Changing Woman (Aftermath Char-Vorgeschichte)

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Tjeika
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Aftermath: Shadi Ké-Yazzi Begaye
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Changing Woman (Aftermath Char-Vorgeschichte)

Beitrag von Tjeika »

Eine kleine Vorgeschichte zu meinem Char bei Aftermath.

Changing Woman

April 2012
Es war einer jener Augenblicke, die Shadi am Liebsten ausgelassen hätte. Einer jener Momente, in denen sie sich fragte, wo die Große Mutter Erde eigentlich war, wenn man sie mal brauchte. Die Fratze des Aliens starrte direkt durch das zersplitterte Glas der Autoscheibe, die nun in vielen Einzelteilen auf dem von ihrer Handtasche beanspruchten Platz neben ihr lag. Ihr blieb der Atem weg, als sich dieses Aliending zu ihr vorbeugte. Irgendein Schleim, der von dem, was der Mund sein sollte und sie doch eher an eine Fratze erinnerte, herunterhing, drohte auf ihre Hand, die krampfhaft versuchte, den Gurt zu lösen, zu tropfen. Schnell zog Shadi die Hand weg und runzelte angeekelt die Stirn, als sie sah, dass sie das doch berühren musste, wenn sie aus dem Auto herauskommen wollte, bevor irgendwelche Trümmerteile des angrenzenden Gebäudes das Taxi plattdrückten, wie es bereits mit dem Fahrzeugen vor, hinter und neben ihr geschehen war. Der Taxifahrer selbst, ein sehr wahrscheinlich sehr zugekiffter Rastafari, starrte wie gebannt auf Captain America, der direkt vor ihnen auf den Trümmern des Fahrzeugs stand und sein Schild auf den Alien an der zerstörten Fensterscheibe warf. Der Alien wich aus und zog dankbarerweise dabei seinen Oberkörper wieder aus dem Auto heraus. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass er getroffen wurde. Schnell zog Shadi ihren Ärmel über ihre Hand und löste den Gurt. In dem Augenblick flog der Alien direkt auf das Dach des Autos, dessen Delle Shadi eine Beule bescherte, die sie panisch aufschreien ließ - die künftig aber auch ihre geringste Sorge sein sollte...
Irgendwie schaffte sie es, aus dem Wagen zu taumeln und geistesgegenwärtig öffnete sie die Fahrertür. Der Mann schien sichtlich verstört und als sie ihre Hand ausstreckte, um den nicht angeschnallten Mann aus dem Fahrzeug zu ziehen, griff die graue Hand, die von ebenfalls gräulicher Flüssigkeit verklebt war, nach ihrem Arm. Ein tiefer Kratzer zierte die Stelle, die er berührte, die sie erst jetzt bemerkte. Sie musste von der zerbrochenen Autoscheibe stammen. Bleich sah sie den ziemlich geschundenen Arm entlang und in das Gesicht des Aliens, das sie nie mehr vergessen sollte.

3 Wochen zuvor.
"Shadi, mein Schatz", hörte sie die Stimme ihrer über alles geliebten Mutter auf der alten Sprache ihres Stammes, was Shadi ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
Der Window Rock Airport war an diesem Tag gut besucht, aber es war nicht soviel los, dass man sich durch die Massen drängeln musste. Das musste man hier nie. Window Rock mochte die Hauptstadt der Navajo Nation Reservation sein. Aber sie hatte auch nur knapp über 3000 Einwohner.
"Mutter, ich habe dich vermisst", sagte sie ehrlich, als sie die ältere Frau in die Arme schloss.
"Schön, dass du endlich wieder zu Hause bist", erwiderte ihre Mutter lediglich und strich mit beiden Daumen über Shadis Wangen.
"Komm, dein Vater erwartet dich schon."
Lächelnd packte Shadi ihre Tasche, die sie kurz darauf auf der Ladefläche des Jeeps, geparkt hatte. Den fuhr ihre Mutter seit etwa zehn Jahren und etwa genauso lange hatte er zumindest dem äußerlichen Anschein nach keine Autowäsche mehr gesehen.
"Warst du in den Canyons unterwegs?", fragte sie, als sie sich anschnallte.
"Die Schafe der Chetahos wurden von irgendeinem Tier angegriffen."
"Schon wieder?"
Shadi seufzte. Das war der vierte Angriff auf das Vieh von Angehörigen ihres Klans seit Beginn des Jahres.
"Ich würde auch gerne wieder nur zum Vergnügen raus. Aber dann auf dem Pferd", betonte ihre Mutter entschieden, die den Motor anließ.
Der Flughafen lag etwas außerhalb der Stadt und bald passierten sie die ersten traditionellen Hogans. Die fensterlosen, runden Gebäude säumten den Weg zwar selten, waren aber für Shadi jedes Mal ein wundervoller Anblick. Das war ihre Heimat und nach Hause kehren ließ sie ganz automatisch lächeln.
Schnell jedoch wurde ihr Ausdruck ernster. Denn es dauerte nicht lange, da eröffnete sich vor ihnen ein typischer Trailerpark, der laut herauszuschreien schien, was hier im Reservat alles nicht stimmte - und der Shadi betroffen aufseufzen ließ.
"Wie läuft es mit den Vorbereitungen zur Miss Navajo?"
Miss Navajo wurde keineswegs nach dem Aussehen gewählt. Vielmehr sollte sie die Kultur der Diné repräsentieren und hatte andere Prüfungen zu bestehen, als im Bikini möglichst stolperfrei über einen Laufsteg zu gehen. Shadi kannte sich da aus. Vor zehn Jahren war sie einst selbst gewählt worden. Das darauffolgende Jahr war anstrengend und lehrreich zugleich gewesen.
"Frag das deinen Vater, ich halte mich da raus", erwiderte ihre Mutter nur in ihrer typischen Weise, wenn es um ihren Vater ging.
Von Distanz zu sprechen wäre untertrieben. Shadi konnte sich nicht erinnern, dass sie mal so etwas wie Liebe in der Beziehung ihrer Eltern gesehen hatte. Und das hatte auch seinen guten Grund...

"Und du willst wirklich bei der UN anfangen?", hakte ihr Vater nach in englischer Sprache nach, der dies nur mit einem Kopfschütteln bedachte, wobei das kleine, silberne Kreuz an seinem Hals das Licht der Stehlampe reflektierte.
"Du hast gesehen, wie schwer die Politik an einem nagen kann, mein Kind", warnte er sie.
"Das war ein anderer Fall. Ich gehe nicht in die Lokalpolitik", wandte Shadi ein, nachdem sie den Bissen der wirklich köstlichen Pinienkernen-Suppe, die es aus dem Anlass ihrer Rückkehr als Vorspeise des Festessens gab, heruntergeschluckt hatte.
"Du solltest aufpassen. Traue niemandem. Erst recht nicht irgendwelchen Leuten, die meinen, was wirtschaftlich am Besten für unser Volk ist. Die hinterlassen nur verbrannte Erde", prophezeite ihr Vater, woraufhin Shadi leicht nickte.
"Ich weiß", sagte sie ernster und schob den leeren Teller von sich.
"Noch etwas Suppe?", bot ihre Mutter mit offener Geste an, wobei sie Navajo sprach, woraufhin Shadi schnell den Kopf schüttelte.
"Nicht, wenn ich noch was vom Hauptgang essen soll."
Der stand kurz darauf dampfend auf dem Tisch. Das würzig duftende Rindfleisch hatte ihre Mutter sehr ansehnlich um die Chilischoten herum drapiert. Ein sehr traditionelles Gericht, wie ihre Mutter ohnehin in allem was sie tat sehr traditionell war.
"Wie laufen die Vorbereitungen?", wiederholte Shadi die Frage, nachdem sie sich als Gast im Hause ihrer Eltern zuerst aufgetan hatte und darauf wartete, bis alle etwas auf dem Teller hatten.
"Zur Miss Navajo?", fragte ihr Vater eher rhetorisch und tat sich als Letztes auf.
"Etwas zäh", gestand er ein, "sie streiten sich mal wieder, ob ein Poetry Slam, wie letztes Jahr, in unserer Sprache vorgetragen wieder gestattet sein darf oder nicht."
Es war immer die gleiche Leier. Traditionalisten gegen Modernisierer und keine Seite wollte nachgeben. Shadi war die Tochter ihres Vaters und ihrer Mutter gleichermaßen und wählte gerne den Mittelweg. Der erschien ihr am Sinnvollsten. Bewahren, was es zu bewahren gibt, dabei aber nie die Zukunft aus den Augen lassen.
"Ich fand den gut", sagte Shadi lächelnd, die sich gerne an diese innovative Idee erinnerte.
Es war etwas Neues, inhaltlich und sprachlich aber kulturell wertvoll.
"Das hat nichts mit uns zu tun", wandte ihre Mutter streng ein, die die englische Sprache auch weiterhin vermied.
Schweigen. Ihre Eltern wechselten nur einen kurzen Blick, der alles verriet.
"Dein Rind ist köstlich", brach Shadi es nach einer kurzen Weile, in der die Mahlzeit schon fast komplett den Weg in ihren Magen gefunden hatte.
"Danke, mein Kind", erwiderte ihre Mutter, die ihre Hand nach ihr ausstreckte, um ihr über den Oberarm zu streicheln, was sie lächeln ließ.
Sie mochte die warmherzigen Gesten ihrer Mutter. Generell war ihre Mutter ein sehr gutherziger und freundlicher Mensch. Nicht jedoch, wenn es um ihren Vater ging.
"Freust du dich auf dein Abschiedsfest?"
"Ich kann es kaum erwarten."

