lorn so die Informationen bekommt, die er benötigt, finde ich gut.
Ingesamt hat mir auch dieser Teil der Geschichte wieder sehr gut gefallen. Zeigt er doch zwei sehr wichtige Einschnitte im Leben von Liara.
Viele Grüße
LaBerg
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Re: (2/4) Liara - Lorns Licht [Erbe der Götter]

Beitrag von Cassiopeia »

Ui, vielen lieben Dank! :D
Ja das stimmt, die Zeitspanne hier ist sehr groß, wobei ich den Anfang sehr ausführlich beschrieben habe und zum Ende hin, leider, etwas hastig wurde. Das stimmt, das gebe ich zu und das gefällt mir auch selbst nicht sooo sehr, aber ich war vielleicht ein wenig zu sehr darauf fixiert, endlich zu den Traum-Szenen zu kommen (die schon sehr lange fest standen) und somit zu den Schlüsselszenen zu ihrer Karriere als Fen. Wie diese Szenen eingebettet waren, entstand dann allerdings spontan.
Es freut mich sehr, dass es dir gefällt - Liara hat wirklich einen gealtigen Sprung gemacht und trotz all der Brutalität und der Kriege, bei denen Lorn alles von ihr forderte, ihn nie in Frage gestellt.

Im dritten Teil kommt dann das Ende von Lorns Herrschaft und Liaras Versuch, sich ein neues Leben in Quie aufzubauen. Aber der muss erst noch geschrieben werden ;)
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Re: (3/3) Liara - Lorns Licht [Erbe der Götter]

Beitrag von Cassiopeia »

Hier nun der dritte und überraschend doch letzte Teil der Geschichte um Liara. Statt vier sind es nun drei Teile geworden, es hat sich so ergeben und ich denke dennoch, es wird ihr gerecht.
Nun dann, viel Spaß beim Lesen ;)


TEIL DREI – Flucht und Rückkehr

Brandgeruch erfüllte die Luft. Der Mond war von schwarzem Rauch verhüllt, der die Augen tränen und die Lungen brennen ließ. Nach Jahren andauernder und zermürbender Kämpfe war die Verteidigung Ardakans am Ende. Das Land Avon war verwüstet, geplündert und abgebrannt durch die wieder und wieder anrückenden Truppen. Sie kamen aus verschiedenen Lagern, doch ihr Ziel war dasselbe: sie alle wollten Lorn, den Gott des Wassers, Herr über Ardakan und die südlichen Lande, stürzen. Chairo drängte seit Jahren in das Land, seine Flammen fraßen alles auf, was je gelebt hatte. Er war nicht der einzige, der seine Heere an die Mauern der Stadt schickte wie die das Meer seine Wellen gegen die Felsen an den Küsten. Seit nunmehr fünf Jahren kamen immer mehr Menschenheere hinzu, die von keinem Gott gelenkt wurden. Sie kamen um ihrer selbst willen, um die Welt von den Göttern zu befreien. Für diese Freiheit taten sie alles in ihrer Macht stehende und sie würden erst weichen, wenn Lorn gefallen war – durch ihre oder Chairos Hand spielte am Ende keine Rolle.

Es war die dritte Nacht, die Liara nun ohne Schlaf an der Stadtmauer stand. Die Hütten vor der Stadt waren längst abgebrannt, es gab kein Korn und kein Vieh mehr und das Volk hungerte. Täglich wurden die Leichen auf den Pflastern mehr, die Bäuche der Kinder vor Hunger größer, die Männer in den Rüstungen schwächer. Seit Monaten waren sie umstellt, es gab keinen Fluchtweg mehr und selbst ihr Gott schien zu schweigen. Am Morgen war der letzte Brunnen der Stadt versiegt, nachdem bereits in der Woche zuvor die erste Wasserader gekappt worden war. Ohne Wasser würden sie noch vor dem nächsten Abend kapitulieren müssen.

Liara wusste, dass sie bis dahin fort sein musste. Wenn Ardakan seine Stellung aufgab, wenn Lorn fiel, wäre die Jagd auf jene eröffnet, die seine Kraft in sich trugen. Hunderte, tausende Menschen hatten bereits ihr Leben lassen müssen in diesem Krieg. Liara konnte nur eines gewaltsamen Todes sterben, doch er würde sinnlos sein. Sie konnten die Stadt nicht halten, da half auch ihr Tod nichts mehr. Ardakan war verloren. Sie hatte Lorn nicht beschützen können.