Das traditionelle Fest, das bei einigen Klans der Diné, wie die Navajo sich selbst nannten, stattfand, wenn jemand im Auftrag des Klans hinaus in die Welt geschickt wurde, zu welchem Zwecke auch immer, fand drei Tage später statt. Sie übte sich an einem freundlichen Lächeln, als sie vor dem Spiegel ihres alten Kinderzimmers stand. Die vier nicht gerade kleinen Stammestätowierungen, die sie sich vor ihrem Studium nach alter, durchaus schmerzvoller Art, hatte stechen lassen, hoben sich auch nach sieben Jahren noch deutlich von ihrer Haut ab, was für die Qualität des Medizinmannes, der sie gefertigt hatte, sprach. Leider war er letztes Jahr in seinem Hogan verstorben, das daraufhin mit ihm im Inneren verbleibend, versiegelt und somit zur Grabstätte umfunktioniert worden war. Es war eine ehrenvolle Abschiedsfeier gewesen.
Sie griff nach dem Oberteil der Tracht, die auf einem Bügel an der Schranktür hin und zog sie sich über. Nachdem sie den Stoff glattgestrichen hatte, folgten Hals- und Armringe aus Knochen und festlicher Kopfschmuck. Wenn sie sich so betrachtete, bemerkte sie wieder einmal, dass sie viel zu selten zu Hause war, um an den hiesigen Festen teilzunehmen, deren einzigartige Stimmung sie nirgends in New York hatte wiederfinden können.
"Bist du soweit, Liebes?", hörte sie ihre Mutter rufen, woraufhin sie sich selbst noch einmal zunickte und das Zimmer verließ.

"Die Große Mutter Erde wird immer an deiner Seite sein, Older Sister", sprach der Medizinmann, der trotz seines gehobenen Alters erst seit einem Jahr im Amt war.
Man konnte sehen, wie es um seine Mundwinkel zuckte und Shadi konnte nicht umhin, ebenfalls zu schmunzeln. Den Namen Shadi, der Older Sister bedeutete, hatten ihre Eltern ihr gegeben, in der Hoffnung, es würden noch weitere Kinder dazukommen. Doch es war anders gekommen...
Das Feuer knisterte, das hier draußen vor den Toren der Stadt entzündet worden war. Sie standen in einem Kreis darum herum, wobei Shadi und der Mann mit den Falten sich, der so viele Jahre bei seinem Mentor gelernt hatte, bis er grau geworden war, abgesetzt etwas näher am Feuer gegenüberstanden.
Ihr Vater war erschienen und hatte aus Respekt vor den Ahnen das Kreuz abgelegt.
"Die sich wandelnde Frau wird deinen Wandel begleiten und du wirst reicher an Erfahrungen zu uns zurückkehren und uns letztlich alle bereichern."
Shadi schenkte dem alten Mann ein warmes Lächeln, dann nahm sie die vier Beutel mit beiden Händen an, die er ihr reichte.
"Ehre dein Volk in der Fremde, nimm den Mais für den Norden, die Bohnen für den Osten, die Kürbiskerne für den Süden und den Tabak für den Westen mit in dein neues Heim, das dir niemals Heimat werden soll", betonte er, woher sie kam.
Er sprach noch ein paar Beschwörungen an die Götter, besonders an Mutter Erde, die sie beschützen sollte. Es war allgemein eine sehr feierliche Stimmung. Vier Frauen begannen zu singen, ein altes Lied zu Ehren der sich wandelnden Frau, in das bald alle mit einstimmten. Und auch Shadi sang voller Inbrunst mit. Schließlich wurde ausgelassen getanzt und gefeiert, wobei kein einziger Tropfen Alkohol floss.
Alkohol, die Nemesis der First Nations.

"Bitte pass auf dich auf", bat ihre Mutter, die sie zwei weitere Tage später wieder am Flughafen abgeliefert hatte.
Ihr Vater war wieder nicht dabei. Er war auch nicht der Typ für rührende Abschiedsszenen.
"Immer, Mutter, versprochen", erwiderte Shadi und umarmte ihre Mutter, der schon Tränen in den Augenwinkeln glitzerten.
"Und überarbeite dich nicht, mein Kind", flüsterte ihre Mutter.
"Bete und opfere immer schon regelmäßig."
"Natürlich", sagte sie zu und schenkte ihrer Mutter noch ein Lächeln, bevor sie sich auf den Weg zum Flugzeug machte.
Es war eine Propellermaschine. Sie persönlich bevorzugte die düsenbetriebenen Flugzeuge. Die Propellergeräusche machten sie nachgerade nervös. Den Weg nach New York nutzte sie, um sich einzuarbeiten. Es war eine herausfordernde Aufgabe, bei der UN die Navajo Nation zu repräsentieren. Sie war gewählte Vertreterin und Botschafterin ihres Stammes gleichermaßen. Es war eine große Ehre und sie wusste, dass sie generell viel Glück in ihrem Leben gehabt hatte. Nicht gerade wenige Navajo lebten unter der Armutsgrenze und Arbeitslosigkeit und Alkoholismus führten zu einer Perspektivlosigkeit, die die Selbstmordrate selbst bei den Jugendlichen im letzten Jahrhundert in schwindelerregende Höhen getrieben hat. Auch da wollte sie auf internationaler Ebene etwas erreichen. Die Navajo waren nicht die einzigen Ureinwohner auf der Welt, die dieses Schicksal getroffen hat. Und im Vergleich alleine nur mit anderen Stämmen auf Territorium der USA hatten sie es noch vergleichsweise gut.

"Das hier vorne ist Ihr Büro", wurde Shadi von einem Saaldiener schließlich in eben jenes gebracht, als sie weitere fünf Tage später gerade einmal zum dritten Mal in ihrem Leben das UN Gebäude betreten hatte.
"Willkommen bei den Vereinten Nationen, Miss Begaye", sagte der Mann, der höflich in der Tür stehen blieb.
"Wenn Sie etwas benötigen, wählen Sie dreimal die Null, so erreichen Sie mich und meine Kollegen."
"Vielen Dank für Ihre Mühen", bedankte sie sich und nickte dem Mann zum Abschied zu, der die Tür hinter sich schloss.
"Da wären wir also", sagte sie zu sich selbst und drehte sich einmal im Kreis.
Das Büro war nicht gerade klein und sehr hell eingerichtet. Etwas zu modern für ihren Geschmack, aber das konnte sie im Laufe der Zeit ja noch ihren persönlichen Bedürfnissen anpassen.
Sie trat an die Schränke und öffnete testweise einige Schubladen, die sehr flüssig in den Schienen liefen. Dann schaltete sie das Radio ein.
"Danke Veronica für die heiteren Aussichten. Und jetzt noch eine Meldung für die, die das Großereignis nächste Woche kaum erwarten können. Kurz vor der Eröffnung des Stark Towers hier in New York gab es einen Zwischenfall mit mehreren Leichtverletzten. Die Pressemitteilung spricht von einem Problem mit der Stromversorgung, das aber noch vor der Eröffnung nächste Woche behoben sein soll. Wir vom CBS Radio East bleiben für Sie dran. Jetzt hören wir erst einmal Musik, ein Newcomer aus der Bronx..."
Shadi hatte nur kurz aufgehorcht. Sie hatte selbstredend von Iron Man gehört und wusste nicht so recht, was sie von ihm halten sollte. Seine Öffentlichkeitspräsenz jedenfalls sprach stark für eine narzisstische Persönlichkeit. Was selbstredend auch Fassade sein könnte, wie bei vielen, die in der Öffentlichkeit stehen. Der frühere Waffenproduzent hatte jedenfalls ein Stein bei ihr im Brett, seit er öffentlich eben jener Tätigkeit abgeschworen und seine Erfindungen zumindest offenkundig für gute Taten eingesetzt hatte.
Die Musik plätscherte im Hintergrund vor sich her und Shadi erwischte sich dabei, wie sie das Stammeslied, das zu ihrem Abschied gesungen wurde, gegen die Melodie aus dem Radio ansummte. Schmunzelnd griff sie in einen Beutel, den sie dabei hatte und holte den kunstvoll gewebten Teppich heraus, den sie anschließend an die Wand gegenüber des Fensters nagelte. Auf den Schrank darunter stellte sie vier Schalen, in die sie die Beutel legte, die sie vom Medizinmann erhalten hatte. Zufrieden lächelnd strich sie noch einmal über den Teppich, fuhr die gut sichtbare Linie des Geistwegfadens nach und setzte sich anschließend an ihren Schreibtisch, um jenen ebenfalls einzurichten.

"Damit beende ich die heutige Sitzung des Minderheitenausschusses", sprach der Vorsitzende, der eine Anstecknadel mit dem Wappen des samischen Volkes in Nordeuropa trug, und erhob sich, woraufhin allgemeines Stühlerücken begann.
Shadi sammelte ihre Papiere ein und verstaute sie in der schwarzen, schmucklosen Aktentasche.
"Sie sind die Neue", wandte sich an der Tür eine männliche Stimme an sie.
Freundlich lächelnd drehte sie sich um und war wenig überrascht in das Gesicht eines Native American in den Mittvierzigern zu blicken.
"Ich bin neu. Ob ich die Neue bin kann ich nicht beurteilen", sagte sie schmunzelnd und trat hinaus in den Gang.
"Sie sind Navajo", stellte der junge Mann fest.
"Diné, genau", verbesserte sie leicht nickend.
"Sie können aber auch einfach Shadi zu mir sagen", bot sie freundlich an.
"Michael Kwahu", stellte der Mann sich vor.
Shadi hob eine Braue.
"Das ist ein Hopi-Name, richtig?"
"Allerdings", die Miene des Mannes war ernster geworden.
Shadi ahnte, dass dieses Gespräch keine gute Wendung nehmen würde.
"Sie haben mich nicht ohne Grund angesprochen", stellte Shadi fest.
"Auch das ist richtig."
Shadi seufzte und strich sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht, als sie stehen blieb, um dem Hopi direkt ins Gesicht zu blicken.
"Der letzte Vertrag zwischen Hopi und Navajo sieht eine klare Grenze Ihrer Enklave innerhalb der Navajo Nation vor. Ich sehe keinerlei Diskussionsbedarf", sagte sie ernst, blieb dabei aber freundlich.
"Das sieht mein Stamm anders, Miss Begaye", nutzte er weiter ihren Nachnamen, obgleich sie ihm den Vornamen angeboten hatte.
Die Distanz zwischen ihnen war nachgerade greifbar.
"Ich werde das Thema auf die Tagesordnung im Ausschuss bringen. Ich wollte lediglich so freundlich sein, Sie vorzuwarnen."
Damit ließ er Shadi etwas überrumpelt stehen.
Sie war erst einige Tage im Amt. Sie hatte mit Schwierigkeiten gerechnet, gerade auch in solcherlei Belangen. Doch dass dies schon in der ersten Woche begann, war eine Überraschung.

Erschöpft schloss Shadi die Bürotür hinter sich und kontrollierte, ob sie auch ihren Wohnungsschlüssel hatte. Dort hatte sie auch noch einiges zu erledigen. Wenn sie endlich einen Assistenten gefunden hatte, würde sie es vielleicht auch ins Möbelhaus schaffen und nicht länger mit dem Nötigsten auskommen müssen. Sie hatte alles genau im Kopf, sie wusste exakt, welche Möbel und welche Accessoires sie wollte und wo sie hin sollten. In ihrer Vorstellung war alles perfekt!
Die Realität sah ein wenig spartanischer aus. Sie hatte nur das Nötigste.
Sie verließ das UN-Gebäude und winkte sich ein Taxi heran. Es dauerte etwas länger, bis schließlich endlich eines der Yellow Cabs vor ihr anhielt. Aus der Anlage dröhnte nicht gerade leise Bob Marley und der Fahrer war sehr offensichtlich mindestens dessen größter Fan, wenn nicht sogar selbst Jamaikaner und / oder Rastafari.
"Wohin soll's gehen, Miss?", fragte er sie, als Shadi hinten eingestiegen war.
Shadi nannte ihre Adresse und schnallte sich an. Die Handtasche deponierte sie auf dem freien Platz neben sich.
"Sie melden sich, wenn Sie die Musik stört", bot der Fahrer gut gelaunt an und Shadi meinte, einen sehr speziellen Geruch im Auto wahrzunehmen, der sie schmunzeln ließ.
"Lassen Sie nur", antwortete sie lachend und wollte noch etwas ergänzen, als das absolute Chaos losbrach...

"... wollte ich mich bei Ihnen allen für die wunderbare Zusammenarbeit bedanken", endete der Vorsitzende des Minderheitenausschusses.
Die Runde hatte sich erhoben und setzte zu Klatschen an. Shadi hatte ein Lächeln auf den Lippen.
"Danke, danke, ich bin noch nicht fertig", unterbrach der Same sie freundlich und bedeutete, ihnen sich zu setzen. Ein kurzes Stühlerücken begann und es kehrte wieder Ruhe ein.
"Ich habe die Zeit hier sehr genossen und hoffe, Sie werden auch nach meinem Ausscheiden aus meinen Ämtern weiterhin so konstruktiv zusammenarbeiten. Als Nachfolger schlage ich, dem kontinentalen Wechsel zufolge, Miss Shadi Begaye vor."
Shadi blinzelte und sah irritiert auf, während die Blicke nun auf ihr lagen. Damit hatte sie nicht gerechnet und ein kurzes Schweigen erfüllte den Raum. Schnell hob sie ihre verbundene Hand an den Mund und räusperte sich kurz.
"Ja, ähm, vielen Dank", sagte sie wenig vorbereitet.
Hier und da sah man ein Schmunzeln auf den Gesichtern. Die meisten blickten freundlich drein. Ihr Blick glitt zu Michael Kwahu, der aussah, als würde er gleich über den Tisch springen und sie erwürgen.
"Sie ist jung, bringt also etwas frischen Wind und, was mir persönlich ein Anliegen ist, sie wäre die erste Frau, die den Vorsitz über den Minderheiten-Ausschuss einnimmt. Ich würde mich freuen, wenn Sie meiner Empfehlung folgen würden. Aber das liegt selbstredend bei Ihnen selbst", endete der Mann am Kopf des Tisches freundlich in die Runde lächelnd.
"Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss das Flugzeug erwischen", sagte er und beendete damit die Sitzung.
Noch etwas baff stand Shadi auf und räumte ihre Sachen zusammen.
"Denken Sie nicht, dass Sie meine Stimme kriegen", raunte ihr Michael Kwahu neben ihr zu.
"Nein, damit rechne ich nun wirklich nicht", erwiderte Shadi trocken und ohne aufzublicken.
"Die Tochter eines Alkoholikers, Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass man Sie wählen wird?"
Shadi atmete tief durch, jetzt hieß es, Ruhe zu bewahren und sich nicht aufzuregen.
"Das ist kein Geheimnis, er selbst ist damit noch während seiner Präsidentschaft an die Öffentlichkeit gegangen. Und im Gegenteil macht es mich zu jemandem, der die Probleme von Minderheiten und besonders First Nations sehr gut nachempfinden und entsprechend den Bedürfnissen handeln kann", erwiderte sie, was sie nicht zum ersten Mal aussprach.
"Das werden wir ja sehen, wie schön sie es finden, dank Ihnen immer an die negativen Entwicklungen erinnert zu werden."
Kwahu musterte sie und der Blick war mehr als feindselig.
"Sie repräsentieren einen Stamm mit zweifelhafter Geschichte", sprach er schließlich leise weiter.
"Ich empfehle Ihnen, von einer Kandidatur abzusehen."
Damit ließ er sie mit einem Stirnrunzeln zurück. Ein paar Leute fassten ihr im Vorbeigehen an die Schultern und sagten Dinge, die nach der zweifelhaften Begegnung mit dem Hopi nicht wirklich bis zu ihr durchdrangen. Sie hörte sich hier und da leise "Danke" sagen, während sie noch in die Richtung blickte, in die Kwahu verschwunden war.