Lange blickte sie auf die Lagerfeuer tief unter der Stadtmauer. Chairos Feuertruppen hatten schwere Schäden an dem Mauerwerk hinterlassen, hier und da gab es Ein- und sogar Durchschläge der Katapulte, viele Gebäude in der Stadt waren nur noch Trümmerhaufen. Das bittere Ende einer verzweifelten Schlacht um ihr Überleben. Leider würde es nicht reichen. Dieses eine Mal waren sie die Schwächeren.

Durch die Lager zu kommen würde kein Problem werden. Sie würde einige Zeit untertauchen müssen, in andere Länder ziehen, unerkannt bleiben, bis die Menschen vergessen hatten. Dann konnte sie wieder anfangen zu leben. Was würde es für ein Leben sein, wenn ihm der Sinn geraubt worden war? Wenn ihr Lebensinhalt ausgelöscht worden war, weil Lorn nicht mehr existierte, der Gott, dem sie ihr Leben, ihre Stärke, ihr Sein verdankte?

Ihr ganzes Leben hatte sie Lorn gewidmet. Ohne ihn weiter zu ziehen war unvorstellbar und allein der Gedanke kam für Liara einem Verrat gleich. Sie durfte und würde ihm Gott niemals den Rücken zukehren. Aber hätte er von ihr einen sinnlosen Tod gefordert? War es nicht besser, sie zog sich nun zurück und wartete auf eine bessere Gelegenheit, eines Tages zurück zu kehren? Zeit hatte keinerlei Bedeutung mehr für sie. Sie musste nur Geduld haben.

Liara verließ die Stadtmauer nach einem letzten Blick und ging durch die zerstörte Stadt. Vorbei an ausgebrannten Häusern und eingestürzten Tempeln und Palästen, umgestürzten Wagen und sterbenden Menschen. All dies würde sie hinter sich lassen, ihre Seele blutete bei dem Gedanken.
Endlich erreichte sie das einst goldene Tor zum Blauen Tempel. Das Gold war verschwunden, geblieben waren Ruß und verbrannte Streben. Das Mauerwerk und die Säulen waren jedoch noch intakt und so trat sie ein und kniete schließlich am Hohen Becken nieder, ein Ort, an welchem sie sich schon oft an ihren Gott gewandt hatte. Jedes Mal überkam sie ein so mächtiges Gefühl der Ehrfurcht, dass ihre Demut nicht ein mal gespielt war. Sie kniete vor dem Becken, kniete vor ihrem einzigen Gott, dem sie je folgen würde.

„Lorn, Herr über das Wasser, mein Gott und Hüter, hört meine Worte“, begann sie leise und berührte für einen Augenblick mit der Stirn den gesprungenen Marmorboden. „Ich konnte mein Versprechen nicht halten. Ich habe alles getan, was Ihr verlangt habt. Es hat nicht gereicht. Die Stadt wird fallen. Sie haben das Wasser abgestellt und trocknen alles aus. Wenn auch das letzte Kind verdurstet ist, werden sie Euch zwingen, sich zu ergeben, wie sie es bei Eth getan haben.“ Liara begann zu zittern, der Gedanke ließ jeden Muskel in ihrem Körper sich verkrampfen. „Ich wünschte, ich hätte mehr tun können. Ich hoffe, Ihr könnt mir eines Tages vergeben, mein Herr. Ich werde zu Euch zurück kehren, das verspreche ich bei meinem Leben, welches Ihr mir geschenkt habt. Ich werde immer Euer Licht sein.“ Noch einmal verneigte sie sich kniend, lauschte auf eine etwaige Antwort, doch es blieb still. Lorn schwieg. Bedrückt erhob Liara sich und wandte sich ab.

Ihre Sachen waren schnell zusammen gesucht, kaum mehr als ein Bündel, mehr benötigte sie nicht. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen sah sie niemand, wenn sie wie nun in den Schatten wandelte und mit der Nacht verschmolz. Sie blickte nicht zurück, als sie schließlich durch das Stadttor an den ahnungslosen Wachen vorbei trat und Ardakan für lange Zeit verließ. Es würde schwer werden, wenn die Götter gefallen waren, sich ein neues Leben aufzubauen. Aber Lorn hatte ihr die Unsterblichkeit nicht verliehen, damit sie sie für ihn in den Staub warf – oder in das nächstbeste Schwert. Sie würde zurück kehren, eines Tages, das schwor sie sich.