Die Nacht war unruhig. Shadi hatte noch lange gesessen und über einer Kandidaturrede gebrütet, die zwingend nötig war. Sie hatte nach Kwahus Einwänden und nach tagelangen Grübeleien beschlossen, sich nicht unterkriegen und nun erst recht anzutreten. Es stand ihm frei, selbiges zu tun. Alles andere würden demokratische Prozesse regeln. Sie plante keine Schlammschlacht - und erst recht würde sie die Konflikte zwischen Hopi und Diné nicht auf die internationale Bühne tragen. Und sie hoffte, Kwahu würde es ähnlich halten.
Sie hatte sich nun schon zum dritten Mal hin und her gewälzt und doch war sie hellwach, als wäre sie heute in der Früh nicht schon um vier Uhr aufgestanden, um noch letzte Vorbereitungen für ein Gespräch mit den Chinesen zu treffen, die tatsächlich vor hatten, in das Reservat zu investieren. Es hatte sich herausgestellt, dass die Warnung ihres Vaters durchaus gerechtfertigt gewesen war. Statt Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen, waren es die Pläne der Chinesen gewesen, die Arbeiter auszubeuten. Und alle entscheidenden Posten wären statt mit Einheimischen mit Chinesen besetzt gewesen. Das frühe Aufstehen hatte sich also nicht einmal gelohnt. Während sie ruhelos an die Decke starrte und daran zurückdachte, dass sie immer hatte freundlich bleiben musste und ihnen nicht, wonach ihr der Sinn gestanden hatte, an die Kehlen gehen durfte, kochte ihr Blut nachgerade.
Was sich schlagartig änderte, als sie sich fauchen hörte. Shadi saß schlagartig im Bett und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie atmete hektisch und kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sofort kamen ihr die Bilder jenes verhängnisvollen Tages wieder in den Sinn, die sie seither jede Nacht wach hielten. Der Alien, der im Todeskampf ihren Arm gar nicht mehr hatte loslassen wollen, diese eiskalten Augen, die sich in ihre bohrten, bis der Blick schließlich brach... Eilig schlug sie die Decke beiseite und sie stolperte mehr, als dass sie lief, ins angrenzende Badezimmer. Das Licht war schnell angeschaltet.
Ein spitzer, kurzer Schrei folgte, als sie in ihr Gesicht sah. Schnurrhaare, ein leicht verzerrtes Gesicht und eine gelb-schwarze Verfärbung der Haut ließen auf einen Mensch-Tiger-Zwitter schließen, dem allmählich ziemlich spitze Zähne wuchsen. Einige Male atmete Shadi tief durch, ehe sie es wagte, vorsichtig in ihr Gesicht zu fassen, das sich erschreckend flauschig weich anfühlte.
"Was geht hier vor...?", flüsterte sie tonlos und tief entsetzt.

Der Schrecken der Nacht saß ihr noch in den Knochen, als sie am nächsten Morgen darauf wartete, ihre Kandidatur zu verkünden. Es hatte eine komplette halbe Stunde gedauert, bis Shadi wieder die Kontrolle über ihr Gesicht erhalten hatte. Zwischenzeitlich hatte sie sogar gefürchtet, sie müsse von nun an immer so herumlaufen, was wohl das Aus für ihre Karriere bedeutet hätte. Auch wenn ein Mensch-Tiger-Zwitter wohl sehr gut in den Minderheitenausschuss gepasst hätte. Schließlich aber war sie wieder sie selbst gewesen und hatte sich eine weitere Stunde vor den Altar in ihrer Wohnung gesetzt, um sowohl Opfer dafür darzubringen, dass dies doch bitte eine einmalige Ausnahme darstelle, als auch zu fragen, was das bitteschön solle. Die Changing Woman steckte dahinter, anders konnte sie es sich nicht erklären. Antworten war die Changing Woman ihr allerdings, wie zu erwarten gewesen war, schuldig geblieben...
Die Runde war komplett und der stellvertretende Vorsitzende hatte in seiner Rede auf die Wichtigkeit des Amtes und die damit einhergehende, inhaltliche Ausrichtung des Minderheitenausschusses hingewiesen.
"Ich bitte die Kandidaten, die sich für dieses Amt zur Verfügung stellen, sich zu erheben", bat er und mehrere Stühle wurden gerückt.
Shadi war aufgestanden, genauso der Vertreter der Maya. Und zu Shadis sichtbarer Überraschung eben auch Kwahu, der ihr einen siegesgewissen Blick schenkte.
"Nun, das verspricht eine interessante Wahl zu werden", sprach der stellvertretende Vorsitzende, dessen Mundwinkel amüsiert zuckten.

April 2016, vier Jahre später...
"Als Vorsitzende ist es Ihre spezielle Pflicht, die Minderheiten zu repräsentieren", beharrte Kwahu streng, der Shadi mit seinen Blicken erdolchte, dessen Stimme aber freundlich blieb und nicht einmal ansatzweise erahnen ließ, wie feindselig das Verhältnis zwischen ihnen war.
"Und dazu gehört es eben auch, anzuerkennen, dass die Mutanten, wie sie wenig ruhmreich in der Bevölkerung genannt werden, ebenfalls eine Minderheit sind. Und indem wir unsere Unterstützung dazu leisten, sie zu registrieren, tun wir uns auch selbst keinen Gefallen. Das erinnert mich an das J im Ausweis der jüdischen Bevölkerung unter Hitler. Wir stigmatisieren sie und entrauben sie einer Zukunft, wie jeder sie verdient hat. Wenn es soweit ist, dass wir sie registrieren, wann kommt es dann, dass wir ihnen nach und nach ihre Rechte aberkennen?", argumentierte er weiter, ohne laut zu werden.
Shadi nickte leicht, als er sich wieder setzte und sah nachdenklich in die Runde.
"Wir alle wissen, welche Gefahren damit verbunden sind", erklärte sie.
"Deswegen habe ich die Entscheidung, als Vertreterin der Minderheiten dem Gremium beizutreten oder aus Protest eben dies genau nicht zu tun und demonstrativ keine Unterschrift zu leisten, auch nicht alleine getroffen", wie sie es durchaus hätte tun können.
"Mir ist Ihre Meinung in dieser sehr delikaten Angelegenheit wichtig. Ich möchte aber auch auf die Argumente der Befürworter eingehen. Und man kann nicht leugnen, dass es eine Kontrolle auch für Superhelden gibt", nutzte sie das Wort Mutanten sehr beabsichtigt nicht.
"Sie stellen sich über die Gesetze und ich glaube ihnen, dass sie beabsichtigen, Gutes zu tun. Deswegen sollen sie auch genau das weiterhin tun. Jedoch unter der Aufsicht der UN, ohne deren Erlaubnis keine Einsätze mehr gestartet werden dürfen. Wir alle haben noch die Bilder aus Sokovia im Kopf. Oder das, was in Lagos geschehen ist. Niemand behauptet, sie hätten absichtlich soviel Tod und Zerstörung angerichtet. Dennoch braucht es kluge Köpfe, die solcherlei Entscheidungen mit Bedacht treffen. Sie sollen kontrolliert werden, wie jeder sich vor dem Gesetz verantworten muss. Niemand steht über dem Gesetz. Und ganz genau das ist doch der Punkt: Wenn wir ihnen erlauben, über dem Gesetz zu stehen, dann sind einige von uns doch wieder gleicher als andere. Und das kann nicht das sein, was ausgerechnet der Minderheitenausschuss der Vereinten Nationen als Signal senden möchte."
Sie sah einmal in die Runde und in die Gesichter der Anwesenden.
"Ich möchte Sie nun bitten, die Hand zu heben, wenn Sie dafür stimmen, dass dieser Ausschuss hinter dem Sokovia-Abkommen steht."
Stühle wurden gerückt, aber längst nicht alle. Der Ausschuss war gespalten und das war von vorn herein klar gewesen. Beide Positionen hatten ihre Daseinsberechtigung und das war auch das Einzige, auf das man sich hatte einigen können.
"Ich zähle", sprach der Stellvertreter nach einer kleinen Weile, die sich wie Kaugummi hingezogen hatte und die von Schweigen geprägt war, "eine knappe Mehrheit von drei Stimmen für das Abkommen."
Keiner applaudierte, die Mienen blieben ungewöhnlich ernst. Shadi nickte nur leicht.
"Ich danke Ihnen."
"Hören Sie, Sir, folgendes... Es geht um meinen Teppich, der das Zimmer erst richtig gemütlich gemacht hat..."

// The Big Lebowski \\
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Changing Woman II

Beitrag von Tjeika »

November 2016

"Und du denkst an die Unwetterwarnung? Ja? Unterschätz' das dieses Jahr nicht wieder. Du weißt, wie schnell das Wetter bei euch im Norden umschlagen kann", erklang die Stimme Ooljee Begayes aus dem Lautsprecher von Shadis StarkPhone, das sie auf die Ablage neben dem Waschbecken gelegt hatte.
Schmunzelnd blickte sie in den Spiegel. Das strahlend blau-grüne Veilchen stach besonders in ihrem Antlitz hervor.
"Mom, keine Sorge. Auf ein weiteres Mal Grippe habe auch ich keine Lust", erwiderte sie kopfschüttelnd, auch wenn ihre Mutter das nicht würde sehen können.
"Ich werde mich einwickeln wie eine Sushi-Rolle", versprach sie und ging vom Kopfschütteln ins Nicken über.
Die Grippe im vergangenen Herbst war ihr tatsächlich noch überaus unangenehm in Erinnerung.
Etwa genauso unangenehm, wie das Gefühl, als sie mit dem in reichlich Make-Up der Marke Mary Kay, die sie einer gewissen Russin zu verdanken hatte, eingetunkten Schminkpad das Veilchen abzudecken begann.
"Au!", murmelte sie - und bereute es sofort.
Immerhin wusste ihre Mutter nichts von diesem kleinen Zwischenfall, wie sie den gar nicht mal so kleinen Zwischenfall in Wakanda vor wenigen Tagen zu bezeichnen pflegte.
Und eigentlich hatte das auch genau so bleiben sollen.
"Was ist los? Hast du dir wehgetan?", fragte Ooljee sogleich besorgt.
"Nein, nein, alles gut", winkte Shadi daraufhin gleich ab und setzte erneut an, wobei sie sich dieses Mal jedweden Schmerzenslaut verbat.
"Warum bist du eigentlich schon wach? Bei euch ist es doch noch mitten in der Nacht?", fragte Shadi, was ihr eigentlich schon zu Beginn dieses Telefonates in den Sinn gekommen war.
Doch ihre Mutter hatte es vorgezogen von Lees Beförderung zu schwärmen - und davon, dass der hin und wieder angenehm von der Begegnung mit Shadi im Sommer erzählte.
Das war nicht sonderlich dezent von Ooljee. Und Shadi ahnte, was es damit auf sich hatte.
Bucky hatte ja erwähnt, dass sie wusste, was in jener besagten Nacht geschehen war. Dass sie nicht einverstanden war, hatte Shadi sich schon gedacht, so freundlich sich ihre Mom gegenüber Bucky auch verhalten haben mochte.
Ständig Lees Vorzüge zu erwähnen war wohl ihr kläglicher Versuch, Shadi auf andere Gedanken zu bringen.
"Du hast gleich einen wichtigen Auftritt bei der UN. Denkst du, das lasse ich mir entgehen?", antwortete ihre Mutter wie selbstverständlich, was Shadi jedoch nur leise auflachen ließ.
"In Ordnung, das hört nie auf, hm?", fragte sie amüsiert, während sie auf diese Nachricht hin beschloss, besser noch eine weitere Schicht Make-Up über das Veilchen zu verteilen.
Dieses Mal war Ooljee es, die auflachte.
"Natürlich nicht, du bist mein einziges Kind."
Ooljee musste nicht aussprechen, damit Shadi wusste, was sie damit eigentlich sagen wollte: Shadi war Ooljees einzige Familie.
Zumindest der letzte Rest Familie, der derzeit erreichbar war. Ihre Großmutter war um diese Jahreszeit immer auf spiritueller Wanderschaft noch tiefer in die Canyons hinein und würde erst zu Beginn des nächsten Jahres wieder in ihren Hogan zurückkehren.
"Musst du nicht langsam los?", sprach ihre Mutter weiter, ohne Shadi die Möglichkeit zu geben, etwas darauf zu erwidern.
Sie hätte auch gar nicht gewusst, was.
"Ich habe noch ein paar Minuten, bevor der Chauffeurservice der Vereinten Nationen mich abholt."
Den nutzte sie äußerst selten, einfach, weil sie den Kontakt mit den Menschen nicht verlieren und wie einige andere UN Botschafter abheben wollte. Aber wenn sie Reden hielt, dann griff sie auf diesen Service zurück, um auch wirklich pünktlich anzubekommen und nicht auf das Taxi im Berufsverkehr angewiesen zu sein - oder die U-Bahn.
"Pass auf dich auf. Und viel Glück. Ich werde beide Daumen drückend vor dem Fernseher sitzen", versprach Ooljee, bevor sie sich verabschiedeten.

"Vielen Dank, Exzellenzen, Herr Generalsekretär, meine Damen und Herren", beendete Shadi ihre Rede, die sie ohne Mels Hilfe nie hätte halten können.
Sie hatte tatsächlich den Hauptverdienst an dem nun folgenden Applaus - und Shadis Blick glitt auch als allererstes hinauf auf die Empore, wo sich geladene Gäste, Mitarbeiter und die Presse versammelt hatten
Ihre Rede war tatsächlich live übertragen worden, und das nicht nur auf einem Sender.
Shadi nickte leicht und anerkennend, als sie Melanie entdeckt hatte, die neben Sam stand.
Der Applaus fiel etwas länger aus. Das war das zweite Mal in diesem Herbst, dass eine Rede mit stehenden Ovationen gefeiert wurde. Das letzte Mal war es Steve Rogers höchstselbst gewesen, der einen wahrlich bleibenden Eindruck hinterlassen hatte.
In den Gesichtern der Vertreter der gerade besonders betroffenen Staaten fand sich viel Zustimmung zu ihren Worten, die nach mehr Zusammenarbeit und Solidarität gegenüber denjenigen verlangten, die viele Flüchtlinge aufnahmen und zu versorgen hatten.
Shadi war sich sehr wohl darüber im Klaren, dass dies erst der Beginn einer langwierigen, schwierigen Arbeit war. Doch sie hoffte, dass ihre eindringlichen Appelle - und das Bildmaterial, mit dem sie ihre Worte nicht weniger eindringlich unterstrichen hatte - bei einigen zu einem Umdenken führten.
Shadi trat vom Rednerpult zurück und lächelte zufrieden. Die Glückwünsche, die sie auf dem Weg hinaus begleiteten, bestärkten sie in ihrer Ansicht, endlich etwas ausgesprochen zu haben, was viel zu lange kleingeredet oder mit Nichtstun bedacht worden war.
"Miss Begaye, draußen auf dem Gang wartet die Presse", sprach Nelson freundlich, der sich daran machte, ihr die Tür aufzuhalten.
Den Ghanaer hatte sie auch nie anders als freundlich erlebt. Er war ihr tatsächlich der sympathischste Saaldiener.
Vielleicht, weil er noch recht neu war. Sie hoffte, er würde sich diese Fröhlichkeit und Zuvorkommenheit bewahren, auch wenn einige Botschafter sich gegenüber den Angestellten doch recht überheblich verhielten.
"Kann losgehen", versicherte sie Nelson, der mit dem Öffnen der Tür tatsächlich auf genau so eine Aussage gewartet hatte.
"Miss Begaye, Botschafterin", kam es gleich von mehreren Seiten, während die Photoapparate sie mit Blitzen bedachten, während sie sie aufnahmen.
Mehrere Kameras liefen und Shadi war sich sicher, dass einige auch live auf Sendung waren.
Hier und da wurden Fragen bezüglich ihrer Rede gestellt, die sie auch alle freundlich und detailliert beantwortete. So schnell jedoch wollte man sie nicht gehen lassen, auch wenn sie weiter hinten im Gang schon Melanie und Sam entdeckte, die auf sie zu warten schienen.
"Was können Sie uns über den aktuellen Stand des Prozesses gegen den Winter Soldier erzählen", begann einer zu fragen und Shadi ahnte, dass damit Tür und Tor für weitere Nachfragen dieser Art geöffnet waren, sollte sie sich jetzt dazu hinreißen lassen, diese Frage zu beantworten.
"Ich kann Ihnen darüber keinerlei Auskunft geben", sagte sie und sah den Reporter des Daily Mail freundlich, aber bestimmt an.
Der Mann war ihr ja der Liebste. Die wildesten Gerüchte hatte er sowohl über sie als auch über Bucky in die Welt gesetzt. Und auch über sie beide. Er hatte ja nicht ahnen können, dass er zumindest in die Nähe des Schwarzen getroffen hatte.
Dass er damit zumindest in diesen Tagen einen wunden Punkt getroffen hatte, konnte der Reporter ja nicht ahnen. Sie wollte dieser Tage wahrlich nicht über Bucky nachdenken. Dazu war das Erlebnis, seine Faust in ihrem Gesicht zu haben, doch noch ein wenig zu frisch. Es war so frisch, dass ihre Gehirnerschütterung noch immer nicht ganz ausgeheilt war. Sie hatte lediglich aus Gründen dieses heutigen Tages und ihrer Rede auf die verordnete Bettruhe verzichtet, an die sie sich ansonsten auch die nächsten Tage zu halten gedachte.
"Dann sagen Sie uns vielleicht, was an den Gerüchten dran ist, der Winter Soldier hätte die Prinzessin von Wales auf dem Gewissen."
Shadi hob eine Braue. Das war ja ein ganz neues Gerücht. Das war sogar so neu, das kannte sie noch gar nicht.
Sie hatte ja schon die Behauptung als absurd abgetan, Bucky hätte Präsident Kennedy umgebracht. Auch wenn das auf den ersten Blick natürlich eine wunderbar angenehme Erklärung war. Endlich hätte man einen Schuldigen, an dem es keine so großen Zweifel gäbe, wie an Lee Harvey Oswald. Dem Winter Soldier traute man in der Öffentlichkeit alles zu.
Auch wenn die öffentliche Meinung seit Steves Rede sich doch ein wenig gedreht hatte. Was auch dem Prozess zugute kam.
"Wie Sie es schon sagten, es handelt sich lediglich um ein Gerücht."
Dementieren konnte sie es so klar und deutlich noch nicht, solange der Prozess noch im Gange war. Aber deutlicher ihre Meinung darüber sagen eben auch nicht.
"Ich muss mich jetzt verabschieden, sollten Sie keine weiteren Fragen zu dem Thema meiner heutigen Rede haben", erklärte Shadi, die wahrlich keine Lust hatte, noch weiter über dieses Thema zu reden.
In zwei Wochen vielleicht. Aber noch war der wortwörtliche Schlag ins Gesicht zu frisch.
Sie wollte weder etwas von oder über Bucky hören, geschweige denn ihn sehen.
Mit einem Nicken beendete sie die kleine, improvisierte Pressekonferenz und drängte sich zwischen den Reportern zu Mel und Sam durch. Noch ein paar Schritte verfolgte man sie, dann ließ man sie freundlicherweise ihrer Wege ziehen.
Was unter anderem wohl auch daran lag, dass sie sich in einen nicht öffentlich zugänglichen Bereich des Gebäudes zurückzogen.