Der Fall Ardakans war eine tragische Konsequenz des Krieges, die unvermeidbar gewesen war. Es war geradezu logisch, dass Althar, Gott über das Leben aller Wesen und engster Verbündeter Lorns, ebendiesem nur wenige Jahre später in die Verbannung folgte. Die Folgen dieser Verkettungen waren jedoch katastrophal für die Menschen, die durch die Bannung der Götter die Dämonen der Dürre und den Tod herauf beschworen hatten.

Das, was durch die Kriege nicht zerstört worden war, konnte nun die Menschen nicht mehr ernähren. Die Macht der beiden Götter über Wasser und Leben hatte die gesamte Gegend von der Südspitze Avons bis zu den nördlichen Küsten des Waldes fruchtbar gemacht, sie in sattes Grün von Wiesen und Wäldern und tiefes Blau der Seen und Flüsse getaucht. Ohne die Götter starb das Land. Die Flüsse verschlammten und trockneten immer mehr aus, die Seen kippten um, bis alles Leben in ihnen starb. Die Kornernte versiegte, ebenso die Quellen aus den Bergen. Es sollte Jahre bis Jahrzehnte dauern, bis die ersten Ähren wieder Früchte trugen und das Obst wieder an den Bäumen reifte.

Auch für Liara vergingen Jahre. Jahre, in denen sie unsichtbar gewesen war, nur ein Schatten, der mal hier, mal dort gesehen wurde und doch nirgends. Es waren Jahre des Wandels, die Welt bekam ein neues Gesicht, die Grenzen wurden neu gezogen und als schließlich Keltor in seinem Vulkan gebannt war und Chairo der letzte der einstigen Fünf, waren über fünfzig Jahre vergangen.
Rastlos waren ihre Wege gewesen, nirgends hatte sie sich sicher gefühlt, nirgends war sie länger als wenige Monate bis Jahre geblieben. Bis ihre Füße sie zurück nach Avon getragen hatten, zurück nach Quie, die Stadt ihrer Geburt. Und in Quie war Thorge.

Thorge war einer der vielen Baumeister, die im Land ihr Glück suchten und in den zerstörten Städten hofften zu finden. Da Lorn gebannt war, lag die Stadt nicht länger unter der Herrschaft eines Gottes, sondern in den Händen der sterblichen Menschen, die von Ardakan aus regierten. Thorge war der Verantwortliche für den Wiederaufbau des Rathauses, welches vor drei Jahren nieder gebrannt war und kam des Nachmittags gern in die Kaffeerösterei, die Liara inzwischen mit zwei anderen Frauen betrieb. Er war ein groß gewachsener Mann aus dem Norden, trug den Zungenschlag des Nordens Kanias in sich und seine blonden, hellen Haare faszinierten Liara von Anfang an. Die meisten Menschen im Süden waren dunkelhaarig und ein wenig gedrungener als die Menschen der Nordvölker. Doch es waren seine strahlenden Augen, in die sie sich verliebte, seine Lachfalten im Gesicht und sein herzhaftes Lachen. Wenn sie mit ihm zusammen war, hatte sie endlich das Gefühl, wieder lebendig zu sein.

Fünf Jahre später hatten sie zwei Töchter, Lynna und Thilda, und Liara war glücklich. Die Jahre des Kämpfens und Tötens schienen vorbei. In Quie hatte sie endlich eine Familie gefunden, war eine stolze Mutter, die ihre Kinder über alles liebte und einen Mann, der sie nie fragte, warum sie nicht alterte, während seine Haare grau und schließlich weiß wurden.

Es ging ihr gut in jenen Jahren, in denen Thorge für die Familie sorgte und Liara sich endlich sicher fühlte. Das Wichtigste war, dass ihre Kinder sicher waren und während sie dort lebten, gab es nur zwei Angriffe von Chairos Heer, dem niemand aus ihrer Familie zum Opfer fiel. Die Stadt wurde wieder aufgebaut und das Leben begann von vorn.

Lynna heiratete mit fünfzehn und zog mit ihrem Mann nach Osten, Thilda ging drei Jahre später fort in Richtung Norden. Liara hatte nie gedacht, wie schwer es sein würde, ihre Kinder gehen zu lassen; sie hatte nie Eltern gehabt, die ihr ein solches Gefühl hätten vermitteln können. Auch Thorge tat sich sichtlich schwer mit dem Abschied und Liara war beinahe soweit es darauf ankommen zu lassen und erneut ein Kind von ihm zu empfangen. Aber da ein Kind niemals ein Ersatz sein sollte, bestellte sie die Empfängnisabwehrenden Tränke bei der Kräuterhändlerin und ließ Thorge in dem Glauben, nicht mehr fruchtbar zu sein. Auch, wenn er weiterhin nicht fragte, wie alt sie wirklich war.

Als Thorge begann zu husten, glaubten sie zunächst an eine einfache Wintergrippe. Als der Husten jedoch anhielt, als der Frühling längst da war und sein alternder Körper immer mehr geschwächt wurde, wurde deutlich, dass er sich nicht davon erholen würde. Die Schwindsucht, sagte der Heiler, und sah Liara mitleidig an. Den Winter würde Thorge nicht mehr erleben, sagte er.

Thorge sollte den folgenden Winter noch erreichen, nicht aber die Wintersonnenwende, das große Fest, an dem ganz Quie teilnahm. Seine Haare wurden weiß und dünn, sein Körper ausgemergelt, seine Stimme leise und zittrig. Seine Augen jedoch strahlten wie eh und je und wenn er Liara ansah in ihrer ewigen Jugend, erkannte sie seine aufrichtige Liebe zu ihr in seinem Blick und lächelte ihn zärtlich an.

„Hab keine Angst, Liebes“, sagte er leise, als sie sich zu ihm ans Bett setzte und seine Hand griff. „Der Große Geist wird über mich wachen und ich werde dort auf dich warten. Wir sehen uns wieder, das weiß ich.“

Liara schluckte, Thorge konnte nicht wissen, dass sie nur eines gewaltsamen Todes sterben konnte. Dennoch lächelte sie und gab ihm einen sanften Kuss auf die runzelige Stirn, die vor vielen Jahren einst so glatt und sorgenfrei gewesen war.

„Ich habe keine Angst“, versprach sie ihm zuversichtlich. „Wir sehen uns wieder, eines Tages.“ Auch wenn du unsere Töchter wohl eher begrüßen wirst als mich, Geliebter. Ihr Daumen strich sacht über seinen Handrücken. „Ich liebe dich, Thorge“, sagte sie leise und ehrlich und sah seine Augen ein letztes Mal in seinem Leben aufleuchten, als er sie ansah. Sein Mund lächelte ein letztes Mal, als er starb und ein letztes Mal ausatmete.

Noch lange saß sie bei ihrem Mann, mit dem sie dreißig Jahre ihres Lebens geteilt hatte und der ihr gezeigt hatte, wie ehrlich und warm menschliche Liebe und Zuneigung war. Es stand für Liara außer Frage, dass seine Liebe die einzige sein würde, die sie je zulassen konnte.

Am nächsten Tag versammelten sich Freunde und Nachbarn um Abschied von Thorge zu nehmen und halfen, sein Grab auszuheben. Als die Wintersonne unterging, lag sein Körper unter eine tiefen Schicht Erde in einem Leinentuch, das aufgeschüttete Grab mit getrockneten Blumen bedeckt.

Sie betrachtete den kleinen aufgeschütteten Hügel, die Erde war noch locker und körnig. Lange hatte sie hier gestanden, vielleicht sogar die ganze Nacht. Liara konnte es nicht mit Gewissheit sagen. Hier lag Thorge sicher, wo er sich Zeit seines Lebens so unsicher gefühlt hatte. Stets war er auf der Hut gewesen, wie er es in seiner Kindheit gelernt hatte. Damals, als die Welt ein Trümmerhaufen gewesen war und versuchte, sich in der neugewonnenen Freiheit nach der Bannung Lorns zu Recht zu finden. Nun hatte er in Quie seine letzte Ruhe gefunden als anerkannter Baumeister, dem die Stadt viel zu verdanken hatte und in deren Herzen er in Erinnerung bleiben würde als Thorge, der Erbauer.

Für Liara jedoch war hier nun kein Platz mehr. Ein weiteres Mal drängten Chairos Armeen voran, die ihren Feuerstaat errichten wollten. Große Teile des Nordens befanden sich bereits unter ihrer Kontrolle denn nun, wo Chairo der einzige Gott war, forderte er den gesamten Kontinent. Die Menschen taten ihr Bestes um sich dagegen zu wehren, doch es wurde mit jedem verstreichenden Jahre deutlicher, dass sie ihn nicht auf Dauer würden aufhalten können. Chairo sammelte seine Armeen in Westen und Norden und sein Ziel war dieses Mal keine Eroberung, sondern die Vernichtung, wie er sie zuletzt vor hundert Jahren über Avon geschickt hatte.