"Er hat dich wirklich angerufen?", fragte Shadi später am Tage, der laut Uhrzeit noch immer so genannt werden musste, auch wenn die Dunkelheit sich längst über den Lichtern der Stadt ausgebreitet hatte.
New York würde noch lange auf den Beinen sein.
Im Gegensatz zu Shadi, die nicht nur wegen ihrer abklingenden Gehirnerschütterung totmüde war. Der Trubel war wirklich noch sehr groß gewesen - und bis eben gerade auch geblieben.
Sie unterdrückte ein Gähnen, als sie, kaum im Fahrstuhl des Gebäudes, in dem sie lebte, angekommen, ihre Stiefel auszog. Die waren zwar an sich sehr bequem, aber nach einem ganzen Tag auf zwölf Zentimeter Absätzen taten auch ihre darin recht geübten Füße weh.
"Hat er. Kannst du dir das vorstellen?", fragte die aufgebrachte Stimme ihrer Mutter am anderen Ende der Leitung, die dort schon war, seit sie vor dem UN Gebäude in das Taxi gestiegen war, das sie nach Hause gebracht hatte.
"Naja, wenn man bedenkt, dass...", Shadi zögerte kurz, als sie ihren Wohnungsschlüssel umständlich ob des Telefons an ihrem Ohr aus ihrer geräumigen Handtasche holte - Vater oder Dad wollte sie den Mann nicht nennen, um den es ging -,"Kelsey nun schon dreimal versucht hat schriftlich mit dir und auch mir in Kontakt zu kommen, war es nur folgerichtig, dass er es nach unserem Schweigen auch per Telefon versucht."
Sie stieg aus dem Fahrstuhl, nachdem es ihr irgendwie gelungen war, ihre Stiefel unter ihren Arm zwischen Handtasche und Schulter quasi in den Schwitzkasten zu nehmen.
"Du hast gleich aufgelegt, hm?", nahm Shadi an, wonach erst einmal einen Augenblick Schweigen folgte.
"Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen? Ich war absolut nicht vorbereitet", entschuldigte sich ihre Mutter ratlosen Tonfalls.
Shadi atmete tief durch, während Kittie um ihre Beine herumlief und sie so noch mehr Schwierigkeiten hatte, die Tür zu öffnen, als ohnehin schon.
"Ich finde, er hat nicht das Recht, den Kontakt zu suchen", erklärte Shadi ernsten Tonfalls.
Sie hatte lange darüber nachgedacht, wie sie sich verhalten sollte.
Das Aufatmen aus dem Hörer bestätigte sie in ihrer Annahme.
"Ich bin froh, dass du das genauso siehst", sagte ihre Mutter.
"Und ich werde noch glücklicher sein, wenn die Scheidung endlich durch ist."
Shadi nickte leicht, auch wenn ihre Mutter das nicht würde sehen können.
"Das sind wir beide. Halt, Kittie, nicht rein", erklärte sie, als es auch schon passiert war.
Shadi schloss die Tür und stellte Handtasche und Schuhe ab, während Kittie es sich wie selbstverständlich auf der Couch gemütlich machte.
"Kümmer dich mal um die Hauskatze, sie hat sicher Hunger", meinte ihre Mutter verständnisvoll und warmen Tonfalls, was Shadi lächeln ließ.
"Und wenn wir das nächste Mal telefonieren, erklärst du mir, woher du das blaue Auge hast", fügte Ooljee streng an.
Shadi biss sich ertappt auf die Unterlippe, wovon sie froh war, dass auch dies ihre Mutter nicht würde sehen können, während Kittie damit begann, sich sorgsam mit der Hinterpfote hinter dem Ohr zu kratzen.
"Du hast es gesehen, hm?", fragte Shadi rhetorisch, während sie das Telefon mit der nun freien Linken griff, um den Mantel auch über den anderen Arm auszuziehen und an die Garderobe zu hängen.
"Habe ich. Und du lässt dir besser eine gute Erklärung einfallen. Ansonsten muss ich annehmen, dass dies das Werk eines gewissen beinahe Hundertjährigen ist, den du letzte Woche in Wakanda besucht hast."
Der Tonfall ihrer Mutter ließ keinen Zweifel zu. Vermutlich hatten die Geister wieder gepetzt.
Das war so typisch und unpassend, wie schon damals in der Schule, als in ihre erste und einzige Prügelei ihres gesamten Teenagerlebens geraten war - unverschuldet dazu!
"Gute Nacht, Mom, ich muss dringend ins Bett."
Es gab zu dem Thema einfach nichts zu sagen. Jedenfalls nichts, was es nicht noch schlimmer machen würde.
"Schlaf gut und ruh dich noch ein paar Tage aus", hörte sie ihre Mutter dieses Mal wieder wärmeren, liebevollen Tonfalls sagen.