In Quie jedoch hatten die Menschen seit Jahrzehnten nicht mehr gekämpft, die Wehrmauern waren in miserablem Zustand und das Militär lückenhaft besetzt. Es dauerte nur wenige Wochen, bis Quie ein weiteres Mal brannte. Chairos Kräfte waren vernichtend und trotz aller Gegenwehr war sechs Monate nach Thorges Tod nichts mehr von den glorreichen Bauten, die er geschaffen hatte, existent. Quie lag in Trümmern und mit ihm erneut Liaras Leben.

Sie war geblieben, bis zum Schluss. Hatte gekämpft und verteidigt, getötet und beschützt. Am Ende hatte sie erneut verloren, wie damals in Ardakan. Erneut hatte sie nun keine Heimat mehr, niemand mehr, der sie aufhalten würde, zu gehen. Das Schicksal von Ním hatte nun auch Quie ereilt; die Stadt wurde zum Sterben zurück gelassen.

In der Nacht der Sommersonnenwende verließ Liara die Überreste ihrer Geburtsstadt für immer. Es gab für sie nur einen Weg, den sie gehen konnte, nur eine wahre Heimat, in die sie zurück kehren konnte. Sie war seit damals nicht mehr in Ardakan gewesen und wusste nicht, was sich in der Stadt alles getan hatte. Aber sie hatte einen Schwur geleistet, damals im zerstörten Tempel und sie hatte ihn bis heute nicht vergessen.

Der Weg war lang und mühsam in der sommerlichen Hitze. Mit jedem Schritt wuchs ihr Unbehagen. War es richtig, nach Ardakan zurück zu kehren, der Stadt ihres Gottes, die nun den Menschen gehörte? Gab es dort noch Fen, die sie erkennen würden, oder konnte sie dort leben, wie sie es in Quie getan hatte, unbehelligt und weitgehend frei? Liara wollte keinen Krieg mehr, kein Verstecken, keine Heimlichkeiten. Die Jahre ohne die Götter waren die friedlichsten, die sie je erlebt hatte, erkannte sie mit wachsendem Erstaunen.Was, wenn die Menschen Recht hatten und es besser war, den Bann aufrecht zu erhalten?

Der Gedanke verwirrte Liara zutiefst. Nie hatte sie über die Möglichkeit nachgedacht, selbst eine Befürworterin des Bannes zu sein. Es war jedoch unbestreitbar, dass sie unter Lorn Krieg, Tod und Zerstörung erlebt hatte, während die letzten Jahre ohne ihn vor allem Ruhe und die Liebe einer Familie bedeutet hatten. Doch was für eine Verrat war es, wenn sie nun die Seiten wechselte? Sie hatte Lorn versprochen zurück zu kehren, sein Licht zu sein bis in alle Ewigkeiten. Wie konnte sie dies nun in Frage stellen, ihren Gott in Frage stellen, dem sie ihr ewiges Leben und so viel mehr verdankte?

Der Weg nach Ardakan wurde zu dem Schwersten, den sie je gegangen war. Sie zweifelte an vielem, doch nie an ihrer Liebe zu Lorn, an ihrer Ergebenheit ihm gegenüber. Ein Teil von ihr würde immer ihm gehören und sie fühlte sich seltsam schuldig, nicht viel früher zurück gekehrt zu sein. Es kam einer Kapitulation gleich, wenn sie nun wieder kehrte und um Gnade bat in der Stadt, in der sie einst beinahe den Tod gefunden und ihren Gott seinem Schicksal überlassen gelassen hatte. In der Stadt, in der kein Platz mehr für unsterbliche Fen eines gebannten Gottes war. Menschen wie sie gehörten hier nicht her und doch war es alles, was Liara wollte. Nach Hause kommen.

Als die Stadtmauern Ardakans vor ihr auftauchten, stieg die Morgensonne gerade über den Horizont und als Liara die Sonne auf dem Dach des wieder aufgebauten Tempels glitzern sah, sank sie erschöpft auf die Knie. Neunzig Jahre war es her, seit sie diese Dächer zuletzt gesehen hatte, mehr als ein Menschenleben. Nun war sie zurück gekehrt und die Stadt der Städte, das Zentrum des Landes, welches in ihrem Herzen immer ihr Zuhause gewesen war. Auch, wenn Ardakan nun nicht mehr die Stadt des Wassers war, würde sie immer Lorns Stadt bleiben und damit für immer die Ihre. Ihr Irrweg war beendet, sie war wieder Zuhause und hoffte, die Stadt und ihre Bewohner würden ihr verzeihen und sie als eine der Ihren aufnehmen. Hoffte, Lorn würde ihr verzeihen.