Und genau das hatte Shadi auch vor. Nachdem sie aufgelegt hatte, hatte sie sich noch eine kurze Dusche gegönnt, dann war sie auch schon ins Bett gefallen. Sie war hundemüde und erschöpft und die Gehirnerschütterung steckte ihr noch genauso in den Knochen wie der Schock ob des Erlebten.
Zwei Decken hatte sie in den Bezug gestopft - anders konnte man das nicht nennen. Das war gar nicht so einfach gewesen. Aber draußen war es regnerisch und kalt und überhaupt gar nicht ihr Wetter.
Sie vermisste den Sommer schon jetzt.
"Miau", machte es, gerade als Shadi das Nachtlicht gelöscht hatte und ihr Kopf das Kissen berührt hatte.
"Kittie", murmelte Shadi ungläubig, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel.
Von dem Schrecken abgelenkt, dass ihre Mutter über alles Bescheid zu wissen schien, hatte sie die sich still auf der Couch putzende alte Dame vollkommen vergessen.
Die jetzt die Frechheit besaß zu ihr auf das Bett zu springen.
Shadi war noch mit Aufsetzen beschäftigt, als Kittie sich auch schon einrollte.
Müde und schwerfällig schlug Shadi die Decke zurück, während die Katze sich davon nicht stören ließ. Erst als Shadi in der Wohnküche, in die sie barfuß gegangen war, die Katzenmilch aus dem Kühlschrank holte, erbarmte sich das Fellknäuel vom Bett und tapste gemütlich zu Shadi, die noch mit einfüllen beschäftigt war, während Kittie sich halb auf ihre kalten Füße setzte und abwartend zu ihr hinauf sah. Dass es der alten Dame nicht schnell genug gehen konnte, kannte Shadi ja nun schon.
"Das ist ja wunderbar, was du da tust. Ich habe nämlich dank dir kalte Füße. Aber du weißt sehr genau, dass es hier in der Wohnung nichts zu fressen gibt", ermahnte Shadi so streng es ihr möglich war.
Aber die großen Augen des grauen Tiers verfehlten ihre Wirkung kaum, so dass Shadi sogleich lächelte.
"Ich mache trotzdem keine Ausnahme. Aber weißt du was? Ich bringe dir morgen etwas Leckeres mit, versprochen", ließ sie sich erweichen, bevor sie die Milch und die Katze in den Hausflug beförderte.
"Ah, endlich Ruhe", murmelte sie, als sie sich wieder mit der doppelten Decke zudeckte und anschließend das Licht löschte.
Kaum, dass Shadi die Lider geschlossen hatte, übermannte der Schlaf sie.
Und das genauso gnadenlos wie schon in den vergangenen Nächten. Wieder sah sie das ausdrucksbefreite Gesicht Buckys vor sich. Und wieder die herannahende Faust - die immerhin nicht die Linke war, sonst wäre sie heute nicht mehr hier! -, die sie hart im Gesicht traf, bevor alles dunkel wurde.
Hin und her wälzte Shadi sich auch in dieser Nacht und es stand zu befürchten, dass dies noch einige Zeit so bleiben würde.
Ihr Wecker zeigte drei Uhr zweiundzwanzig in der Früh an, als sie schließlich genug hatte, das Licht wieder einschaltete und sich auf die Decke auf ihr Bett setzte.
"Also schön, dann üben wir eben, wenn das mit dem Schlafen schon nicht klappen will", sprach sie sich selbst trotzig zu und strich ihr offenes Haar hinter die Ohren.
Sie schloss die Augen erneut, jedoch konzentrierte sie sich nun auf das kleine Eichhörnchen, das sie zu werden gedachte. Die aufkommenden Bilder ließen sich mit diesen Übungen gut verdrängen, denn es erforderte ja nun auch einiges an Konzentration, die Gestalt zu wechseln.
Schließlich saß sie als braunes, amerikanisches Eichhörnchen auf der weichen Decke - und wunderte sich, warum es denn keine Nüsse an Bäumen hier in dieser warmen, menschlichen Höhle gab.
Es ging schneller, als gewöhnlich, dass sie wortwörtlich zum Tier wurde, dessen Gestalt sie angenommen hatte. Und es war intensiver als sonst. Sie spürte den Hunger und zögerte nicht, dem Drang, sich mit der Hinterpfote hinter dem Ohr zu kratzen, wie es Kittie vorhin auf der Couch getan hatte, als sie mit ihrer Mutter telefoniert hatte, nachzugeben.
Dann flitzte das kleine Eichhörnchen von dem Bett und suchte einen Ausweg. Doch die Höhle hatte keinen.
Dafür aber eine Schale mit frischem Mais weiter hinten in dem unbeleuchteten Teil der Höhle, der weit größer war als die Kammer, in der sie sich wiedergefunden hatte. Ihre Vorderpfoten griffen nach der nahrhaften Kost und sie knabberte jedes einzelne Korn ab, bis rein gar nichts mehr übrig und das Shadi-Eichhörnchen so satt war, wie noch nie. Zumindest soweit sie sich erinnern konnte.
War eben gerade noch hintergründig das Wissen vorhanden, dass dies nicht richtig war - dass sie kein Eichhörnchen war, so verblasste dieses Wissen mehr und mehr.
Irgendwann, nachdem sie schon die ganze Höhle immer verweifelter nach einem Ausweg gesucht hatte, fand sie den Weg ins Bad. Kurz blitzte die Erinnerung auf, dass die Lüftung nicht mehr richtig funktionierte, weswegen sie auf Anraten des Hausmeisters die Abdeckung abgenommen hatte, die nun fehlte - und die nun der Ausweg für das kleine Tier war, das sich hier so schrecklich gefangen fühlte.
Schnell und auf flinken, wenn auch kleinen Beinchen huschte der Nager die Gänge entlang, die schrecklich verschmutzt waren. Auf und ab und schräg und gerade war der Gang - und dazu beinahe endlos. Doch dann, endlich, war sie frei. Die Luft war frisch und kühl - nicht so brackig wie in dieser riesigen Menschenhöhle, die bis in den Himmel zu reichen schien.
Und so rannte das kleine Tier glücklich und vergnügt - und mehr als gesättigt - bis in den nahen Central Park, zu dem es sie magisch zu ziehen schien.

"Lady, wachen Sie auf, Sie holen sich ja den Tod", hörte sie eine kratzige Stimme.
Dann roch sie die Fahne. Wie hätte sie das auch nicht gekonnt, so präsent, wie der Geruch war.
Und den kannte sie ja nun auch aus dem Reservat.
Schwerfällig öffnete Shadi die schweren Lider. Ihr war eiskalt und sie war erschöpft, als hätte sie einen Marathonlauf mitgemacht.
Über sie hatte sich ein alter Mann in zerfledderten Kleidern gebeugt. Seine zerrissenen Handschuhe passten zu seinem ungepflegten Äußeren.
Nicht jedoch zu seiner freundlichen Miene und zu den warmen Augen, die Shadi besorgt musterten.
Schnell richtete sich die Navajo auf - und bemerkte, dass sie irgendjemand in einen alten, löchrigen, aber warmen Schlafsack gesteckt hatte...
"Hören Sie, Sir, folgendes... Es geht um meinen Teppich, der das Zimmer erst richtig gemütlich gemacht hat..."

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Re: Changing Woman (Aftermath Char-Vorgeschichte)

Beitrag von Tjeika »

12. Oktober 1991

"Ich bin bald wieder da", versprach der Vater seiner kleinen Tochter und fasste ihr kurz auf die schwarzen Haare.
"Wo gehst du denn hin?", fragte das kleine Mädchen zurück, woraufhin der Vater sich vor sie kniete und sie warm anblickte.
Die traditionelle Kleidung des Kindes stellte einen krassen Kontrast zu der Jeans und dem legeren Hemd des Mannes her, der erst spät die Vaterfreuden erfahren hatte - und dabei war er noch jünger als seine Frau, die im Alter von 42 Jahren zum ersten Mal Mutter geworden war. Und dieses einzige Kind des beiden drehte den Oberkörper hin und her, hielt dabei ihre traditionelle Puppe fest im Arm und musterte ihren Vater aus den großen, dunklen Augen.
Eine warme Hand legte sich auf die Schulter des Kindes.
"Da, wo dein Vater hingeht, liegt deine Zukunft", prophezeite Granny Corinne warm und wissend auf Navajo und das kleine Mädchen begegnete dem Blick der älteren Frau ebenso warm, als sie zu ihr über ihre Schulter nach oben blickte.
"Kann ich mitkommen?", fragte das Mädchen, woraufhin sich ein ernster und entschiedener Ausdruck auf das Gesicht ihres Vaters legte.
"Nein, du bleibst bei deiner Großmutter", entgegnete er ihr ebenso entschieden, bevor er weiter nach oben zu ihrer Granny sah.
"Bring sie mit deinem Aberglauben nicht auf Irrwege."
Damit wandte er sich ab und verließ den Hogan der mit dem Kopf schüttelnden Frau.
"Auf dem Irrweg bist du", flüsterte Corinne düster und gab ihrer Enkeltochter einen Kuss auf den Schopf.
"Geh nach draußen spielen, ich koche unser Abendessen."
Das Mädchen drückte ihre alte Puppe noch enger an ihre Brust und rannte verfolgt vom Blick ihrer besorgten Granny nach draußen. Ihr eigener Blick jedoch ruhte auf dem Rücken ihres Vaters, der sich zu den Heiligen Stätten aufzumachen schien. Da war das Kind schon lange nicht mehr gewesen. Und sie mochte diesen Ort.
"Wollen wir uns unsere Zukunft ansehen?", fragte sie ihre Puppe, deren schwarzes, grobes Haar sie mit den Fingern etwas entwirrte.
Die Fransen des traditionellen Gewandes der Puppe passten zu jenen, die sie am Leib trug. Es war kein Rug-Kleid, das ihre Granny ihr angezogen hatte, es war ein rituelles Kleid in sanften Beige- und Ockertönen mit Fransen sowie roten und blauen Applikationen, das sie heute Abend, wenn der Hataalii zu ihnen stoßen würde, benötigen würde. Denn heute war ein besonderer Tag. Shadi wurde schon vier Jahre alt. Das zeigte auch der besondere Kopfschmuck: Ein aus vielen kleinen Perlen gefertigtes rot-blau gemustertes Band, das einmal um ihren Kopf ging, hielt vier der schönsten Federn an der linken Seite, die sich auftreiben ließen. Die Vier war eine heilige Zahl bei den Diné und nach alter Tradition mit guter Magie und Heiligkeit belegt und damit ein Glücksbringer. Sie war damit beinahe so angezogen wie ihre kleine, sehr alte Puppe, mit der schon ihre Mutter und ihre Großmutter als Kind gespielt hatten.
Die Puppe antwortete nicht auf die Frage der kleinen Shadi, die sich davon allerdings nicht beeindrucken ließ. Sie lief los, wobei sie darauf achtete, dass ihr Vater sie nicht sehen oder hören würde. Sie wusste intuitiv, dass ihm nicht gefallen würde, wenn sie ihm hinterherlief.
Eine Weile ging der Plan der Kleinen auch gut. Man hörte und sah sie nicht und sie versteckte sich hier und da, als ihr Vater sich umwandte, um zu sehen, ob er verfolgt wurde, hinter den rot in der Sonne leuchtenden Sandsteinen. Einmal jedoch suchte sie hastig Deckung hinter einem hohen und dicken Saguaro, achtete dabei aber nicht auf das, was ihr Deckung bot und stach sich schmerzhaft an den holzigen, langen Stacheln des Kaktus'.
"Aua", rief sie aus, hielt sich aber schnell die Hand vor den Mund.
Doch ihr Vater hatte sie längst gehört und eilte zu ihrer Deckung.
"Shadi, was suchst du denn hier? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst bei deiner Granny bleiben?", schimpfte er, doch dem Mädchen standen noch Tränen in den Augen von ihrer Begegnung mit dem großen Kaktus.
Die wischte der Vater ihr mit dem Zeigefinger aus den Augenwinkeln und von der Wange und konnte ihr deswegen gar nicht lange böse sein.
"Schnell, geh zurück zum Hogan und lass dich nicht dabei sehen", warnte er sie leise.
Doch dafür war es längst zu spät.
"Wen hast du uns denn da mitgebracht? Willst du uns nicht einander vorstellen?", fragte die freundlich klingende Stimme von Alexander Pierce.
Shadis Blick glitt an den Beinen ihres Vaters vorbei zu einem flachen, größeren und nach vorne überragenden Felsen, der hier irgendwie fehl am Platze wirkte. Darunter stand ein weißer Mann, der sich halb im Schatten befand. Der Anzug saß wie angegossen, das Grau des Jackettstoffes leuchtete hell im warmen Abendsonnenlicht.
Doch die Reaktion von Kelsey passte für das Kind nicht zu der Freundlichkeit, die der weiße Mann ausstrahlte.
"Halten wir sie da raus", bat er fast ein bisschen verzweifelt, was ihm von Shadi einen stirnrunzelnden Seitenblick einhandelte.
Pierce ließ sich davon nicht beeindrucken und machte eine einladende Bewegung. Shadis Tränen waren so schnell vergessen, wie sie in der warmen Sonne getrocknet waren.
"Kommt rein, hier drinnen ist es angenehm kühl", sprach er und trat zurück in die Höhle, in der er auf Kelsey Begaye gewartet hatte.
Der nahm seine Tochter an die Hand und folgte der Einladung zunächst zögerlich, dann straffte er seine Schultern und trat mit Shadi hinein. Die blinzelte ein paar Mal, um sich an die plötzliche Dunkelheit zu gewöhnen, die im so krassen Kontrast zu der hellen Wüstensonne draußen stand. Viel konnte sie auf Anhieb daher nicht erkennen.
Der Vater ließ die Hand des Kindes los, als Pierce sich vor sie kniete.
"Du bist also unsere Zukunft. Wie ist dein Name, Kind?", fragte er sie fast schon sanft.
Shadi betrachtete den Mann und beschloss, ihn nicht zu mögen. Sein Lächeln war so falsch, wie die Freundlichkeit in seiner Stimme.
"Shadi. Und deiner?", fragte sie daher skeptischen Blickes.
"Alexander. Ich rede kurz mit deinem Vater, ja?, fragte er sie und Shadi wusste, dass er das ganz unabhängig von ihrer Antwort tun würde, also nickte sie.
Der Weiße richtete sich wieder auf und sah ihren Vater an, dem er an den Oberarm fasste, um ihm zu bedeuten, ihm etwas tiefer in die Höhle zu folgen. Der sah ein wenig besorgt zu Shadi.
"Keine Sorge, der Kleinen wird hier nichts passieren", beruhigte Pierce und warf dabei einen vielsagenden Blick in eine schattige, dunkle Ecke der Höhle, in der Shadi nichts sehen konnte, um seine Aussage ganz offensichtlich zu unterstreichen.
Doch für wen?
Shadi sah noch einen Augenblick unschlüssig hinter dem Weißen, der ihren Vater entführte, her. Dann sah sie erneut in die dunkle Ecke. Sie runzelte die Stirn, entschloss sich aber zunächst, dem Rat ihrer Großmutter Folge zu leisten und setzte sich an Ort und Stelle hin, um mit ihrer Puppe zu spielen.
"Wie steht es denn mit der Wiederwahl?", fragte derweil Pierce ihren Vater, was Shadi nur leise hören konnte.
"Ich wünschte, Papa würde etwas anderes machen. Wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, guckt er immer so, als wäre etwas ganz schlimmes passiert und dann redet er kaum noch mit uns", erzählte sie ihrer Puppe auf Navajo, deren fransiges Haar sie in zwei gleich große Teile aufteilte.
"Es sieht gut aus. Unserer beiden Interessen hier im Reservat werden gewahrt, wenn man den Umfragen Glauben schenken darf", sprach ihr Vater nun wesentlich geschäftsmäßiger und setzte sich mit Pierce an einen extra hierher gestellten Tisch.
Shadi hörte auf, zuzuhören. Das interessierte sie nicht, was die Erwachsenen besprachen. Ihr Gespräch verkam für Shadi zu einem steten Hintergrundrauschen. Dafür summte sie eine leise Melodie, während sie ihrer Puppe die Haare flocht. Ihren Blick hob sie immer mal wieder, um in die schattige Ecke zu sehen. Ihre Neugierde war definitiv geweckt.
Auch jetzt, wo ihre Augen sich an die Dunkelheit allmählich gewöhnt hatten, konnte sie da hinten kaum etwas erkennen.
Sie widmete sich dem zweiten Zopf, wobei ihre Blicke immer länger auf die Stelle im Schatten gerichtet blieben. Und als auch dieser Zopf endlich fertig war, nahm sie die Puppe vom Boden wieder auf und stand auf. Sie legte den Kopf leicht schief, wobei ihr das offene, schwarze Haar ins Gesicht fiel.
"Wollen wir mal nachsehen, was dort ist?", flüsterte sie ihrer Puppe auf Navajo leise ins nicht vorhandene Ohr.
Die schwieg sich weiterhin aus. Und Schweigen war ja bekanntlich Zustimmung, so dass Shadi langsam und zögerlich einen Schritt vor den anderen setzte. Aus dem Schatten pellte sich nach und nach eine große, dunkle Gestalt. Das Gesicht blieb bis zum Schluss im Schatten, doch der silberne Arm mit dem roten Stern darauf leuchtete aus Shadis neuer Position heraus im indirekten Licht. Der große Mann mit dem fast schulterlangen, dunklen Haar rührte sich nicht. Er machte nicht einmal Anstalten, zu ihr hinunter zu sehen. Sie hingegen sah ihn mit einem kleinen Lächeln von unten her an. Nachdem sich auch nach einer kleinen Weile nichts tat, streckte die kleine Shadi vorsichtig ihre Hand nach ihm aus. Zentimeter für Zentimeter überwand sie nur sehr langsam den Abstand. Sie war ja auch noch klein und musste sich ziemlich strecken.
"Wer bist du?", fragte sie auf Englisch und schien dabei keinerlei Angst zu verspüren.
Schließlich berührte sie zaghaft die rechte Hand des Mannes.
"Ich bin Shadi und ich werde heute vier", sagte Shadi stolz und als wäre es etwas ganz Besonderes, denn für sie und in ihrer Tradition war es das ja auch.
Der Mann jedoch bewegte sich immer noch nicht und blickte stur und unbeeindruckt geradeaus. Als wäre er eine Puppe, die an Fäden hing, ging es Shadi durch den Kopf. So etwas hatte sie schon einmal gesehen, als ein Puppenspieler vor ein paar Wochen ins Reservat gekommen war. Die Puppen hatten sich auch nur bewegt, wenn jemand an den Strippen gezogen hatte.
"Irgendwann hängst du an keinen Fäden mehr", sagte Shadi in aufmunternder Absicht und unterstrich ihre Worte mit einem Nicken, doch da riss jemand sie von hinten weg von der Gestalt und hob sie auf die Arme.
"Komm weg da, Kind", sagte der schwarz gekleidete Mann entschieden und strafend, der sie ruckartig hochgehoben hatte.
Shadis Puppe war dabei auf den Boden gefallen. Doch das Mädchen scherte sich nicht darum. Stattdessen sah sie über die Schulter des fremden, maskierten Mannes auf die immer noch regungslose Gestalt im Schatten, der mit selbigem wieder mehr und mehr verschmolz, je weiter sie weggetragen wurde.
"Hören Sie, Sir, folgendes... Es geht um meinen Teppich, der das Zimmer erst richtig gemütlich gemacht hat..."

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