Liara hatte eine Entscheidung getroffen und sie war überzeugt, dass dies der richtige Weg war, den sie gehen musste. Sie würde zur Lorn zurück kehren und sie würde an seiner Seite sein ewiges Licht sein und über ihn wachen. Wie sie es ihm versprochen hatte. Und sie würde die Menschen der Stadt beschützen, wie sie es einst geschworen hatte.

Die Wachen ließen sie passieren und nach wenigen Fragen gelangte Liara zu einem halb fertig gebauten Palast an genau der Stelle, wo früher eine Heilige Quelle gewesen war, die früher auch Sprechende Quelle geheißen hatte, wenn ausgewählte Fen dort die Stimme ihres Gottes empfangen hatten. Nun war die Quelle verborgen, verschüttet unter einem großen Hügel auf dessen höchstem Punkt wie eine Krone der Sieger der Palast gebaut wurde. Der Anblick löste Bestürzung und Beruhigung zugleich in Liara aus. Sie hatte sich etwas vor dem Moment gefürchtet, an diesen Ort zurück zu kehren, an dem alles begonnen und geendet hatte. Ein Ort, der für sie alles bedeutete, was ein Leben bedeuten kann, ein heiliger Ort, den die sterblichen Menschen in ihrer Besatzung entweiht hatten.

Nein, sagte Liara sich, sie haben ihn nicht entweiht. Sie haben uns befreit und dieser Ort ist ihr Schutz vor göttlicher Willkür und Rachlust, dem kein Volk je gewachsen war. Vielleicht konnten sie nun endlich Frieden finden.

Sie zögerte keine Sekunde, als sie den schweren, eisernen Ring betätigte und drei Mal anschlug. Ihr Entschluss stand fest und nun war sie hier um über Lorn zu wachen und über den Bann, der auf ihm lag. Die Menschen brauchten endlich Frieden und Liara konnte sich keinen besseren Ort vorstellen, diesen zu wahren, als hier in Ardakan, Stadt der Wächter der Quelle, denen sie sich anschließen würde.
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LaBerg
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Re: (3/3) Liara - Lorns Licht [Erbe der Götter]

Beitrag von LaBerg »

Insgesamt ein sehr trauriges Kapitel wie ich finde, aber es kommt sehr gut rüber wie es Liara zur Zeit der Bannung und in den Jahren danach ging.
Was mir gut gefällt, ist dass du die Situation einer langen Belagerung einer Stadt und den Auswirkungen der Zauber in keiner Weise geschönt hast auch dass es ihr schwer fällt zu gehen, passt zu Liara. Gut gefällt mir auch die Darstellung der Auswirkungen der Bannung, dass eben am Anfang nicht alles toll ist.
Bei dem Zeitsprung wo Liara ein glückliches Leben in Quie führt, war ich etwas irritiert. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass Chairo zu dem Zeitpunkt auch schon gebannt wäre... und dann taucht er wieder mit seinen Armeen auf, die dann auch Quie zerstören.
Wie Ardakan nach der Rückkehr auf Liara wirkt und wie sie ihren Entschluss fasst auf die andere Seite zu wechseln ist interessant zu lesen. Wobei immer deutlich ist, dass Liara sich nie wirklich gegen Lorn gestellt hat.
Viele Grüße
LaBerg
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Cassiopeia
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Re: (3/3) Liara - Lorns Licht [Erbe der Götter]

Beitrag von Cassiopeia »

Danke dir :knuff:

Nein, sie hat sich nie wirklich gegen ihn gewandt, das macht den inneren Zwiespalt so groß.
In der Zeit in Quie habe ich Chairo nicht erwähnt, das hätte den Familienstrang gesprengt. Aber er war da, auch wenn es für die Gegend eher ruhigere Jahre waren mit nur zwei oder drei Angriffen, die in einem Nebensatz erwähnt werden. Aber er war die ganze Zeit da und hat seine "Feuerwelt" geformt.
Es freut mich, dass es dir gefällt, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob es zu verknappt, zu kurz sein würde. Aber ich denke, es passt und es passt zu dem, was ich sie erleben lassen wollte. Man könnte eine ganze lange Geschichte darüber schreiben, was sie die Quie erlebt hat, aber das stand ja hier gar nicht im Mittelpunkt. Ich habe mich daher auf die emotionalsten Momente konzentriert, ihren Weggang und die Rückkehr nach Ardakan.
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